Die wichtigsten Werke von Richard Voß. Richard Voß. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Richard Voß
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027223008
Скачать книгу
murmelte die Verstörte. »Seht meine Hände an: ganz mager sind sie geworden vom langen, langen Winden, ganz weh tun sie mir davon.«

      Sie hob ihre Hände auf. Die waren so blaß, so zart!

      »Wo hast du deinen Kranz denn hingetan?«

      Das verstand sie nicht.

      »Wo sie nur bleiben?« klagte sie leise, »Myrten habe ich auch nicht mehr. Nur ein Reislein behielt ich übrig. Ich habe es eingepflanzt und nun muß ich warten, bis es wächst und blüht. Ich begieße es alle Tage mit Licht.«

      Am Fenster stand ein Blumentopf mit einem längst verdorrten Stöcklein darin. Aber Anna sah nicht, daß die Blume verwelkt war. Mit stillem Lächeln war sie hingetreten, winkte uns, ihr zu folgen, Zeigte uns voller Stolz ihren Schatz, hob dann die traurige Scherbe in die Höhe, um ihr Myrtenreis mit »Licht zu begießen«.

      Mich überlief's. Eine Mutter, die ihr Kind umgebracht, wartet freudvoll, leidvoll darauf, daß aus einem verdorrten Stengel Blumen: »Myrten« erblühen.

      »Ist die fremde, schöne Dame auch eine Braut?« fragte Anna Fernow überlaut und sah mich unverwandt an.

      Fernow machte mir ein Zeichen, daß ich nicht verneinen sollte. Ich sagte also, daß ich auch eine Braut wäre.

      » Seine?« forschte die Irre weiter, auf Fernow deutend.

      Ich schüttelte meinen Kopf; aber Anna glaubte mir nicht.

      »Er hat dich schrecklich lieb: er stirbt ja daran! Er wird ja verrückt daran! Verrückt! Verrückt!« schrie sie auf und brach in ein gellendes Gelächter aus.

      Plötzlich nahm ihr Gesicht einen unsäglich angstvollen Ausdruck an. Sie griff mit der Hand nach der Stirn und fuhr darauf immer hin und her.

      Mir grauste.

      Als der heftige Anfall vorüber, redete sie mich von neuem an.

      »Geht dir's auch so? Du hast einen Liebsten und – und – und – –«

      Sie stockte und ließ ihren armen, irren Geist in sich versinken, um im tiefsten Dunkel nach Gestalten zu suchen, die sie einst besessen, dann verloren und die nun manchmal in der Nacht ihres Denkens auftauchten, um sofort wieder in einem Gebraus von Bildern unterzugehen.

      So mußten wir sie verlassen.

      »Sie sagten, diese Ärmste sei zu heilen,« versuchte ich mich von dem Freunde beruhigen zu lassen. »Teilen Sie mir nur das eine mit: was wird dann aus ihr?«

      Fernow zauderte mit der Antwort. Von mir zum Sprechen gedrängt, gab er sie endlich: »Derartige Kranke, die zugleich Verbrecher sind, läßt das Gesetz erst heilen, um sie dann zu bestrafen. Einen Mörder zum Beispiel, der selbst seinem Leben ein Ende machen will, und dem das mißlingt, muß ein Arzt mit aller seiner Kunst dem Leben zu erhalten suchen, um ihn aus seinen Händen vielleicht in die des Henkers zu übergeben. Denn dem Gesetz darf nicht vorgegriffen weiden. Mit Wahnsinnigen ist es zuweilen ebenso.«

      »Diese soll doch nicht – –«

      »Gerichtet werden? Gewiß nicht! Nur vier bis fünf Jahre Zuchthaus.«

      Sechzehntes Kapitel

       Umfaßt von meinen Armen

       Inhaltsverzeichnis

      Die Folgen dieses Besuches zeigten sich bereits bei unserer nächsten Probe der Kerkerszene. Jene gewissen Töne, die ich gar nicht zu finden vermocht hatte, waren plötzlich da. Fernow hatte recht gehabt: manche Züge übertrug ich direkt aus dem Irrenhaus in mein Spiel, So erwies sich zum Beispiel jene unheimliche Beweglichkeit der Hände, namentlich ihr ruheloses Hin- und Herfahren über die Stirn als von größester Wirkung.

      Bevor ich indessen fortfahre, muß ich an dieser Stelle von einer andern Episode berichten, welche, wie manche Zwischenspiele in Dramen, so auch für das Trauerspiel meines Lebens sehr folgewichtig sein sollte.

      Oft war zwischen Fernow und mir von meiner großen Tragödin die Rede. Ich hatte ihm erzählt, wie sich durch diese Gestalt die Frage meines künstlerischen Seins oder Nichtseins entschieden. Denn wäre sie nicht vor mich getreten, ein herrlicher Ausdruck alles dessen, was formlos, gleich einem Nebelbild in mir lag, so hätte ich damals vielleicht doch in der dumpfen Schreibstube eines Seminars gesessen, vor mir die Zukunft eines ewigen Gouvernantentums. Dank mir selbst war es anders geworden. Frei konnte ich meine Schwingen regen und mich von der Erde emporheben lassen, auch einer Sonne zu.

      Ich hatte Fernow bekannt, wie sie in der Theaterakademie an meiner Heiligen gerissen; worüber dieser gleichmütig die Achseln gezuckt: »Du weißt, es ist gemein.« Meine Begeisterung für die Künstlerin teilte er.

      »In gewissen Rollen, besonders in der Darstellung vornehmer, kühler Frauennaturen erscheint sie mir unübertrefflich. Ihre Antigone, ihre Iphigenie und die Prinzessin im Tasso sind wohl die edelsten, die höchsten Verkörperungen, die von diesen verklärten Gestalten überhaupt gegeben werden können. Aber wie gesagt: kühl bis ans Herz hinan! Mit Leidenschaften wußte sie nichts anzufangen; ihre Orsina zum Beispiel war völlig verfehlt. So gibt sie denn das überzeugendste Beispiel meiner Theorie: man kann nur das mit mächtiger Wirkung darstellen, was man selbst mächtig empfindet.«

      »Sie wollen doch nicht behaupten, daß sie überhaupt nicht fähig sei, leidenschaftlich zu fühlen?«

      »Das weiß ich nicht; jedenfalls gestattet sie es sich nicht und jedenfalls vermochte sie nie, Leidenschaften zu überzeugendem Ausdruck zu bringen.«

      »Ist sie verheiratet?«

      »Nein.«

      »Und jene schändlichen Verleumdungen?«

      »Beweisen wieder einmal, daß auf dieser Welt alles möglich ist. Wie sagt die alte Sibylle im Faust: »Aus eins mach' zehn.« – – Sie müssen nämlich wissen, daß diese Frau berüchtigt tugendhaft ist.«

      »Sie scheinen ihr daraus einen Vorwurf zu machen.«

      »Ich will Ihnen meine Anschauung nicht vorenthalten. Die edelste aller Gestalten ist eine Frau, die aus Tugend tugendhaft ist. So oft ich einer solchen reinsten und höchsten Weiblichkeit begegne, feiere ich das wie ein Fest. Es gibt aber wiederum Fälle im Leben, wo ich die absolute Tugend einer Frau für ihr Unglück halte.«

      »Und diese große Künstlerin?« – –

      »Ist eine sehr unglückliche Frau.«

      »Sie mit ihrem Genius unglücklich!« rief ich aus, ganz Fernows Theorie vergessend. »Unglücklich durch ihre Tugend?! Gehen Sie: das ist ja paradox!«

      »Sie begreifen das nicht?« meinte Fernow mit einem schwermütigen Lächeln. »Mag es Ihnen immerhin noch eine Weile unbegreiflich bleiben. Heute sage ich Ihnen nur das: hätte Ihre Göttin sich gestattet, mehr Weib zu sein, so wäre sie eine größere Künstlerin geworden als sie es war.«

      Ein anderes Mal teilte er mir folgendes über sie mit.

      »Ihr Abtreten von der Bühne war eine Notwendigkeit. Zuerst erkrankte ihr Gemüt, dann ihre Brust. Ich sah sie, wie sie kaum imstande war, ihre Rolle zu Ende zu spielen. Dem Publikum, das die Künstlerin ungemein hoch hielt, war es eine wahre Qual, diesen Kampf zwischen psychischer Stärke und physischer Schwäche als Zuschauer beiwohnen zu müssen. Zuletzt war das Haus leer, wenn sie auftrat. Das machte ihr Übel zu einem tödlichen. Sie wohnten ja wohl ihrer Abschiedsvorstellung bei; es war ein schrecklicher Abend! Das Publikum jauchzte ihr zu, glückselig, daß es die verehrte Künstlerin in einem Zustand von scheinbarer Kraft sah. Ich befand mich an jenem Abend hinter den Kulissen, wissend, daß es die letzte Lebensäußerung einer Sterbenden sei. Ihre Iphigenie war ihr Schwanengesang. In derselben Nacht bekam sie einen Blutsturz. Ihr Arzt schickte sie nach Nizza; ich, den sie auch konsultierte, erklärte mich entschieden dagegen. Es war ja nichts als Verlängerung der Qual. Doch hoffte sie wohl noch immer und so reiste sie denn hin. Sie wissen vielleicht nicht, daß