Die wichtigsten Werke von Richard Voß. Richard Voß. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Richard Voß
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027223008
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du mich. Ich habe dich gesucht – durch ganz Moskau! Niemand wußte von dir. Ich habe dich gesucht, bis ich dich an dem Fenster dieses entsetzlichen Hauses sah. Begreifst du nicht? Begreifst du nicht, daß ich halb toll bin, halb toll vor Liebe, vor Sehnsucht, vor Qualen – –«

      »Gehen Sie hinüber und sagen Sie das Anna Pawlowna, Anna Pawlowna wird Ihnen darauf Antwort geben.«

      »Du sollst mir darauf Antwort geben und du wirst mir darauf Antwort geben; denn du liebst mich noch immer!«

      »Nein.«

      »Das lügst du!«

      »Glauben Sie, was Sie wollen. Ich gehe jetzt, Leben Sie wohl!«

      Und sie näherte sich der Tür.

      Boris folgte ihr, faßte sie am Arm, hielt sie fest.

      »Höre, Wera,« raunte er ihr zu, »du bist von Sinnen, aber du wirst zur Besinnung kommen. Morgen verlasse ich Moskau – mit dir! Du wirst es dir überlegen und du wirst mir Antwort geben, noch heute! Drüben, bei der Prinzessin, ist heute nacht ein Fest; ich kenne das Fenster des Zimmers, das du bewohnst; eins der Fenster des Saales liegt dem deinen gerade gegenüber. Wenn du an das Fenster trittst, so heißt das, daß du es dir überlegt hast und zur Besinnung gekommen bist. Morgen hole ich dich dann. Wirst du mir Antwort geben?«

      »Boris Alexeiwitsch, leben Sie wohl.«

      Aber er ließ sie nicht fort.

      Ganz fahl im Gesicht, stieß er zuckenden Mundes hervor: »Ich will dich haben! Du bist in meiner Macht und ich will dich haben! Wenn du mir heute nacht keine Antwort gibst, wenn du den Versuch machst, mir ein zweitesmal zu entfliehen: deine Freunde sind in meiner Gewalt, ihre Freiheit, ihr Leben hängt von mir ab. Vielmehr von dir! Denn wenn du – – Aber es ist ja Tollheit! Welcher Unsinn von mir, dir zu drohen, welcher Wahnsinn von dir, mir trotzen zu wollen. Du mir trotzen! Als ob du diese ganze Zeit an etwas anderes gedacht hättest, als daß du mich liebst und mich geküßt hast und in deiner Seele mein ewiges Eigentum bist! Als ob du dich nicht nach mir gesehnt und die Nächte wachend verbracht hättest, in heller Raserei deines Verlangens nach mir! Du müßtest nicht auch ein Weib sein. Aber dein unsinniger Stolz! Doch jetzt hast du mir genug Widerstand geleistet, du hast deinem Stolz Genüge getan; denn wie ich dich kenne, eine Schwärmerin die du bist, hast du dich aus Sühne in dieses abscheuliche Haus sperren lassen; aus Sühne, weil du im Geiste hundertmal die Meine gewesen. – – Wie diese graue Kutte und diese niederträchtige Haube dich entstellen! Nicht wahr, Wera, du bist jetzt verständig? Wir sind beide jung, wir wollen beide leben, oder bist du etwa eifersüchtig auf Anna Pawlowna? Das ist dir zum Trotz geschehen, und weil ich mich ohne dich halb zu Tode gelangweilt. Daran bist du schuld, du und meine unsinnige Liebe zu dir! Weißt du: dein Haar, das du dir abgeschnitten hattest, habe ich mit mir genommen.«

      Wera war nicht imstande, ihn länger anzuhören. Von einem unsäglichen Ekel gefaßt, unsägliche Verachtung im Blick, wandte sie sich von ihm: »Ich werde Ihnen Antwort geben.«

      Er jubelte auf.

      »Dann kommst du auch mit mir,« rief er triumphierend. »Ich habe es gewußt.«

      »Boris Alexeiwitsch – ich werde Ihnen diese Nacht auf Ihre Frage Antwort geben.«

      Und sie ging.

      Kaum in ihre Kammer zurückgekehrt, rief der Ostergottesdienst sie wieder hinunter. Aber während desselben überfiel sie eine Schwäche, daß Fania sie hinaufführen mußte. Sehr bald erholte sie sich; indessen sollte Fania bei ihr bleiben. Dann vernahmen sie das Ostergeläut. Es war wie ein Sturm himmlischer Töne. Wera raffte sich vom Bette auf, trat schwankend ans Fenster, blickte hinaus. Noch war es nicht Zeit, noch waren drüben die strahlenden Säle leer; aber die Straße wimmelte von Volk. Wera sah, wie sich die Leute in die Arme sanken und sich küßten, hörte sie sich mit dem Ostergruß grüßen: »Glückseliges Auferstehen!«

      Auch Fania warf sich an Weras Brust, küßte sie auf Mund, auf Stirn und Wangen und sprach die heiligen Worte: »Wera Iwanowna – glückseliges Auferstehen!«

      »In Ewigkeit, Amen,« erwiderte Wera feierlich.

      Dann schickte sie Fania hinaus.

      Siebenundzwanzigstes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Seit Anbruch der Dämmerung trieb sich Sascha vor dem Palast Anna Pawlownas umher. Er sah die letzten Vorbereitungen zum Fest, wie in der Einfahrt die Teppiche gelegt und die Blumen aufgestellt wurden. Darauf begab er sich zum letztenmal in das Haus des Popen und hinunter in den Keller, wo er eine Kerze anzündete und mit dem Licht in den Stollen kroch. Wie erstaunte er, als er das Wasser, welches sich in dem engen Graben in großer Menge angesammelt hatte, gefroren fand. Der ganze Gang war mit Eis und Reif überzogen; wo der Schein von Saschas Kerze hinfiel, war's ein Flimmern und Funkeln, als ob sämtliche Brillanten der Welt um den Nihilisten aufgehäuft lägen.

      Sascha fand das Sprengmaterial an Ort und Stelle; wie eingemauert steckte es im Gestein! Auch der Zündfaden war in bester Ordnung und vollkommen trocken, so daß er vortrefflich brennen würde und von einem Anstecken der Mine vermittels Lunten nicht länger die Rede zu sein brauchte. Hierüber völlig beruhigt verließ er den Stollen.

      Im Keller stieß er auf Colja, der ihn suchte und ihm ein Billett vom Exekutivkomitee überbrachte, das Sascha las und dann, trotzdem es in einer Geheimschrift geschrieben war, sorgfältig über dem Lichte verbrannte.

      »Höre, Colja.«

      Colja hörte.

      »Wenn du Wladimir Wassilitsch siehst, so sage ihm doch, daß ich den Befehl erhalten hätte, gleich nach Mitternacht, gleich nachdem die Sache geschehen – du verstehst – nach Petersburg abzureisen. Bestelle ihm das.«

      Colja verstand und Colja wollte es Wladimir Wassilitsch bestellen – wenn er ihn sehen sollte.

      »Natürlich siehst du ihn, wenn du in den Keller kommst, um ihm zu sagen, daß Wera auf der Straße das Zeichen gegeben hat.«

      Richtig; natürlich sah Colja Wladimir Wassilitsch. Er hatte es ganz vergessen.

      »Und dann sage Wladimir Wassilitsch doch, daß das Wasser im Stollen gefroren sei; auch der Faden ist ganz trocken, die Lunten sind unnötig.«

      Diese Nachricht regte sogar Colja auf. Er murmelte und brummte und fuchtelte mit den Armen in der Luft herum. Was? Das Wasser im Stollen gefroren? Auch der Faden ganz trocken? Die Lunten waren nicht mehr nötig? Das wäre denn doch – –

      »Ja,« meinte Sascha, »man kann jetzt ganz ruhig sein. Furcht ist unnötig.«

      Als ob Colja Furcht gehabt hätte? Als ob er nicht ruhig gewesen wäre?!

      Dann schickte sich Sascha zum Gehen an.

      »He, Colja, kommst du nicht mit?«

      Nein, Colja wollte bleiben, er mußte ja auf Wladimir Wassilitsch warten.

      »Den siehst du später. Daß du ja auf der Straße bist, wenn Wera das Zeichen gibt.«

      Colja versprach, alles zu rechter Zeit zu tun; jetzt wollte er noch im Keller bleiben. Er würde dann schon hinaufgehen und aufpassen.

      Als Sascha gegangen war, löschte Colja das Licht, steckte es in die Tasche, wo er auch die Zündhölzer hatte und setzte sich auf eines der von ihm mit Erde gefüllten Fässer. Er war vollständig verwirrt im Kopfe. Die Nachricht, daß das Wasser im Stollen gefroren sei und man die Mine mittels des Fadens anzünden konnte, verschob auf einmal alle seine Begriffe. Er hatte sich alles so prächtig ausgedacht; mit solcher Mühe und solchem Aufwand von Schlauheit, daß seine Geisteskräfte vollständig erschöpft waren. Was bedeutete das nun wieder? Was hatte das Wasser zu frieren und der Zündfaden trocken zu sein? Welcher Unsinn! Wie die Dinge standen, konnte Wladimir Wassilitsch jetzt die Mine wunderschön anzünden, ohne daß ihm dabei ein Haar gekrümmt würde. Nun gut! Wladimir Wassilitsch würde es tun,