Und in ihr tief erregtes Gemüt zog ein feierlicher Friede, ein großes, festliches Glücksgefühl.
8. Unter Lorbeer und Rosen
Auf einem Hügel bei der Villa Borghese, zwischen hohen Lorbeer- und Laurustinuswänden, durch Rosenhecken von der Welt abgeschlossen, eine kleine Kolonie von Künstlerbehausungen, und Prisca die glückselige Bewohnerin eines solchen Wunderbaus.
Rings um sie her Ateliers und Kollegen!
Es kostete sie einen kleinen Kampf, bevor sie sich entschloß, dem guten Glöcklein das Entsetzliche mitzuteilen. Nachdem sie das Geständnis abgelegt, überhäufte sie sich mit Vorwürfen, die Gemütsruhe des treuen Geschöpfes gestört zu haben. Zum Glück hatte sie verschwiegen, daß ihr deutscher Reisegefährte, dessen ihre ehrliche Künstlerseele sich geschämt hatte, jene junge, strahlende Siegfriedgestalt, ihr nächster Nachbar geworden war.
Übrigens kümmerte sie sich vorderhand gar nicht um ihre malenden und meißelnden Kollegen, sie hatte zuviel mit sich selbst zu tun. Die Herrlichkeit Roms überwältigte sie, und sie war dem Ansturm von Eindrücken gegenüber machtlos. Wie würde das Chaos jemals sich ordnen, wie sollte sie in dem Schwall von Schönheit sich jemals zurechtfinden, jemals so weit zur Ruhe gelangen, daß sie mit festem Geist und sicherem Blick aus der Überfülle von Motiven dasjenige herausgriff, was für sie naturgemäß war?! Allein römisches Licht und römische Luft leidlich anständig auf die Leinwand zu bekommen, bedurfte sie einer vollständig neuen Technik, deren Schwierigkeiten sie anfangs ratlos machten.
Das beschämende Gefühl ihres Nichtkönnens, das grausam klare Bewußtsein ihrer Unzulänglichkeit, ihrer jammervollen Kleinheit, überfiel sie oft mit solcher Gewalt, daß sie tagelang umherschlich, als hätte sie das römische Fieber. Sie war unfähig, Pinsel und Palette anzurühren. Jeder Blick aus dem Fenster ihres Ateliers erfüllte sie mit schmerzlicher Wonne, und Tag für Tag entrang sich ihrer Seele der Entzückungsruf – der Angstschrei:
›Heilige Gottheit, wie schön! Wie unsäglich schön! Wer das malen könnte! ... Ich kann es nicht.‹
Aber Tag für Tag nahm sie sich kräftig ins Gebet: ›Holla, meine liebe Lange! Was ist denn das mit dir? Du bist ja das schwächlichste, erbärmlichste, unnützeste Malerwesen, das die Sonne bescheint. Noch dazu ist es die Sonne Roms, du jammervolle Kreatur! Gleich benimmst du dich anständig! Wer eine neue Sprache lernen will, der muß mit dem Abc anfangen. Also tapfer buchstabiert, mein Fräulein! Rom ist nicht in einem Tage erbaut – Rom malen wird nicht in einem Tage gelernt. Mutig begonnen, sonst ist eine gewisse Prisca Auzinger das erbärmlichste Geschöpf auf der Welt. Was würde das Glöcklein dazu sagen? Das würde ein Gebimmel hören lassen. Pfui, schäme dich, Lange!‹
In solcher Weise las sie sich gehörig den Text, was wenigstens so viel bewirkte, daß es sie aus ihren tatlosen Träumereien riß und ihr am Ende der zweiten Woche ihres römischen Aufenthaltes – allerdings etwas gewaltsam – den Pinsel in die zögernde Hand drückte, um das erste beste: eine von Rosen durchrankte Lorbeerwand, unter strahlendem Himmel, in strahlender Luft abzukonterfeien.
Selbst das war schwer genug!
Mit dumpfer Verwunderung sah sie zu, wie ihr germanischer Nachbar, der junge Siegfried, vor seinem Atelier eine gewaltige Leinwand aufspannte und ganz unverfroren frisch drauflos pinselte. Das häßlichste aller Modelle Roms ließ er der Länge nach in allen seinen Lumpen auf dem staubigen Boden mitten in der Sonne sich lagern. Das war das »Bild«.
Rom nach allen Richtungen durchstreifend, war Prisca noch immer nicht im Vatikan gewesen. Sie wollte sich erst etwas mehr sammeln und fassen, sich erst mehr vorbereiten auf das Größte unter all dem Großen.
Aber bei ihrer rückhaltlosen Aufrichtigkeit gegen sich selbst, erkannte sie ganz richtig, daß dies nur ein Vorwand und der eigentliche Grund dieser Unterlassungssünde Schwäche und Feigheit war.
Fast täglich kamen Briefe aus München vom Glöcklein. Das kleine Wesen behauptete steif und fest, gar keine Sehnsucht nach ihrer lieben Langen zu empfinden und mit Hilfe ihrer unerschöpflichen herzoglichen Menüs so vergnügt wie Gott in Frankreich zu leben – wäre in Rom nur eines nicht gewesen: jene lorbeerumgrünte, rosendurchduftete Künstlerkolonie auf dem Hügel bei der Villa Borghese! Die reizvolle Niederlassung deuchte der kleinen Hofdame tausendmal schrecklicher als Jesuitenhotel und Löwenrachen zusammengenommen. In einem ihrer Briefe berichtete sie, daß die gute Frau Pirngruber bei ihr gewesen sei, um sich zu erkundigen, ob das »liebe« Fräulein Auzinger noch immer nicht ihre arme Fanni besucht habe.
Den nämlichen Tag, da diese leise Mahnung aus bedrängtem Mutterherzen in Rom eintraf, trat Prisca, einer schmählichen Selbstsucht sich anklagend, den Weg zu ihrer alten Schulkameradin an.
Der Cavaliere Ottavio Brugnoli wohnte am Barberinischen Platz. Prisca mußte die enge, finstere, schmutzige Steintreppe bis zum obersten Stock hinauf.
Oben stand die Tür weit offen, eine kreischende Frauenstimme, wüstes Kindergeschrei, ein brutales Schimpfwort aus Männermund drangen aus der Wohnung auf den Flur.
Zaudernd blieb Prisca vor der Schwelle stehen.
Eine Klingel existierte nicht, und ihr etwas beklommener Ruf ging bei dem Getöse verloren. Also schritt sie endlich vorwärts durch einen Flur, der einer Rumpelkammer glich, einem Zimmer zu, dessen Tür angelehnt stand.
Sie schaute hinein, und sie sah:
Einen großen, öden Raum, der seit Wochen nicht in Ordnung gebracht worden zu sein schien, mit einer weit offenen, auf eine Terrasse hinausführenden Tür, in der Mitte des Zimmers ein mächtiges, zerwühltes Bett; und darauf, halb angekleidet, ein nicht mehr junger Mann, mit einem so fein und edel geschnittenen Gesicht wie eine griechische Kamee. Er rauchte Zigaretten und trank schwarzen Kaffee. Dabei diktierte er – der Cavaliere war seines Zeichens Journalist – einer schwarzgekleideten Frauensperson mit ungekämmtem Haar einen wütenden politischen Leitartikel. Vielmehr, er schrie seine galligen Ausfälle gegen die Regierung mit heiserer Stimme seiner Sekretärin zu. Sie schrieb ihm nicht rasch genug, so daß er seine donnernde Philippika jeden Augenblick unterbrach, um sie mit Schimpfworten zu überschütten.
Die Schreiberin saß von der Beschauerin abgewendet, so daß Prisca nur ein kleines Stück des Gesichts erblicken konnte: eine hagere, fahle Wange. Sie wußte selbst nicht, wie sie dazu kam, aber sie rief plötzlich laut und angstvoll:
»Fanni!«
Niemals in ihrem Leben hatte Prisca ein solches Erbeben, solches Erschrecken gesehen. Als wäre ihr Name von einer Geisterstimme gerufen worden, fuhr das Mädchen in die Höhe und stand da in sprachlosem Entsetzen, zitternd vom Kopf bis zu den Füßen.
Der Schreck der Angerufenen übertrug sich auf Prisca, denn dieses verwahrloste, welke, kranke, jammervolle Geschöpf war die einstmals so frische, blühende, übermütige Fanni!
Ohne sich an den schönen Herrn auf dem schmierigen Bett zu kehren, eilte Prisca auf die Bebende zu.
»O Fanni, was fehlt dir? Du bist krank, Fanni! Du bist sehr krank! Erkennst du mich nicht? Ach, Fanni, so sprich doch!«
Aber Fanni stand regungslos und starrte mit weitaufgerissenen Augen auf die Angekommene, als sähe sie eine Erscheinung, zitterte und schwieg.
»Sage mir doch, was mit dir ist.«
Aber Fanni schwieg.
Da rief Prisca:
»Ich komme aus München. Ich soll dich von deiner Mutter grüßen.«
»Meine Mutter!«
Es war wie ein erstickter Aufschrei, ein Schluchzen, ein Stöhnen ... Der schöne Herr auf dem schmierigen Bett