Zu diesen beiden eigentümlichen Exemplaren von Römlingen fühlte sich Prisca trotz der hämischen Schilderungen ihres Pagen ungemein hingezogen, und eines schönen Tages entschloß sie sich, dem Fräulein Friedrike Baumbach einen Besuch abzustatten.
10. Alte Rφmer
Um der Berliner Geheimratstochter möglichste Ehre zu erweisen, putzte sich Prisca zu dem Besuch nach Kräften heraus und machte sich dann auf den Weg.
Es war Nordwind und grimmig kalt. Selbst Priscas hell glühende Begeisterung mußte zugeben, daß der Mensch auch in Rom gehörig frieren konnte; und sie bedauerte lebhaft, Muff und Pelzkragen in München zurückgelassen zu haben. Das Glöcklein hatte jedoch bei dem Gedanken, nach Rom Muff und Pelzkragen mitzunehmen, vor Entrüstung geradezu Sturm geläutet.
»Aber ich bitte dich, liebe Lange, du wirst damit in Rom einfach ausgelacht!«
Und ausgelacht zu werden, war für das arme lächerliche Glöcklein eine entsetzliche Sache; nur eines konnte noch schrecklicher sein: beim Cercle von den höchsten Herrschaften geschnitten zu werden.
Der Knabe Checco mußte die Neue bei der Signorina feierlich anmelden, welche Zeremonie er mit der Gewandtheit eines erfahrenen Hoflakaien ausführte. Er blieb lange aus und kehrte zu der im Garten wartenden und vor Frost zitternden Prisca mit dem Bescheid zurück: es würde der Signorina sehr angenehm sein.
Dann schilderte er mit den Gesten und der Mimik eines Komikers par excellence die Szene, wie die Signorina mit dem San Sebastian, der zufällig bei ihr war, Rat abgehalten, und wie darauf die beiden alten Römer einen feierlichen Empfang der Neuen vorbereitet hatten. Padre Angelico wollte in das Atelier seiner Freundin etwas Ordnung bringen und sogar abstäuben, was jedoch das Fräulein absolut nicht gelitten hatte.
Halb neugierig, halb befangen betrat Prisca das Atelier ihrer Landsmännin, fand jedoch nur die Dame anwesend.
Die Geheimratstochter empfing sie mit steifer Würde in einem abgetragenen schwarzen Merinokleid, einem schwarzen Spitzentüchlein um den ergrauten Kopf, am Arm den bewußten famosen Pompadour.
Sie mochte ehemals eine sehr reizende Dame gewesen sein, die jedem Berliner geheimrätlichen Salon zur Zierde gereichte; jetzt war sie, trotz der stattlichen Haltung, ein vertrocknetes Geschöpf, das etwas Verkümmertes, ja Verkommenes hatte. So wenigstens war Priscas erster Eindruck; und das Mitgefühl, das sie sogleich für die deutsche Kollegin empfand, wuchs augenblicklich zu einem warmen, starken Mitleid. Verfehlte Hoffnung, schwere Enttäuschung, langes, tief verschwiegenes Leid, heimlich erduldete große Not – von allen diesen trostlosen Dingen erzählte das würdevolle, welke Gesicht des armen alten Fräuleins eine lange, traurige Geschichte.
Prisca wurde mit dem steifen Anstand des ersten Empfanges auf einen Gegenstand, der einen Diwan vorstellen sollte, zum Sitzen genötigt; Fräulein Friedrike Baumbach nahm neben ihr Platz, hielt sich kerzengerade und leitete alsdann mit der Neuen, die sicherlich nicht die mindeste Befugnis hatte, nach Rom zu kommen, das Gespräch ein.
»Also, Sie sind aus München?«
Prisca mußte einräumen, daß sie aus dieser Stadt sei.
»Und Sie sind Malerin?«
Auch das konnte Prisca nicht leugnen.
»Und Sie kamen nach Rom? ... Mein Gott, jetzt kommt alle Welt nach Rom, seitdem es überall Eisenbahnen gibt. Mein alter Freund Peter Paul – Sie werden ihn kennen lernen, ein großer Künstler, der eines Tages weltberühmt sein wird, kam mit dem Vetturin von Viterbo durch die Porta del Popolo hier an. Das waren damals andre Zeiten! Aber davon können Sie sich natürlich keine Vorstellung machen. Überhaupt – was wissen denn diese Neuen von Rom? Von Roma vecchia, wissen Sie!«
Prisca gestand schüchtern, daß sie nichts davon wüßte, gar nichts! Und daß ihr das schrecklich leid täte; daß sie hoffte, von Fräulein Baumbach etwas davon zu erfahren. Es würde sie so interessieren!
Die Geheimratstochter schaute aus ihren matten Augen auf das Münchner Kind, welches gar nicht so übel zu sein schien. Wenn es sich nur nicht in den Kopf gesetzt hätte, ebenso wie alle Welt auch, gerade nach Rom zu kommen.
»Lieber Gott, was wollen Sie denn eigentlich in Rom?«
Prisca begann sich ganz schuldig zu fühlen. Ja, was wollte sie eigentlich in Rom?
Schüchtern legte sie das Geständnis ab, daß sie hergekommen sei, um in Rom zu malen.
»Zu malen!«
Es sollte ein Auflachen sein, klang jedoch mehr wie ein ersticktes Stöhnen. Prisca war erschrocken zusammengefahren, so schrill und dabei so tief schmerzlich war der Ton gewesen.
Eine Pause entstand.
Während derselben ließ Prisca ihre Augen durch das Atelier der Berlinerin schweifen ... Also so sah es bei einer alten Römerin aus! Fetzen von verschossenen Stoffen garnierten die Mauern, Lappen von alten Teppichen lagen auf dem häßlichen, selten gesäuberten Fußboden aus Ziegelsteinen. Fetzen und Lappen auf Kisten und Kasten, hingen als Draperie an dem schmutzigen Fenster, über dem feuerlosen Kamin; Fetzen und Lappen überall, wo Armseligkeit verdeckt werden sollte. Und zwischen den vielen, vielen bunten Fetzen und Lappen, aus denen sozusagen die ganze Einrichtung der alten Römerin bestand, bemalte Tamburins und bunte Wasserkrüge mit verstaubten Palmenblättern, mit verstaubten Zypressen-, Öl- und Steineichenzweigen, verstaubten Disteln, Kannenrohr und Tiberschilf.
Dann ein Museum antiker Marmorstücke, Ton- und Glasscherben, in dem großen schwarzen Pompadour mühselig herbeigeschleppt: ein Stücklein vom alten Rom.
Ja, und dann die Bilder! Alle die unverkauften Kopien der völlig talentlosen armen Berliner Geheimratstochter ... Kopien von Tizians »Irdische und himmlische Liebe«, von Guido Renis »Aurora«, von Carlo Dolces »Heilige Agnes«, Raffaels »Fornarina« und von dem populärsten römischen Frauenbildnis: der unglückseligen, holden Beatrice Cenci. Kopien der Beatrice Cenci zu Dutzenden, in allen Größen!
Prisca überlief ein Schauder. Sie war ganz blaß geworden, so blaß, das Fräulein Baumbach besorgt fragte, ob sie sich unwohl fühle.
»Es ist so kalt.«
»Kalt? Aber meine Liebe, wie können Sie es kalt finden? Kalt in Rom! Ich lebe volle dreißig Winter hier und habe es noch niemals kalt gefunden. Wenn Sie es schon jetzt und bei mir hier kalt finden, werden Sie sich niemals eingewöhnen. Da hätten Sie besser getan, in ihrem München zu bleiben, wo ja wohl die vielen modernen Kunstausstellungen sind und alle die modernen Maler wohnen. In Rom friert der Mensch nicht. Merken Sie sich das!«
Prisca, deren Schuldbewußtsein wuchs und wuchs, senkte ganz verzagt den Kopf. Aber nur einen Augenblick. Dann sah sie aus ihren mächtigen, strahlenden Augen der niemals Frierenden lächelnd ins Gesicht, faßte, ehe diese sich dessen versah, ihre beiden Hände und drückte sie herzhaft.
Wie eisigkalt diese armen, fleißigen Hände waren, die alle diese vielen, vielen unverkauften Kopien gemalt hatten! Ganz erstarrt und steif vor Frost, trotzdem der Mensch in Rom nicht fror. Zugleich entdeckte Prisca auf dem Tisch einen kleinen Henkeltopf aus glasiertem Ton. Das Gefäß füllte Asche, in deren Mitte einige verglühende Kohlen funkelten.
Es war dies jedenfalls der »Ofen«, der die alte Römerin seit dreißig Jahren wärmte, bei dessen Glut sie niemals fror!
Ganz verdutzt durch den plötzlichen herzhaften Händedruck der Neuen, die auch nach Rom gekommen war, um in Rom zu malen, wozu sie sicher durchaus keine Befugnis besaß, wollte die Geheimratstochter sich noch steifer auf ihrem mit Kissen belegten und mit Fetzen bedeckten, einen Diwan repräsentierenden Koffer in die Höhe richten.