Die wichtigsten Werke von Richard Voß. Richard Voß. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Richard Voß
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027223008
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ist auch nicht das Rechte,« tadelte er, immer verstörter in Blick und Ton. »Der Mensch muß frei aufsehen können, frei und stolz; sonst steht es schlimm um ihn. Verstehst du mich?«

      »Ja,« sagte Wera leise, »ich verstehe dich.«

      Sascha versank in Brüten, darin Wera ihn nicht zu stören wagte. Der Morgen graute bereits, als er endlich fortschlich.

      Dieser Vorgang mit ihrem alten Jugendfreunde legte sich wie Mehltau auf Weras junges Liebesglück. Sie bekam das Bild seiner zerrütteten Mannheit nicht aus ihrer Seele. Vergaß sie seiner auf kurze Zeit, so machte sie sich Vorwürfe, daß sie glücklich sein konnte, während er mit dem Wahnsinn rang. Übrigens sah sie ihn nicht mehr; er mußte nach Moskau zurückgekehrt sein und sich entschlossen haben, dort zu bleiben. Sie schrieb an Natalia, die sie bat, ihr Nachricht von ihm zu geben, ohne jedoch auf ihren Brief eine Antwort zu erhalten.

      Das Fest, an dem die lebenden Bilder gestellt werden sollten, stand bevor. Auch Wera wirkte mit. Als Boris sie darum anging, weigerte sie sich zuerst auf das entschiedenste; doch er wußte es ihr abzutrotzen, abzubetteln, abzuschmeicheln; sie würde die Schönste, die Allerschönste, er der Glücklichste, der Allerglücklichste sein! Diesem letzten Argument widerstand sie nicht.

      Boris hatte für sie die Darstellung einer Madonna aus der umbrischen Schule gewählt. Sie trug über einem stahlblauen Untergewand einen roten Mantel, ihr prachtvolles Haar umwallte sie wie ein goldener Schleier, auf ihrem schönen Haupt glänzte die Himmelskrone. Mit stillem Lächeln sah sie vor sich nieder auf einen Lilienzweig, den sie in beiden Händen hielt. Vor ihr kniete der Donator des Bildes mit seiner Familie. Den schönen Jüngling, welcher der heiligen Jungfrau zunächst kniete und wie in Verzückung zu ihr aufsah, wollte Boris selbst darstellen.

      Einen heftigen Kampf kostete es, bis eine von den Damen zu bewegen war, sich bei diesem Bilde zu beteiligen. Aber gerade das hatte sich Boris in den Kopf gesetzt; sie sollten vor Wera knien.

      Er setzte in der Tat seinen Willen durch; Anna Pawlowna selbst übernahm die Figur.

      Die erste Probe fand statt. Wera hatte sich in ihrer Kammer angekleidet, Boris ging zu ihr hinauf, um an ihr Kostüm die letzte Hand zu legen. Er brachte das Kleid in die rechten Falten, ordnete den Mantel und breitete ihr Haar um sie her.

      Nun sollte sie lächeln. Aber das ging nicht so leicht. Es paßte so wenig zu ihr, und selbst ihre Liebe hatte sie es nicht gelehrt. Sie sah aber so holdselig und lieblich, so marienhaft aus, daß Boris, obgleich hingerissen von ihrer Schönheit, keine Liebkosung wagte.

      Er führte sie hinunter in den Saal, wo die Vorstellung stattfinden sollte und wo die Bühne mit dem Rahmen bereits aufgeschlagen war.

      Weras Erscheinen erregte Sensation. Es dauerte einige Zeit, bis man begann, sich zu gruppieren. Die Herren, die zu ihren Füßen zu knien hatten, blickten mit wahrer Andacht zu der schönen Himmelskönigin empor.

      Aber auch Anna Pawlowna gewährte einen herrlichen Anblick. Sie war in einem purpurfarbenen Samtkostüm, das rote Haar hoch aufgesteckt, den Blick gerade vor sich hingerichtet.

      Der Abend kam, Wera kleidete sich an, mehr als jemals in einer seligen Dumpfheit befangen. Staunend sah sie an sich herunter: sie, Wera aus Eskowo, in solchem Gewande; aber es waren bereits so viele Wunder mit ihr vorgegangen und dieses eine veränderte nur ihr Äußeres.

      Es war ein schwüler, dunkler Abend. Ein Gewitter stand am Himmel, gleich einem riesigen, schwarzen Schatten, der regungslos über der Erde hing.

      Wera hatte das Gefühl, als ob die finsteren Wolkenmassen sich herabsenkten, als ob dann die ganze Welt zerquetscht werden müßte. Es litt sie nicht in ihrer Kammer, obgleich sie viel zu früh fertig geworden war.

      Die Gäste und Diener waren sämtlich im Hause, die einen mit ihrer Toilette, die anderen mit Vorbereitungen zum Fest beschäftigt. Im Park würde ihr sicher niemand begegnen, eine halbe Stunde in der Luft bei ihrer Beklemmung ihr gut tun. Sie mußte heute abend sehr ruhig sein; es wäre schrecklich, wenn sie sich rührte; die geringste Bewegung würde das ganze Bild zerstören. Sicher würde sie zittern.

      Du mußt ruhig werden, sagte sie zu sich selbst, du darfst nicht so aufgeregt sein.

      Sie faßte ihr Gewand zusammen, lauschte, ob niemand zu sehen und zu hören war, schlüpfte hinaus.

      Kein Hauch regte sich. Die Blumen atmeten einen betäubenden Wohlgeruch aus, die Luft war trocken und heiß.

      Wera ging die Wege, die in den Park hineinführten, erschreckend, wenn unter ihren Füßen der Kies knirschte; überall glaubte sie in dem Schatten der Gebüsche und Bäume Gestalten zu sehen.

      Da hörte sie lautes Reden. Die Sprechenden mußten sich auf ihrem Wege befinden und ihr entgegenkommen. Wera trat, um nicht gesehen zu werden, hinter ein Taxusgebüsch. Sie lauschte und glaubte die Stimmen zu erkennen. Es waren zwei Gäste Anna Pawlownas, junge Lebemänner, neben Boris die elegantesten Herren der Gesellschaft.

      Wider ihren Willen mußte Wera das Gespräch mitanhören. Sie gingen sehr langsam und sprachen sehr laut.

      »Diese Wera ist ein herrliches Geschöpf! Welche Augen! In der steckt Rasse! Boris hat wieder einmal ein rasendes Glück. Ich bin neugierig, wie lange er sie behält.«

      »Jedenfalls länger als eine andere.«

      »Pah!«

      »Wollen wir wetten?«

      »Wenn du Lust hast zu verlieren.«

      »Zu gewinnen.«

      »Wetten wir! Ich gebe der Sache, gut gerechnet, volle vier Wochen.«

      »Welcher Unsinn! Boris hat sie noch gar nicht.«

      »Wird sie bekommen. Oder glaubst du, daß er die Bilder zu unserem Vergnügen arrangiert? Heute hat er sie und nach vier Wochen kannst du sie dir nehmen.«

      »Es wäre schade.«

      Aber er lachte.

      Die Schritte entfernten sich, die Stimmen wurden undeutlich. Zuletzt war alles still – auch hinter dem Taxusgebüsch.

      Dann, nach einer langen Weile, trat Wera hervor, blieb stehen, besann sich, schritt wieder weiter, zurück dem Hause zu, langsam, langsam, als hätte sie Ketten an den Füßen. Sie hatte nicht nur alles verstanden, sie hatte auch alles begriffen; mehr begriffen, als ihr Verstand zu ertragen vermochte. Dennoch, obgleich sie vollkommen betäubt war, fühlte sie sich noch im Besitz aller ihrer Gedanken. Sie wußte sogar, was sie zu tun hatte. Es war etwas, das keinen Aufschub erlitt, nicht den geringsten Aufschub!

      Sie näherte sich dem Hause, das, glänzend erleuchtet, weit in die Nacht hinausstrahlte.

      Ein Mann ging dicht an ihr vorüber, ohne sie zu bemerken. Sie aber erkannte ihn, blieb stehen und sah ihm nach.

      Sie wollte ihn eigentlich zurückrufen, unterließ es jedoch. Ganz allein mußte sie damit fertig werden. Er konnte ihr auch nicht helfen, so wenig wie sie ihm hatte helfen können.

      Halblaut sagte sie vor sich hin: »Sascha, ach, Sascha! Armer Sascha, lieber Sascha.«

      Dann stand sie vor dem Hause, hinter welchem die schwankende Gestalt verschwunden war. Fortwährend kamen Gäste an, Equipagen fuhren vor, Diener rissen die Wagenschläge auf, Herren und Damen stiegen aus, schritten über den Teppich, zwischen den aufgestellten Blattpflanzen ins Haus. Einige aber blieben stehen, blickten nach Wera hin, schienen zu verstummen, flüsterten zusammen. Wera merkte, daß man sie gesehen hatte, und fort, zurück in den Schatten des Parkes. An der Hinterseite, auf der Dienertreppe wollte sie in ihre Kammer, von ihrem Eigentum etwas zusammenraffen und dann fort! fort! fort!

      Warum waren jene wohl stehengeblieben? Warum hatten sie so staunend zu ihr hinübergeblickt? Was hatten sie zusammen über sie geflüstert? »Seht! Dort steht Wera Iwanowna, die Geliebte von Alexeiwitsch! Nach vier Wochen, gut gerechnet, kann ein anderer sie nehmen, er mag sie dann nicht mehr.«

      Freilich hatte einer der beiden im Park wenigstens gemeint: »Er hat sie noch nicht.«

      Aber