Die wichtigsten Werke von Richard Voß. Richard Voß. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Richard Voß
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027223008
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können! Halten Sie das nicht für Selbstüberschätzung. Ist mir's doch, als trüg ich das ganze Gretchen in mir. Auch ohne einen Faust zu lieben und ohne von einem Faust verlassen zu werden, werde ich es spielen können.«

      Ich war aufgesprungen. Ich befand mich in einer Erregung, wie ich sie niemals vorher gefühlt.

      »Nun, ein Faust ist gerade nicht der Mann, den ich Ihnen wünsche,« murmelte Fernow. »Doch, was ist das für Geschwätz!«

      »– – Gut, versuchen wir es mit dem guten Ding; aber das sage ich Ihnen im voraus: streng werden wir gegen uns sein, unerbittlich streng.«

      »Also werde ich noch heute der Intendanz meinen ganz ergebenen Besuch abstatten, um den Herren anzukündigen, daß mit Fräulein Rollas Debüt als Grethen eine neue Ära für die königliche Bühne beginnt!«

      Vierzehntes Kapitel

       Vorbereitungen

       Inhaltsverzeichnis

      Luise schlug die Hände zusammen.

      Sie sei freilich eine unverständige Person; aber das müsse sie denn doch sagen: wenn das vernünftig sein solle, dann könne ihr armer Kopf sich ja wohl gleich bei Herrn Doktor Axel Fernow in die Kur begeben.

      »Und der Mann soll Tolle heilen!« schloß sie entrüstet. »Ja tollemachen, das kann er!«

      Um den dunklen Sinn dieses Satzes zu erläutern, sei hier erwähnt, daß Fernow in der letzten Zeit studiumshalber, zum schaudernden Entsetzen Luisens, viel die Irrenanstalt besucht.

      Zugleich ist es notwendig, einzugestehen, daß seit kurzem mein lieber Freund in Luisens Augen nicht mehr das »Exemplar von Mann« war. Wenn sie jetzt jeden Morgen über den leeren Ölbehälter seiner Lampe ihre Betrachtungen anstellte, so geschah dies nicht mehr aus Besorgnis über die langen Nachtwachen; sondern im hellen Zorn über seine unerhörte Verschwendung von Brennmaterial. Hätte Fernow noch allein in seinem Zimmer zu Mittag gespeist, so müßte ihn eine empfindlich bemerkbare Abnahme seiner Lieblingsspeisen stutzig gemacht haben. Da es aber schwer zu ermöglichen gewesen, daß er am allgemeinen Mittagstisch einzig und allein einen Teller versalzene Suppe, ein zähes Stück eines allerältesten Ochsen oder verbrannten Kalbsbraten vorgesetzt bekommen hätte (Luise konnte doch unmöglich des einen wegen, ihre »Reputät« als Meisterin der Küche bei allen aufgeben!), so blieb Fernow, wie ehemals über die Gunst, jetzt über die Ungunst unserer Gestrengen völlig im unklaren.

      Diese unglaubliche Verblendung war allerdings nur durch den Umstand möglich, daß Luisens Neigung durchaus kein lieblicheres Antlitz besaß, als ihre Abneigung. Und wenn sie sich auch im Anfang von ihren Gefühlen für das Exemplar von Mann so weit hatte hinreißen lassen, daß sie ihm bei einer zufälligen Begegnung Augen machte, deren Blick (so sehr dies bei einer Jungfrau von Luisens Tugend möglich war) Zärtlichkeit bedeuten sollte, wobei dann ihre strengen Lippen ein verlegenes, sauer-süßes Lächeln umspielte – so hatte Fernow selbst in jenen holdseligsten Zeiten sie wohl für eine zwar sehr ehrenwerte, aber nicht gerade besonders liebenswürdige Dame gehalten.

      Ohne sich im mindesten daran zu kehren, daß sich durch seine Schuld ein weiches Frauenherz allmählich verhärtete, lebte Fernow in unserm Hause, als ob es auf der Welt keine so majestätische Repräsentantin des unleugbar sehr wohlklingenden Namens Luise gebe. Tagtäglich durchschritt er mir nichts dir nichts den heiligen Raum ihrer Küche, ohne vor dieser Schwelle irgendwelche Ehrfurcht zu empfinden. Aber in geradezu tödlicher Weise verwundete er Luisens Gefühle, indem er selbst an Sonnabend Nachmittagen sich ohne jede Rücksicht gegen ihren frischgescheuerten Fußboden benahm. Die Mutter und ich hatten fortwährend zu beschwichtigen. Doch bin ich noch heute der festen Überzeugung, daß auch ohne diese Besänftigung kein Ausbruch ihrer Entrüstung erfolgt wäre. Uns, die Mutter und mich, liebte Luise; gab es aber einen Menschen auf der Welt, den sie fürchtete, so war dies Doktor Axel Fernow. Er imponierte ihr gewaltig. Der unglaubliche Umstand, daß ihm ihre stattliche Person so wenig bedeutend erschien, flößte ihr unendlichen Respekt ein. Eben noch in vollem Affekt über eine vermeintliche Beleidigung, bezeigte sie bei dem unerwarteten Eintritt des Doktors die größeste Fassung. Während der Mund stumm blieb, hatte nur das, was sie gerade in den Händen hielt, unter dem vollen Ausdruck ihrer empörten Empfindung zu leiden.

      Aber wahrhaft unerschöpflich war sie in den Variationen des Themas: was das jetzt für eine Welt sei, in welcher junge Frauenzimmer mit jungen Mannespersonen solches Wesen zusammen betrieben, noch dazu mutterseelenallein!

      Allerdings: wir »studierten« – ei freilich! Sie könne ja in ihrer Küche jedes Wort hören und oft genug sausten ihr die Ohren davon! Zu was wohl um Himmels willen der Doktor mit der Rolla zu studieren brauche. Das möchte sie, eine dumme Person wie sie sei, denn doch gar zu gern wissen. Studieren – die Rolla studieren! Als wenn die nicht bloß ihr hübsches Mäulchen aufzutun brauchte, um alle Welt »verplext« zu machen. Verdreht sei der Doktor, verdreht sei die Rolla, verdreht die Mutter, verdreht sie selbst, daß sie nicht alle viere wieder zur Vernunft bringe.

      Wäre solcherart Luise fast zu Fernows Feindin geworden, so hielt die Mutter, die, wo sie einmal vertraute, das unerschütterlich für immer tat, fest zu ihm. Diese beiden verehrten Menschen so innig miteinander verkehren zu sehen, bereitete mir ein beständiges Glück. Sie verstanden sich, wie zwei edle Gemüter das immer tun; und wenn die Mutter Fernows Methode nicht völlig begriff, so glaubte sie doch nicht minder an den Lehrer, wie die Tochter selbst. Ihre größeste Sorge war, daß Fernow aus Teilnahme für mich zu viel Zeit von seinem Beruf fortnehme. Aber er beruhigte uns beide dadurch, daß er uns bewies, wie die Stunde, welche er mir jeden späten Nachmittag schenkte, seine einzige und beste Erholung sei. Auch gehe er nun nicht mehr, wie er das früher fast jeden Abend getan, in das Theater; sondern genieße dies Vergnügen höchst königlich zu Hause. Er beteuerte uns, daß ihm dies letztere weit besser bekäme, da er früher von einem Stücke doch nur einen oder höchstens zwei Akte habe ablauschen können. Nun wickele sich alles weit gemächlicher für ihn ab.

      So oft ihm möglich, machte er der Mutter in deren Zimmer einen Besuch. Ich wußte, daß sie in vielem seine Vertraute geworden, worüber ich völlig ununterrichtet war. Alles, was ich von seinen persönlichen Verhältnissen erfahren, war: daß seine wohlhabenden Eltern längst tot und er in seinen Jünglingsjahren eine Art von Wilhelm Meister gewesen. Meine Mutter wußte mehr. Als sie einmal eine Bemerkung hinwarf, die darauf schließen ließ, daß Fernow sehr unglücklich, ja, dem Untergange nahe gewesen sei, fühlte ich einen Schmerz um ihn, der mich seit jenem Augenblick nie wieder verließ. Mit gesteigerter Verehrung beobachtete ich an ihm sein stets gleiches, gemäßigtes Wesen, seine schöne Ruhe, seine ernste Schaffensfreudigkeit. Immer sehnlicher wuchs mein Wunsch, ihm seine Wohltaten nicht dadurch zu lohnen, daß ich ihm, die ich ihn so gern durch meine Freundschaft beglückt hatte, neues Leid brachte.

      Ich hatte eine Ahnung, als ob er auch hierüber mit der Mutter gesprochen. Nun, diese schien ja beruhigt zu sein.

      Auch über die Schicksale seines Theaterlebens mußte er sie unterrichtet haben. Sehr fiel mir auf, daß meine stille, sanfte Mutter ganz außer sich geriet, als sie hörte, daß Fernow mit mir das Gretchen studiere. Ich versuchte nicht, über so viel Geheimnisvolles nach zu denken; aber auch ich sollte bemerken, wie die eingehende Beschäftigung mit Gretchen dem Freunde ein süßer Schmerz zu sein schien, eine Erinnerung, in der er schwelgte, trotz der Qual, die sie ihm gab. Ich war im höchsten Grade betroffen und mußte nun oft daran denken, was er mir darüber gesagt hatte: »Ich habe nur einmal ein gutes Gretchen gesehen, als ganz junger Bursch. Das habe ich allerdings niemals vergessen.«

      Sah ich die Mutter und den Freund zusammen, so wollte mich bedünken, als ob von der Milde der Mutter ordentlich auf den Freund übergehe. Sobald er in ihr Zimmer trat, war er wie in geweihter Stimmung: so sanft und gütig mochte er bei einem seiner Schwerkranken sein! Dafür sah ihm aber auch die Mutter jedesmal mit stillem Lächeln entgegen. Länger als es sonst Sitte ist, ruhten die beiden Hände ineinander; beide so weiß, beide so vornehm! Wenn der Freund uns vorplauderte, immer Gutes und Tüchtiges, fuhr die Mutter fort, ihre Blumen zu machen, für