Und Ostern war es wieder – –
Noch immer war es tiefer Winter. Die ungeheure, wilde Steppe lag verschneit und vereist mit erstarrten Lebensgeistern. Nach allen Richtungen hin erstreckte es sich unabsehbar, unendlich, als würde von diesem Punkt der Erde aus die ganze Welt mit Schnee und Eis überzogen.
Wera blickte auf die trostlose Landschaft und erinnerte sich, was sie in der Osternacht vor zwei Jahren, als sie mit Sascha auf der Straße nach Eskowo wanderte, wie eine Vision vor sich erblickt hatte – die Wildnisse Sibiriens! Und in der Öde zwei einsame menschliche Gestalten, welche kettenbeladen dahinschwankten. Kettenbeladen schritt sie dahin durch die ungeheure sibirische Steppe, kettenbeladen wanderte neben ihr Sascha – kettenbeladen schwankten vor ihr und hinter ihr andere lebenslänglich Verurteilte, Männer und Frauen, darunter Greise, die dem Grabe zuwankten, Jünglinge, die das Leben eben erst begonnen.
Und Wera erinnerte sich der Stimme, die sie in jener Nacht zu hören geglaubt: »Das leiden wir für die Freiheit des russischen Volkes!« – Und fast hätte Wera laut geantwortet: »Nein, das leiden wir durch unsere Schuld! Und wir leiden es für diejenigen, die uns unsere Schuld gegeben haben.«
Aber Wera war stark. Ob das Eisengewicht an ihren Händen und Füßen sie auch beinahe zu Boden niederriß, stark war sie trotzdem, die Stärkste von allen. Und alle erkannten es, alle erhoben sich an ihrer Kraft, allen war sie Hoffnung, Trost und Zuversicht. In den sibirischen Wüsten würde Wera erfüllen, wonach sie ein so gewaltiges Verlangen getragen, was sie mit aller Macht ersehnt und erstrebt hatte: In der Gefangenschaft und Verbannung würde sie wirken, nützen, helfen und das lebenslänglich. »Ja, Wera Iwanowna – die ist stark!« Es war Sascha, der diese Worte zu einem der Verdammten über seine Freundin sprach. Er sah dabei zu ihr hinüber, und als sie ihm zunickte, lächelte er.
Um die Osterzeit war's, da kam der große Augenblick, von dem Wladimir an die sterbende Natalia geschrieben; er kam und ganz Europa, die ganze zivilisierte Welt schrie auf vor Entsetzen und Empörung: Alexander der Zweite wurde in Petersburg von den Nihilisten ermordet.
Einer der welthistorischen Mörder war Wladimir.
Er wurde mit den anderen zum Tode verurteilt und durch den Strang gerichtet. Sein letzter Gedanke war: »Daß Natalia Arkadiewna dies erlebt hätte, daß dein Sohn dich sterben sehen könnte!«
Tania überlebte das Gräßliche. Ihr Knabe erfüllte herrlich die Meinung, die Colja von ihm gehegt hatte, und half das Wunder ihres Weiterlebens vollbringen. Es heißt, die Witwe Wladimir Wassililschs dächte daran, den Sohn des großen Nihilisten für das Kloster zu erziehen. In diesem Heiligtum soll der wilde Geist Wladimirs in seinem Sohn zu einem besseren Leben auferstehen.
Ende
Römisches Fieber
3. Prisca faßt einen Entschluß
5. Prisca verlδίt die Solitude
11. Der schφnste und der hδίlichste der Mδnner
15. Die »Tochter der Semiramis«
31. Priscas letzte Aufzeichnungen und das Ende
1. Ein Münchner Regentag