Die wichtigsten Werke von Richard Voß. Richard Voß. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Richard Voß
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027223008
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das üppige schwarze Haar hoch auffrisiert. Ihre Kinder, zwei kleine Mädchen, wunderhübsche, zum Ausgehen prächtig aufgeputzte Geschöpfe, drängten sich vor.

      »Was ist?« fragte die fette Dame mit schriller Stimme und aufgeregtem Blick.

      »Eine Freundin von Fanni,« erwiderte der Cavaliere mürrisch. »Was willst du? Diese Deutschen sind alle verrückt.«

      Jetzt kam Bewegung in die zitternde Gestalt. Sie trat unsicheren Schrittes auf Prisca zu und stammelte noch immer mit ihrem entsetzten Blick:

      »O Prisca, bist du's? Komm fort! Was willst du in diesem schrecklichen Rom?«

      »Was ich hier will? ...«

      Aber Fanni rief heftig:

      »Schweige! Sprich nicht! Nicht hier. Komm fort.«

      Und indem sie Prisca mit sich fortzog, wieder ihre angstvolle Frage:

      »Was willst du in diesem schrecklichen Rom?«

      Sie führte die Jugendfreundin in ihr Zimmer.

      *

      Fannis »Zimmer« war ein fensterloser Raum, der einen schwachen Lichtschimmer durch die Küche erhielt. Das dunkle Gelaß sah genau so vernachlässigt und traurig aus wie seine Bewohnerin, die früher ihrer Sauberkeit wegen sprichwörtlich gewesen.

      Auf Priscas Seele legte sich die Luft dieser Umgebung wie ein Alp. Sie hätte weinen mögen.

      Fanni zündete eine dreiarmige messingene Öllampe an und schloß die Türe. Dann schlug sie beide Hände vors Gesicht und begann krampfhaft zu schluchzen. Prisca umfaßte sie sanft und drückte sie auf den Reisekoffer hinab, der in dem elenden Raum statt einer Kommode dienen mußte und dicht neben der Türe stand.

      Auch Prisca setzte sich und ließ den Kopf der Unglücklichen an ihrer Brust ruhen.

      Eine lange Weile blieben beide stumm. Dann begann Prisca zu reden, so leise, als liege ein Sterbender in der Kammer.

      »Wie war es nur möglich, Fanni, daß alles so kam?«

      »Meine Eltern, meine armen, braven Eltern!«

      Und immer wieder in dumpfer Verzweiflung die nämlichen Worte:

      »Meine armen, braven Eltern!«

      Endlich gelang es dem innigen Zureden Priscas, das Mädchen zum Sprechen zu bringen. Prisca mußte sich tief herabbeugen und angestrengt lauschen, um die mühsam hervorgestoßenen, von häufigem Schluchzen unterbrochenen Worte zu verstehen.

      »Zuerst war's solche Freude, als ich nach Rom kam, in ein gutes Haus, wo ich mein ehrliches Brot verdienen konnte. Es war im Sommer und die Familie in Villeggiatur drüben in Tivoli.

      »Aber das Heimweh zuerst, ach, das Heimweh! Bei der schrecklichen Hitze die Welt wie ausgebrannt. Keine Blume und nichts Grünes als die grauen Ölbäume und die schwarzen Zypressen. Den lieben langen Tag über schrien die Heuschrecken.

      »Ich verstand keinen Menschen, und niemand verstand mich.

      »Die Signora konnte mich von Anfang an nicht ausstehen und war immer wie in Wut gegen mich. Nur die Kinder hingen sehr an mir. Aber das Heimweh, ach, das Heimweh!

      »Wenn ich an mein liebes deutsches Vaterland dachte, hätte ich laut aufschreien mögen.

      »Da hatten sie mir so viel von dem Italien erzählt, als wenn dort das Himmelreich wäre; und mir schien's die Hölle selber zu sein. Nach Hause schrieb ich aber kein Wort davon.

      »Und der Schmutz und die Faulheit! Kaum daß die Menschen bei der Hitze sich anziehen mochten. Den ganzen Tag lagen sie herum und schliefen. Rein zum Ekeln war's! Oft dacht' ich: wie ist es nur möglich? Jetzt bin ich geradeso ... Und immerfort meinte ich: du hältst es nicht aus! Die ganzen Nächte lag ich wach und dachte: du hältst es nicht aus! Aber dann schämte ich mich, so schnell wieder nach Hause zu kommen, zu meinen braven Eltern. Wie müßte ich mich erst jetzt schämen – Herrgott! Herrgott!

      »Dann im Herbst kam Regen. Da wurde es etwas besser. Es war gerade, als wenn's wieder Frühling würde. Blumen blühten, und der Mensch konnte doch Atem holen. Ich aß etwas mehr und schlief besser. Aber das Heimweh behielt ich.

      »Abends gingen wir spazieren. Die Signora kam dann aus ihrem Unterrock und ihrer Nachtjacke heraus, denn nur für die Passeggiata, wie es heißt, zog sie sich an: in Samt und Seide, mit langer Schleppe. Und ebenso die Kinder. Die hatten Federhüte auf, wie bei uns keine Prinzeß. Aber zu Hause war das schmierigste Zeug gut genug.

      »Jeden Samstag kam aus Rom ein Freund des Herrn Cavaliere zu uns auf Besuch. Das war ein Feiner! Und blutjung. Er war ein Graf und sonst nichts. Was Arbeit war, wußte er nicht. Den halben Tag saß er im Café, und abends stand er an den Straßenecken, und bis spät in die Nacht hinein machte er im Salon den Hof. So sind hier Hunderte und Aberhunderte.

      »Den Kindern brachte der Herr Graf jedesmal aus Rom Süßigkeiten mit. Sie hatten ihn lieber als ihren Vater, dessen ein und alles sie doch waren. Die Mutter kümmerte sich gar nicht um sie.

      »Das Weib! Aber ich darf nicht den Stein aufheben – ich nicht. Lange Zeit wollt' ich's nicht glauben – ich wollte nicht. Ich war ganz krank davon, wie verrückt. Aber es war schon so; alle Leute wußten es. Ja, und keiner fand etwas dabei. Nicht einmal der eigne Mann, der doch die Kinder so schrecklich gern hatte – des andern Kinder!

      »Ich verstand die italienische Sprache schon ganz gut und mußte alles hören, was die Leute sich über meine Herrschaft erzählten.

      »Ach, das Heimweh! Und der Ekel, die Wut! Wieder packte mich's: zurück nach Haus, zurück zu meinen braven Eltern! Aber ich blieb doch ... Wie die Kinder mich dauerten! Und der Mann auch: weil er die Kinder des andern so herzlich gern hatte. Aber es soll hier so hergebracht sein; da konnte er denn auch nichts andern.

      »Er kümmerte sich gar nicht um mich. Nur wenn er mich zusammen mit den Kindern sah, die so sehr an mir hingen, blickte er mich an aus seinen kohlschwarzen, trübseligen Augen. Und dann dauerte er mich.

      »An die Eltern mußte ich lauter Lügen schreiben. Hätten sie die Wahrheit gewußt, so hätte ich gleich heim müssen; denn nicht einen Tag würden sie mich in einem solchen Hause gelassen haben, meine braven Eltern.

      »Und der armen Kinder wegen, die so an mir hingen, mußte ich bleiben.

      »Mein Herr reiste in seinen Geschäften oft nach Rom. Bisweilen kam dann der andre, der junge Feine, längere Zeit zu uns hinaus und spielte dann den Herrn im Hause. Und kein Mensch fand etwas dabei.

      »Im November zogen wir in die Stadtwohnung. Wie die aussah! Überall Schmutz und Unordnung. Aber wir hatten einen feinen Salon mit seidenen Vorhängen, Plüschmöbeln und einem prachtvollen Teppich. Ich ward in dieses dunkle Loch gewiesen.

      »Ich war bereits so an das welsche Wesen gewöhnt, daß es mir schon ganz natürlich vorkam, als ob es gar nicht anders sein könnte. Auch mein Loch von Kammer machte mir nichts aus. Aus Liebe zu den Kindern und weil mein Herr gar so traurige Augen hatte, ertrug ich alles.

      »In Rom gefiel mir's ganz und gar nicht; nicht einmal im Sankt Peter. Wenn ich an die beiden Türme von unsrer Liebfrauenkirche und an den lieben Marienplatz dachte, traten mir gleich die Tränen in die Augen. Aber mit dem Heimweh war es doch besser geworden.

      »Der Herr fing an, freundlicher mit mir zu sein, wozu die Signora nur lachte. Seit der Herr mich beachtete, zeigte sie mir ihre Abneigung weniger. Damals verstand ich das gar nicht. Jetzt weiß ich, warum.

      »Sogar italienische Stunden gab mir der Herr: ich wäre ein so kluges Mädchen, und in Italien seien die Frauen so dumm. Nicht einmal seine Frau könne richtig schreiben. Sie könne nur kreischen, sich pudern und Staat machen. Ich wäre so ganz anders: so frisch, so gesund und stark! Wenn ich erst gut Italienisch schreiben könnte, sollte ich ihm bei seinen Arbeiten helfen. Ich dürfte nie sein Haus verlassen – niemals! Die Kinder hingen so herzlich an mir. Ich wäre ihnen wie eine zweite Mutter, wie ihre einzige Mutter.

      »Ich versuchte im Hause