»Lieber Gott, Sie scheinen ja eine ganz nette junge Dame zu sein! Wenn Sie doch nur nicht hergekommen wären, um hier zu malen ... Verzeihen Sie einer alten Römerin, sie meint es gut mit Ihnen,« setzte sie fast herzlich hinzu.
Die Bekanntschaft des Herrn Peter Paul machte Prisca an diesem für sie so denkwürdigen Vormittage nicht. Fräulein Friedrike entschuldigte ihren langjährigen Freund:
»Er hat mich zwar heute vormittag ausnahmsweise in einer wichtigen Angelegenheit besucht; aber fremde Menschen sieht Peter Paul um diese Zeit nie. Es würde ihn ganz aus der Stimmung reißen. Und wenn er nicht in Stimmung ist, kann er nicht arbeiten. Stimmung ist bei Peter Paul alles. Und wo auf der Welt könnte er diese leichter finden als in Rom? Darum ist Rom auch der einzige Ort, wo er ...«
Mitten im Satze brach sie ab, als wäre sie im Begriff gewesen, dieser wildfremden Person ein Geheimnis zu verraten. Sie nahm eine womöglich noch hoheitsvollere Haltung an und fuhr mit ihrer würdevollsten Miene zum Lobe ihres Freundes fort:
»Er läßt in sein Atelier niemals sogenannte Romreisende ein; darum ist er auch lange nicht so bekannt, als er verdient. Er ist stolz. Ein stolzer Künstler hat es natürlich viel schwerer, bis er durchdringt. Aber mein Freund wird durchdringen! Überhaupt – ginge es auf der Welt gerecht zu, so müßte er längst ein berühmter Mann sein. Nun, das tut weiter nichts. Peter Paul ist darum doch ein großer Künstler. In seinen San-Sebastian-Darstellungen ist er unerreichbar. Sie werden ja selbst sehen. Er wird sich gestatten, Ihnen seine Aufwartung zu machen, was er eigentlich noch niemals getan hat, indem er noch mehr als ich es vermeidet, fremde Menschen kennen zu lernen. Noch dazu Deutsche! Und vor allem Künstler! Verzeihen Sie, liebes Fräulein; aber wenn Sie erst vierzig oder auch nur dreißig Jahre in Rom gelebt und die deutschen Künstler in Rom kennen gelernt haben, werden Sie unsre Zurückhaltung begreifen. In Rom braucht der Mensch überhaupt keinen Verkehr. Werden Sie glauben, daß wir: ich, die ich schon dreißig Jahre, und Peter Paul, der schon vierzig Jahre hier lebt, eigentlich noch immer nicht gut Bescheid in Rom wissen? Man braucht dazu mehr als ein Menschenleben. Hüten Sie sich also vor der Einbildung, daß Sie sich sobald auch nur annähernd hier auskennen werden.«
Prisca versprach ihr möglichstes, sich von diesem Wahn freizuhalten, eine Versicherung, die Fräulein Friederike sehr wohlwollend aufnahm.
»Ich sehe, Sie werden einmal eine Ahnung bekommen von dem, was Rom ist, was es immer noch bedeutet, trotz aller Verwüstungen dieser modernen Barbaren, die sich die neuen Römer nennen, und die verdienen, durch die Verachtung der ganzen gebildeten Welt gebrandmarkt zu werden. Die Bedeutung Roms nach einer Reihe hier verlebter Jahre auch nur zu ahnen, ist ein köstliches Glück. Ihnen werden die Augen aufgehen, wenn Sie erst gelernt haben, sie in Rom zu gebrauchen. Das erste ist, daß Sie sehen lernen müssen. Lassen Sie sich also um Himmels willen nicht einfallen, hier gleich zu malen. Fangen Sie nicht eher mit dem Malen an, als bis Sie sehen lernten. Also vielleicht in drei bis vier Jahren! Aber daß Sie überhaupt malen wollen? ... Mein liebes Fräulein, ich meine es wirklich gut mit Ihnen.«
Prisca fühlte das. Und weil sie das warme Gutmeinen der armen Geheimratstochter erkannte, so konnte sie nicht verhindern, daß ihr etwas beklommen zumute ward; »wieder einmal«, wie sie sich selbst ausschalt. Als sie nach einem fast herzlichen Abschied durch die Rosen- und Lorbeerhecken nach ihrem geliebten, aber ach! so kalten Studio zurückging, ward ihre Seele von einem Frosthauche durchweht, den sie aus dem Zimmer der Berlinerin mit sich genommen hatte, und alle Pracht der Blüten ringsum, aller Glanz des sonnigen Tages kam ihr unwahrscheinlich vor wie märchenhafte Dinge. Und immer wieder tönte es in ihrem Innern nach: ›Erst Rom sehen lernen und dann erst ...‹ Und auch dann hätte sie, die Kleine, Armselige, Zwerghafte, in dem Rom eines Michelangelo, eines Raffael keinen Pinsel anrühren dürfen.
So riet ihr jemand, der es gut mit ihr meinte und der es wissen mußte.
Genau nach der Regel der guten Welt wurde Priscas Visite den zweiten Tag darauf erwidert. Fräulein Friedrike erschien in einem schwarzen Federhut und einer schwarzen, mit langen Seidenfransen besetzten Mantille nach der Mode der sechziger Jahre. Sie wurde von Herrn Peter Paul begleitet, der in einem kaffeebraunen, altväterischen Leibrock prangte und einen grauen, breitrandigen Filzhut bei sich führte, eine Form der Kopfbedeckung, wie sie die Häupter der Rompilger zu Anfang des Jahrhunderts geziert hatte.
Selbstverständlich trug der alte Herr bis auf die Schultern herabfallendes Haar. Es war schneeweiß und umrahmte ein feines, rosiges Gesicht mit einem Kinderausdruck und hellen, unschuldigen Augen. Zu diesem liebenswürdigen Antlitz, an dem Prisca sogleich ihre herzliche Freude hatte, paßte die zarte und zierliche Gestalt des alten Römers ausnehmend gut.
Auf den Besuch vorbereitet, hatte Prisca die deutsche spießbürgerliche Ordnung und Sauberkeit, die in dem im übrigen sehr öden Raum herrschte, dadurch zu erhöhen gesucht, daß sie ihr bereits am dritten Tage – man denke! – in Rom angefangenes Bild »Römischer Lorbeer mit Rosen« und sämtliche aus München mitgebrachten Skizzen voll ängstlicher Scheu versteckt hatte: aus Feigheit, wie sie sich ehrlich gestand. Auf dem Tische prangte als einziger Schmuck in einem hübschen bunten Tonkrug, den Checco für das Dreifache seines Wertes für seine Signorina eingehandelt hatte, ein mächtiger Strauß frischen Grüns, dessen Knospen – es war noch nicht erblühter Laurustinus – rosig glänzten.
Das Gespräch kam natürlich auf Rom, auf die alten Römer, die alten Zeiten, die alten Künstler, die alten Ideale. Herr Peter Paul plauderte allerliebst von diesen Dingen, mit einem feinen, hellen Stimmchen in der Sprache seiner Heimat, die er in Rom verleugnete, wie auch die Tochter des Herrn Geheimrats trotz ihres Berliner Dialektes sich durchaus als echte Römerin fühlte. Prisca fiel auf, wie sehr gerade diese beiden das ihrer Nationalität Eigentümliche beibehalten hatten, so daß beide noch jetzt als Typen ihrer Heimat gelten konnten.
Einigemal schwenkte die Unterhaltung von Rom ab, was Prisca benutzte, um ein Wörtlein zu Ehren ihres lieben, alten Münchens einzuschalten, wobei sie auch das dortige Kunsttreiben berührte. Sie nannte die gefeierten Namen Lenbachs und Stucks und sprach von der Sezession und deren siegreichen Kämpfen. Da sie von diesen scharfen Tagesfragen sich selbstredend ganz fern gehalten hatte, für sich nichts andres verlangte, als ihr Talent voll ausleben zu lassen, und da sie ferner alles gelten ließ, was mit wirklichem Können dargestellt und zugleich ehrlich empfunden war, so redete sie von dem deutschen Kunstwesen mit leidenschaftsloser Objektivität, freudig anerkennend und nur ungern und zaudernd absprechend.
Bald jedoch wurde sie aus ihrem ruhigen Wesen aufgeschreckt, indem sie gewahrte, wie Fräulein Friedrike ihr verstohlen heftige Zeichen machte, sie bittend, zu schweigen. Als sie in ihrer Verwirrung ihren andern Besuch ansah, erschrak sie über den Ausdruck, den das feine Greisenantlitz plötzlich angenommen hatte. Unruhe, Angst und noch ein andres, wofür Prisca nicht gleich den Namen fand, malte sich auf den Zügen des alten Heiligenmalers in solcher Stärke, daß sie sogleich verstummte.
Um das Peinliche der Situation zu mildern, erklärte Fräulein Friedrike in möglichst gleichgültigem Tone:
»Sie sind, ich muß es Ihnen wiederholen, noch vollständig unbekannt damit, wie der Mensch, für den Rom keine Stadt mit Ruinen, sondern ein erfülltes Ideal bedeutet, hier lebt, wie wir, Herr Peter Paul und meine Wenigkeit, hier leben. Uns beiden bedeutet Rom die ganze Welt. Sie sprachen von Lenbach und Stuck, von Sezession und so weiter. Mein Gott, wir beiden wissen kaum, wer Lenbach und Stuck sind, und was für ein Wesen die Sezession in München ist. Wir kümmern uns nicht um diese Menschen und diese Dinge. Wir kümmern uns nur um Rom, um unser Rom! Peter Paul malt seit vierzig Jahren seine lieben, herrlichen Heiligen, besonders seinen unübertrefflichen San Sebastian – Sie sind darin unübertrefflich, mein Bester! – und meine Wenigkeit kopiert seit dreißig Jahren Raffael und Guido Reni, Tizian und Leonardo da Vinci.
»Das sind Namen, das waren Männer, das ist Kunst! Und das bleibt ewig Kunst, das einzig und allein.«
»Wir wissen hier also von keiner modernen Zeit; ausgenommen