Die wichtigsten Werke von Richard Voß. Richard Voß. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Richard Voß
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027223008
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kann ich das?«

      »Durch die Arbeit!«

      »Du meinst, durch die Arbeit für das Volk?«

      »Das meine ich.«

      »Ach, Wera, wir können nichts tun.«

      »Jetzt werden wir etwas tun.«

      »Jetzt freilich.«

      Wera drückte seine Hand und sagte: »Ich weiß, was du denkst. Es ist allerdings schlimm, daß wir erst jetzt etwas tun werden, erst jetzt, nachdem wir das erfahren haben, nachdem wir dadurch für unsere Arbeit vorbereitet worden sind. Aber vielleicht mußten wir es erst erfahren, vielleicht mußten wir erst vorbereitet werden, schwach wie wir beide waren. Ach Sascha, es ist furchtbar, daß unsere Tatkraft nicht aus unserer Liebe zum Volke kommen konnte, sondern aus unserem Haß hervorgehen mußte. Es ist nicht das Rechte, und wir wollen bitten, daß es nicht an uns gerächt werde.«

      »Das wäre mir gleich. Wladimir Wassilitsch wird sich freuen.«

      »Das wird er. Er hat bei uns erreicht, was er bezweckte.«

      »Du wirst alles tun, was er dir aufträgt?«

      »Alles.«

      Sie schwiegen und sprachen auch nichts mehr bis sie in Moskau ankamen. Eben graute der Tag.

      Sascha brachte Wera zum Palast der Prinzessin. Wera wollte mit Natalia Arkadiewna reden und sich dann sogleich zu Tania begeben, die Sascha unterdessen von ihrer Ankunft benachrichtigen sollte.

      Das Haus war noch geschlossen. Sie mußten warten, bis es vollends Tag geworden und der Wortschick erwacht war. Da Wera bemerkte, daß der Anblick des Hauses Sascha von neuem in die höchste Auflegung versetzte, schickte sie ihn fort, in die Vorstadt. Noch eine Stunde mußte sie warten, bis sie zu Natalia Arkadiewna gelangen konnte.

      Natalia Arkadiewna zeigte nicht die geringste Überraschung, Wera so unerwartet und so früh am Morgen zu sehen. Sie lag zu Bette und schien schwer zu leiden. Wera setzte sich zu ihr, beugte sich auf das Gesicht der Kranken hinab und sagte ihr alles, was vorgefallen.

      »Du bist dir selbst treu geblieben,« erwiderte Natalia, ohne zu versuchen, Wera zu trösten.

      Sie wollte aufstehen, war aber so schwach, daß sie wieder zurücksank.

      »Ruhe dich, schone dich!« bat Wera.

      »Ich darf nicht. Vom Exekutivkomitee ist mir ein Auftrag erteilt worden. Ich muß ihn ausführen.«

      »Was ist es?«

      »In Dawidkowo eine Bauernrevolte anzuzetteln.«

      »Mußt du gehorchen?«

      »Ich will gehorchen.«

      »Laß mich statt deiner gehen.«

      »Gregor Michailitsch liebt dich zwar; aber gehe nur statt meiner. Es mag die Buße für deine Liebe zu Boris Alexeiwitsch sein.«

      Siebzehntes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Dawidkowo lag in aller Pracht des Sommers da. Mit breiten Wipfeln beschatteten die Linden das Häuschen und die Sonnenstrahlen hatten Mühe, durch das dichte Laub zu dringen. Wie die Vögel mußten sie von Zweig zu Zweig hüpfen, bis sie endlich, an den braunen Stämmen niederfunkelnd, über den Boden schlüpfen konnten, um sodann die Efeuwände des Häuschens emporzuklettern. Auf den Blättern wiegten sich die Strahlen, und wenn ein Lufthauch die Äste bewegte, so gab es ein Schimmern und Flimmern, als würden über das Häuschen Gold und Smaragden geschüttet.

      In dem Efeu, in den Fliedersträuchern und Goldregenbüschen nisteten die Vögel, die im Frühling gesungen. Sie hatten um das Häuschen eine vollständige Kolonie angelegt, hielten Dawidkowo besetzt, hatten es gewissermaßen okkupiert und waren in dem Bewußtsein ihrer Sicherheit ganz frech geworden; denn sie fanden es kaum der Mühe wert, ihre Nester zwischen Geäst und Blattwerk zu verbergen. Gegen Morgengrauen gab es jeden Tag ein Wispern und Zwitschern, daß das Mütterchen regelmäßig davon erwachte und kein Auge mehr zutun konnte.

      Ja, traulich schön und friedlich war es rings um das Häuschen; aber drinnen stand es schlimm. In dem kleinen bunten Stübchen war zwar nichts anders geworden: kein Stäubchen lag auf den vielen hübschen Sachen und Sächelchen, keine Decke, kein Teppich zog eine Falte, kein Gegenstand war verrückt, die Fensterscheiben blinkten und blitzten und die Dielen waren so weiß, wie Dielen nur sein konnten. Im Bauer pfiff der Stieglitz gerade so lustig wie sonst; gerade wie sonst zischte und dampfte morgens, mittags und abends der Samowar; gerade wie sonst seufzte das Mütterchen den hellen Tag über und gerade wie sonst brummte und murrte Dame Anuschka im Hause umher. Und doch war alles anders, ganz anders.

      Wie war das so geworden, so jammervoll traurig?

      Das Mütterchen dachte darüber nach, immerfort, immerfort. Sie tat gar nichts anderes mehr, als daß sie darüber nachdachte.

      Wenn sie ihre Blumen begoß, ihr Gemüse pflegte, nach ihren Pfirsichen, Äpfeln und Birnen sah – immer, immer dachte sie daran. Sie machte ihre berühmten Honigfrüchte ein, ihre unübertrefflichen Gurken, ihren herrlichen Ingwer, ihre wundervollen Melonen und immer, immer dachte sie daran! Sie dachte daran, wenn sie ihrem »armen« Grischa bei Tisch gegenüber sah, in dessen verändertes Gesicht spähend und von diesem und jenem zu ihm sprechend, was er gar nicht zu hören schien. Sie dachte daran, wenn sie betete oder in ihrem Andachtsbuche las, oder Sonntags in der Kirche war. Und sie dachte daran die ganzen langen, endlosen Nachte hindurch, wo sie wachend in ihrem Bette saß und hinüberblickte zum Muttergottesbild, vor dem das Lämpchen brannte; sie dachte: Wodurch ist mein Grischa, mein lieber, guter Sohn, wohl so ganz anders geworden? So jammervoll traurig!

      Mit Natalia Arkadiewnas »Bekehrung«, die diese mit Grischa vorgenommen, fing es an.

      Allmählich hatte seine strahlende Laune, sein Frohsinn und überschäumender Lebensmut ihn verlassen; ganz allmählich. Doch behielt er noch lange Zeit sein prächtiges, dröhnendes Lachen, seine glänzenden Augen und sein behagliches Wesen. Er gab seinen Bauern Land und Pferde und Getreide; und hätte ihnen gern noch mehr gegeben; denn sie befanden sich in ihrem Rechte, ganz in ihrem Rechte! Sie hatten seit Jahrhunderten Unrecht gelitten, waren unterdrückt, immer unterdrückt worden.

      Dann brachte Natalia Arkadiewna ihre Freundin mit und Grischas hübsches Gesicht ward ganz rot vor Vergnügen über den Besuch, und nie hatte sein Mütterchen ihn so lachen hören, nie seine Augen so leuchten sehen! Es war aber auch ein Prachtmädchen! Von solchem, gerade solchem Mädchen hatte das Mütterchen für ihren Grischa geträumt, seitdem aus dem kleinen prächtigen Grischa ein großer prächtiger Grischa geworden. Und als sie damals am Abend in ihre Kammer ging, wußte sie nichts Besseres und Frommeres zu tun, als die uralte Familientruhe aufzuschließen und den uralten Familienschmuck hervorzukramen; alle die schweren goldenen, mit Perlen und Türkisen besetzten Spangen und Ketten, welche von alters her die Mutter der Braut des Ältesten am Hochzeitstage umgehangen. Wie schön die Braut des Grischa darin aussehen würde, wie das Weib ihres Grischa ihren Sohn glücklich machen würde!

      Auch in jener Nacht konnte das Mütterchen kein Auge schließen, denn es hatte so viel zu tun. Es mußte anordnen und das Hochzeitsmahl bestimmen; alle die vielen, vielen Gerichte! Und bei jedem Gerichte fand Anuschka etwas zu tadeln. Aber das Mütterchen ließ nicht nach, obgleich sie über ihre Kühnheit in großen Schrecken geriet und setzte schließlich alles durch, was und wie sie es haben wollte. Nur im Geiste natürlich!

      Sie braute im Geiste den herrlichsten Kwas, kochte den wundersamsten Tschi, dämpfte Schnepfen, briet Truthühner und Gänse und Enten, buk Fleischpiroggen und Fischpiroggen und Pasteten und Fruchttörtchen und Ingwerkuchen. Es war eine Lust! Und wie es dem Bräutigam schmeckte! Aber Anuschka brummte und brummte.

      Jedoch das Mütterchen kümmerte sich nicht darum; nicht im geringsten! Vor Entsetzen über ihre Untat erwachte das Mütterchen ...

      Das