Kaschmir! Wollenmusseline! – – Wenn das königliche Schauspielhaus wirklich etwas gar so Vornehmes sei – Ton und Blick bezeigten vollste Verachtung – so wären Kaschmir und Wollenmusseline etwas viel zu Gemeines. Sie wolle nur von Seide und Samt hören!
Als wir ihr sagten, daß Gretchen nur ein armes Mädchen gewesen, wollte sie diesen doch gewiß triftigen Grund nicht gelten lassen. Hartnäckig hielt sie sich an Faust. Wenn der freilich auch nur »so einen Doktor« mache (mit scharfer Betonung und einem vernichtendem Blick auf Fernow), so sei dieser Doktor (Blick und Hohnlachen) doch ein spendabler Mann. Wenn er für seine Liebste einen Schmuck kaufen könne, so sehe sie, Luise, nicht ein, weshalb er ihr nicht auch ein Seidenkleid und eine Samtmantille schenken solle. Sie kenne Mädchen genug, die des Sonntags mit Federhüten in die Kirche gingen, von denen man nur zu gut wisse, wo sie herkämen.
Wir mußten ihr leider mitteilen, daß sich der Doktor für sein Gretchen mit Schmucksachen begnügt habe, woraus sie schloß, daß er ein Goldschmiedssohn gewesen sein müsse und sich über diesen Ritter sehr höhnisch ausdrückte. Als wir sie endlich so weit gebracht, sich für Gretchen Wolle gefallen zu lassen, verlangte sie leidenschaftlich, daß die Kleider wenigstens recht »schön bunt« sein sollten, womöglich von ihrer Lieblingsfarbe: hochrot. Auch das wurde ihr von Fernow abgeschlagen. Dieser erklärte sogar, daß er nicht einmal die gewöhnliche Farbe aller Gretchenkleider: Blau dulden werde. Um seiner Opposition die Krone aufzusetzen, rühmte er, daß mein Haar zwar stark und lang, aber von dem simpelsten Braun sei. So werde es denn weder ein blaues noch ein blondes Gretchen geben.
Man einigte sich schließlich dahin, daß ich auf dem Kirchgang mein Sonntagsgewand: dunkelviolett mit schwarzem Samt, tragen sollte; mein Werkeltagskleid dagegen war grau mit Kirschbraun besetzt. Im Kerker ward mir ein kuttenähnliches Gewand von ungebleichten Linnen aufgenötigt.
Den grimmigsten Kampf hatten wir mit Luise zu bestehen, als diese daran ging, die Stoffe zu zerschneiden. Ihr hauptsächlichster und höchster Begriff vom Theater war nämlich der: wunderschöne Damen, wunderschön angezogen, deklamierten irgend etwas recht Rührendes und schrecklich Schauerliches. Unter ›wunderschön angezogen‹ verstand die Gute, daß die Kleider gewaltig lang auf dem Boden hinschleppten. Nichts imponierte ihr mehr als ein Stück, dessen Heldin in einem Schleppkleide verzweifelte und starb. Ihr größter Kummer war bis dahin gewesen, daß ich dies eigentliche und einzige Attribut einer Primadonna noch immer nicht besessen hatte, ihr größtes Glück, daß ich es jetzt endlich bekommen sollte.
Obgleich sie weidlich über das ›vornehme Volk‹ schimpfte, das, es lang habend, es auch lang hängen lasse, verlangte sie dennoch kategorisch auf der Bühne ihre Schleppen zu sehen und empfand ein Fehlen derselben entrüstet als eine Schmälerung ihres theatralischen Genusses. Da im Akademietheater mein höchster Staat in einem neuen weißen Wollkleid bestanden, so befand sie sich noch immer in einigen Zweifeln: ob ich denn auch wahr und wahrhaftig jenes bewußte Wunder von Schauspielerin sei, das sie doch selbst aus mir machte. Endlich ereignete sich das Große: sie sollte ordentlich für mich schneidern dürfen. Nachdem ihr nun Seide und Hochrot unbarmherzig verweigert worden, tröstete sie sich im stillen mit den langen Schleppen, durch welche sie den ärmlichen Kleidern wenigstens einigen Glanz zu verleihen gedachte.
Ahnungslos, womit sie uns überraschen und beglücken wollte, wurden ihr die Stoffe übergeben. Nachdem sie noch einmal über die Wolle in ein lautes Lament ausgebrochen, beruhigte sie sich allmählich; ja, fing sogar an, Fernows Abwesenheit benutzend, in ihrer Weise ganz lustig zu werden.
Ich ließ sie allein mit der Mutter, ging in mein Zimmer und begann zu studieren. Nach einer Weile stürzte die Mutter herein: ich möchte schnell herüberkommen: Luise sei ja wohl ganz und gar verkehrt geworden. Ich begab mich ins Wohnzimmer und sah nun: – – Mitten in der Stube auf der Diele lagen die Kleider zugeschnitten, mit Schleppen, wie sie vielleicht bei großer Cour getragen werden. Über ihrem Werk kauerte Luise und schwenkte uns triumphierend die Waffe entgegen, mit der sie die Untat begangen.
»Mutter, wie konntest du das zugeben?« fragte ich halb lachend, halb ärgerlich.
»Aber Kind,« wehklagte diese, »du kennst sie ja. Kein Wort durfte ich sagen. Aber wer konnte denken, daß sie sie so lang machen würde. Was wird der Doktor sagen!«
»Der!« rief Luise kampfglühend und ihre Schere wie eine Streitaxt schwingend. »Was hat sich der Mann mit Frauensachen zu bemengen? Noch dazu mit unseren Kleidern und Röcken. Schämen sollte er sich.«
»Aber Luise!« stammelte die Mutter ganz entsetzt.
»Ach, was da aber Luise. Kein Mensch soll mir nachsagen können, daß sich eine Mannsperson mit unseren Kleidern und Röcken zu schaffen gemacht hat. Und wenn Ihnen das auch partutemank egal ist, so ist das mir nicht partutemank egal. Ehrgefühl muß der Mensch haben und das ist kein Ehrgefühl und Schamgefühl auch nicht, wenn sich ein Frauenzimmer von einem Mann über ihre Kleider insolieren läßt, und ist es auch nur so ein Doktor. Ich rede ihm auch nicht in seine Mixturen und Tollen hinein. Und wenn er unsere Rolla mit seinem Unsinn auch schon verrückt gemacht hat und Sie ihn ja wohl für den leiblichen Herrgott ansehen: mich hat er noch vernünftigermaßen bei Verstand gelassen und als meinen Herrgott kann ich ihn auch nicht ästimieren. Er soll nur kommen!«
Er kam.
Sofort verstummte Luise. Hand und Schere sanken in den Schoß. Scheuen Blickes schielte sie zuerst auf ihr in seiner ganzen Länge ausgebreitetes Verbrechen; dann auf das ernsthafte Gesicht des Eingetretenen, Dieser sah augenblicklich, was hier geschehen. Ohne eine Miene zu verziehen, holte er sein chirurgisches Besteck aus der Tasche, entnahm demselben irgendein scharfes Instrument, beugte sich, wie um Luisens Werk besser anzusehen, herab und ehe diese eine Hand rühren konnte, machte er mit einer Kaltblütigkeit, als ob es einer Amputation gelte, mitten durch die Schleppe dort, wo sie ansetzte, einen großen, klaffenden Schnitt.
Luise war entgeistert.
»Und nun, Beste,« redete der Freund die Sprachlose mit ungemeiner Höflichkeit an, »werden Sie die Güte haben, sich zu Ihren Töpfen und Tiegeln zu verfügen. Ich bin überzeugt, daß Ihr Kalbsbraten heute mittag wieder einmal ganz vortrefflich sein wird.«
Wie im Traum erhob sich Luise, wie im Traum wandelte sie majestätisch davon.
Einige Vormittage später begleitete mich Fernow in die erste Probe.
Als wir zum königlichen Schauspielhaus kamen, sah ich vor der Kasse die Menschen sich drängen: am Abend wurde die Jungfrau von Orleans gegeben. Einst hatte auch ich dort gestanden, nach Einlaß verlangend, als gelte es der Schwelle des Paradieses, dessen Allerheiligstes mir wie die Steine so unerreichbar schien. Nun stand ich hier und willig öffneten sich mir die Pforten des Tempels! Und wenn Wunsch und Hoffnung schönste Wahrheit wurden, so konnte einmal ein Tag kommen, an welchem – war es Traum oder Tollheit? – um mich spielen zu sehen, dort die Menschen sich drängten.
Vor der Tür, die zu den Bühneneingängen führte, standen Schauspieler, Statisten und sonstiges Personal. Der Portier ließ uns erst eintreten, nachdem Fernow ihm gesagt, wer wir seien. Dann bekümmerte sich niemand weiter um uns.
Wir gingen durch allerlei Gänge und Räume, die trübseliges Lampenlicht erleuchtete, kamen zu einer Tür, darauf stand in großen Buchstaben: Aufgang zur Bühne. Jetzt ward es bewegt um uns. Man trug Kulissen und Versatzstücke heraus und herein, lärmte, pochte, hämmerte. Balken schlugen auf, Staub wirbelte in die Höhe. Die Luft des Theaters umfing mich und trotzdem es wahrlich keine elysäische