Wollte Prisca von dem großen Genie des Signor Carlo Näheres hören, so zuckte der Knabe Checco halb ehrfurchtsvoll, halb mitleidig die Achseln und sagte mit vielem Nachdruck:
»Der? O der! Ein wahrer Michelangelo! Aber was wollen Sie? In unsrer Zeit! Bedenken Sie doch! Noch dazu ein Bildhauer! Wo Marmor doch so teuer ist! Und dann ein wahrer Michelangelo! Zu dumm!«
Weil dieser arme geniale Signor Carlo in unsrer Zeit ein wahrer Michelangelo war, würde er sicher Hungers sterben, prophezeite ihm der Knabe Checco.
Dagegen schwärmte Checco von einem andern Künstler, Mario di Mariano. So oft er von diesem sprach, glühten seine schwarzen Augen, als ob er die Mirakel eines Heiligen oder die Millionen des Herzogs von Torlonia beschriebe. In Checcos Augen war dieser wunderbare Mario di Mariano der Mann des Tages, der Bildhauer aller Bildhauer, der neue Messias der Kunst. Er war ein Neapolitaner, der Sohn eines Fischers vom Posilip. Blutjung und bettelarm war er nach Rom gekommen, hatte erst nach Jahren der rastlosesten Arbeit in dem schlechtesten Atelier der Kolonie sich einmieten können, wo er beinahe Hungers gestorben war, weil kein Mensch seine Sachen auch nur hatte ansehen, geschweige denn kaufen wollen. Und jetzt – jetzt wohnte dieser einst so armselige Mann im Palazzo Borghese, davor jeden Nachmittag die Equipagen der Fürstinnen und Herzoginnen in langen Reihen hielten. Die Ausstellung eines Werkes dieses einst so verhöhnten, jetzt so gepriesenen Mario di Mariano war ein Ereignis, das ganz Rom in Bewegung brachte; und das Werk war bereits an einen Amerikaner oder Engländer verkauft, noch ehe es aus dem Atelier kam. Jetzt besaß dieser selbe, ehemals Hunger leidende Fischerssohn die eleganteste Equipage, die berühmteste Schönheit von Rom und bei Tivoli eine Villa. Und alle diese Herrlichkeiten binnen zehn Jahren! Es geschahen in Rom eben immer noch Zeichen und Wunder.
Begierig erkundigte sich Prisca:
»Sind die Sachen dieses Herrn Mario di Mariano denn gar solche Meisterwerke?«
»Ach was!«
Sie verstand nicht. Da erklärte ihr Checco:
»Es sind nicht halb solche Meisterwerke wie die Sachen des Signor Carlo. Aber der eine versteht's eben sehr gut, der andre versteht's gar nicht. Und verstehen muß man's.«
Prisca mußte viel über diese beiden Künstler nachdenken. Den einen, ihren armen Landsmann, der es nicht verstand, bewunderte sie im stillen, während der glänzende Neapolitaner ihr Abneigung einflößte. Jedenfalls war es sehr traurig, daß man es auch in der Kunst »verstehen« mußte, um es in der Welt zu etwas zu bringen, wenn es auch nur eine Equipage, eine Maitresse und ein Landhaus war.
Höchlichst belustigte sich Priscas kleiner Kammerdiener über ihren Landsmann, den jungen Siegfried, den Todfeind alles Schönen. Er hieß übrigens Artur Freiherr von Schönaich, führte also einen wunderschönen Namen und Titel und war aus einer Familie lauter wunderschöner, großer, blonder Menschen, den Photographien seiner Eltern, Geschwister und Vettern nach zu urteilen, die er samt und sonders mit nach Rom genommen hatte, und die von Checco als eine wahre Schönheitsgalerie begutachtet wurden. Im übrigen erklärte er pathetisch, er habe bereits manchen verrückten Forestiere gesehen, aber solchen Narren, wie diesen Signor Arturo, noch niemals.
Er war seit seiner, Ankunft in Rom – Checco wußte es genau – noch nicht bis auf den Pincio gekommen, dessen Palmen und Zedern wie die hängenden Gärten der Semiramis dem Hügel vor der Porta del Popolo gerade gegenüber lagen. Die Herrlichkeiten der Villa Borghese, die er gleichfalls vor der Nase hatte, würdigte er keines Blickes; über die klassischen Linien der Sabiner- und Albanerberge ärgerte er sich nur, und einem weiblichen Modell, der größten Schönheit von Saracenesco, das sich ihm angeboten hatte, war er so grob begegnet, als wäre er der heilige Antonius von Padua und das reizende Geschöpf eine höllische Versucherin. Seine Riesenleinwand mit der staubigen Straße und der abscheulichen Alten war das Gaudium sämtlicher Modelle der Kolonie.
Noch von einem andern, höchst seltsamen Kauz erfuhr Prisca durch den Mund ihres Faktotums. Es war das auch ein Landsmann und auch ein Maler mit Namen Peter Paul Enderlin, der in ganz Rom »San Sebastiano« oder »Padre Angelico« genannt ward. Zum einen Teil seines kinderreinen und sanften Wesens wegen, zum andern, weil er seit vierzig Jahren hauptsächlich Heilige malte, mit Vorliebe San Sebastian.
Denn seit vollen vierzig Jahren lebte Herr Peter Paul bereits in Rom; und er wünschte sich nichts Besseres, als noch einmal vierzig Jahre dort leben zu können. Er gehörte zu jener würdigen, im Aussterben begriffenen Schar »alter Römer«, die noch von Viterbo her mit dem Vetturin angekommen waren und hinter La Storta an der bewußten Stelle, angesichts der Peterskuppel, das berühmte »Eccola Roma!« vernommen hatten.
Ein Jahr wollte der Zwanzigjährige in Rom bleiben. Für diesen einjährigen Aufenthalt in der ewigen Stadt hatten Eltern und Tanten, Gevattern und Basen ihr Erspartes zusammengelegt. Aber sie waren gestorben, ohne Peter Paul wiedergesehen zu haben; denn Peter Paul wollte aus Rom nicht mehr fort. Weltberühmt wollte er werden, und – nur bei den kleinen Kunsthändlern, die bei der Minerva und im Borgo beim Vatikan ihr frommes Bilderwesen für Pilger und Wallfahrer treiben, war er als Künstler bekannt; als strenger Protestant kam er nach Rom, und – ein strenger Katholik war er daselbst geworden. Er hauste seit fast vierzig Jahren inmitten des alten Rom und zwar in einem halbzerfallenen Palast, ließ keine Seele zu sich ein und betrieb, außer seiner San Sebastianmalerei, von der jedermann wußte, etwas andres, sehr Geheimnisvolles, das niemand zu sehen bekam.
Man munkelte von einem gewaltigen Gemälde, gewaltig auch im Format, daran Peter Paul in aller Heimlichkeit malte: ohne jedes Modell und seit fast vierzig Jahren. Es war zum Totlachen!
Dieser wunderliche Heilige besuchte Abend für Abend in der Künstlerkolonie auf der schönen Höhe vor der Porta del Popolo eine gute Freundin, die sein weibliches Gegenstück war.
Es war dies das bereits recht ältliche Fräulein Friedrike Baumbach, die Tochter eines Berliner Wirklichen Geheimrats, die ihrer Zeit Vater und Mutter, Berlin und Preußen verlassen hatte, um mit Leib und Seele Rom anzuhangen. Sie trug noch immer die Gewänder aus ihrer wohlhabenden geheimrätlichen Jugendzeit: schwarz im Winter und hell und bunt geblümt im Sommer, und ward in den römischen Villen stets mit einem gewaltigen Pompadour gesehen, darein sie die heimlich gepflückten Kamelien und Rosen, Rhododendron und Orangenblüten versteckte. Seit dreißig Jahren kopierte sie in römischen Galerien und hatte, einer boshaften Legende zufolge, seit dreißig Jahren noch keine einzige Kopie an – den Engländer gebracht.
Jeden Sonntagvormittag verbrachte sie, ebenfalls seit dreißig Jahren, gemeinsam mit dem getreuen Peter Paul im Kapitolinischen Museum, und jeden Sonntagnachmittag, bei Sonnenglut und Winterkälte, wandelten die beiden einträchtiglich auf den Palatin. Es gehörte einfach zu den unmöglichen Dingen, daß in Rom ein Kirchenfest oder die besondere Feier eines Heiligen stattfand, ohne daß die zwei Unzertrennlichen dabei zu sehen waren. Einen Tag in der Woche fuhren sie regelmäßig mit dem Vetturin – beileibe nicht mit der Bahn! – nach Frascati, Albano oder Fiumicino. Beide haßten ihre liebe deutsche Muttersprache und beide sprachen noch immer das Italienische mit der heimatlichen Klangfarbe: der gute Herr Peter Paul als echter Schwabe und das gute Fräulein Friedrike Baumbach als echte Berliner Geheimratstochter.
Gemeinschaftlich aßen sie in einer Trattorie, die vom Römischen das Allerrömischste war, haßten jeden Neuling, der in ihre ewige Stadt eindrang, verkehrten mit Begeisterung in einigen römischen Familien sehr zweifelhaften Charakters, die sie jedoch für das Muster aller Gentilezza hielten, und wären imstande gewesen, die modernen Römer, die das moderne Rom geschaffen hatte, durch Gift oder Dynamit aus der Welt zu bringen.
Die boshafte Fama behauptete, daß sie seit dreißig Jahren sterblich ineinander verliebt wären, sich aber nicht