Die wichtigsten Werke von Richard Voß. Richard Voß. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Richard Voß
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027223008
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alles und ich gebe dir nichts. Das ist etwas Ungleiches, das kann keine guten Folgen haben. Es scheint mir auch unnatürlich, denn in der Liebe muß die Frau dem Manne gleichstehen – muß sie über dem Manne stehen. Das soll nicht hochmütig sein. Ich drücke mich nur schlecht aus; du mußt immer bedenken, daß ich die Wera Iwanowna aus Eskowo bin. Die Frauen aus deinem Stande können ganz anders reden als ich.«

      »Tu' mir den Gefallen und schweige von den Frauen aus meinem Stande,« rief Boris. »Ich bin ihrer überdrüssig! Sie langweilen mich, daß ich gähnen muß, wenn ich nur von ihnen reden höre. Wer mag schalen Wein trinken? Ein Trunk frischen Quellwassers ist dagegen eine wahre Gottesgabe. Du willst etwas sagen.«

      »Es tut mir leid, daß ich doch davon reden muß, von den Frauen aus deinem Stande nämlich. Mir ist, als müßte ich meine ganze Seele vor dir ausschütten wie ein Tuch voll Blumen. Ich habe so viele Jahre lang immer nur in mich hineingelebt, daß ich erst lernen muß zu sagen, was ich denke. Es ist eben doch nicht das Richtige zwischen dir und mir. Es ist gerade, als stünden wir beide an einem Strom, aber ich auf der einen, du auf der anderen Seite. Wir suchen nach einer Brücke, doch wir finden sie nicht. Was sollen wir anfangen? Ich fühle Todesangst in mir und dann wieder ein solches unbändiges Lebensglück! Am liebsten stürzte ich mich in den Strom hinein mit offenen Augen. Du wirst mich ja wohl nicht untergehen lassen.«

      »Ich bleibe dabei, du bist das merkwürdigste Geschöpf unter der Sonne,« meinte Boris nachdenklich. »Eine Romantikerin pur sang

      »Du sprichst wieder einmal, daß ich dich nicht verstehen kann,« erwiderte Wera traurig. »Bitte tue das nicht, ich fühle mich dann so hilflos. Was möchtest du anders an mir haben? Belehre mich; lehre mich, dich zu verstehen und deine Sprache zu sprechen. Daß ich einmal glauben konnte, durch dich schlecht zu werden! Was wäre ich ohne meine Liebe. Ich habe so lange nach Gott gesucht und ihn nicht finden können und nun ist mir, als ob ich ihn immer besessen hätte. Ich möchte immer nur knien und meine Liebe stammeln, wie ein Gebet; ich möchte sie hinströmen lassen, wie eine Blume ihren Duft. Mir ist, als ginge jede Stunde von neuem die Sonne auf. Du mußt mich nicht darum verachten, daß ich dir meine Seele so nackt und bloß zu Füßen lege.«

      »Sieh mich nicht so unheimlich ernsthaft an!« rief Boris aus. »Beim Himmel! Wera, ich liebe dich!«

      Und er zog sie in seine Arme.

      »Ich bin glücklich,« flüsterte sie, sich an ihn schmiegend.

      »Weißt du, was ich tun sollte? Ich sollte dich unter alle mitten in den Saal stellen und sie auffordern, dich zu betrachten. Dann sähen alle, was sie in ihrem ganzen Leben noch nicht gesehen haben: Tugend nämlich.«

      »Du wolltest ja wohl ein Volkslied von mir hören!« entgegnete sie, machte sich von ihm los und sprach ihm eines ihrer wehmütigen Lieder vor.

      So war Wera glücklich. Kein Schauder warnte sie mehr, sie war der Erde wie entrückt. Mit verklärtem Blick wandelte sie umher. Sie sah nicht, was um sie vorging, daß Anna Pawlowna und alle ihre Verzückung und deren Ursache bemerkten, daß sie von allen beobachtet ward, daß sie und Boris das Tagesgespräch bildeten, wie einst Anna Pawlowna und Sascha. Dieser wohnte wieder in Moskau, kam aber täglich zu Fuß nach Kunzewo, wo er nicht mehr bei Anna Pawlowna vorgelassen wurde. Stundenlang umschlich er das Haus oder beobachtete, im Gebüsch versteckt, die Prinzessin, zitternd, daß er gesehen und verjagt werden könnte. Eines Abends wagte er sich ins Haus und hinauf in Weras Kammer.

      Wera befand sich allein und im Begriff zu Bett zu gehen. Sie hatte ihr Haar aufgelöst und stand am Tische neben der brennenden Lampe, als jemand ohne vorher anzuklopfen die Tür öffnete und Sascha auf die Schwelle trat. Wera erkannte ihn zuerst nicht, hob die Lampe und leuchtete in sein Gesicht.

      »Sascha! Sascha!«

      Stumm standen sie sich dann gegenüber.

      Wie er sie ansah! Mit einem Blick, darin der Wahnsinn aufstieg.

      »Komm doch von der Tür fort,« sagte sie endlich. »Setze dich.«

      »Sei mir nicht böse.«

      »Wie du redest. Ich bin nur traurig, ach, Sascha, Sascha, todtraurig.«

      Er seufzte und ging mit schwankenden Schritten zu einem Stuhl, darauf er niedersank.

      »Es ist schlimm eingerichtet in der Welt,« sagte er langsam mit tonloser Stimme, »schlimm ist es, daß es Traurigkeit darin gibt. Selbst die Hunde haben traurige Augen und traurige Augen hat das russische Volk.«

      Wera trat zu ihm und faßte seine Hand.

      »Du bist krank, Sascha. Deine Hand ist eiskalt.«

      »Ich friere nicht. Im Grabe ist es freilich kalt, aber da fühlt man es nicht. Das ist nun wieder sehr gut eingerichtet.«

      »Sprich nicht so,« bat Wera mit Tränen im Auge. »Es ist schrecklich, dich so reden zu hören und nichts tun zu können. Komm, ich will mit dir nach Moskau zurück, zu unseren Freunden, zu Tania und Colja.«

      »Zu unseren Freunden? Ich habe keine Freunde. Die Menschen sind recht einsam auf der Welt.«

      Ihre Erschütterung bezwingend, erwiderte Wera »Was bildest du dir ein? Bin ich nicht deine Freundin?«

      In Saschas Brust begann es mächtig zu arbeiten. Plötzlich stöhnte er auf, warf sich vor Wera nieder, umfing sie, preßte seinen Kopf gegen ihren Leib und begann krampfhaft zu schluchzen.

      »Sascha! Sascha!« war alles, was Wera hervorzubringen vermochte.

      »Rufe mich nur an,« sagte Sascha und richtete sich etwas auf. »Rufe nur, du weckst mich doch nicht, Ich will auch nicht geweckt werden. Schlafen ist schön. Nacht! Nacht! Der Tag hat so grelles Licht. Das sticht in die Augen und das Herz klopft sich todmüde nach einem anderen Herzen. Schlafen, schlafen, ohne zu träumen, ohne je wieder zu erwachen. Müßte das guttun! Da könnte das Herz ausruhen. Die Erde ist eine solche liebevolle Mutter, die ihr Kind in ihren Schoß nimmt, es weich und fest zudeckt, daß keine Stimme es aufwecken kann. Ewig schlafen. Was das für ein schönes Wort ist.«

      »Dein Gesicht glüht!« rief Wera angstvoll, »du sprichst im Fieber, ich will nach einem Arzt schicken.«

      Er hielt sie zurück.

      »Bleibe! Geh nicht von mir! Nein, ich habe kein Fieber. Krank bin ich freilich und kann auch nicht wieder gesund werden. Aber wozu einen Arzt fragen? Verzeihe, daß ich dich erschreckt habe; es hatte sich mir auf das Herz gewälzt und mußte einmal heruntergerissen werden. Nun kann ich doch wieder atmen!«

      »Du kannst mir nicht sagen, was geschehen ist?« fragte Wera liebevoll.

      Er wich der Frage aus.

      »Was soll geschehen sein? Auf der Welt geschieht jeden Augenblick so viel Wunderliches. Mich überkam eine solche Angst. Ich mußte zu dir. Und als ich dich wiedersah, ward mir wohl, als wäre ich jahrelang fortgewesen und wieder nach Hause zurückgekehrt.«

      »Du mußt von jetzt an öfter zu mir kommen. Ich mache Tee, wir plaudern, von Eskowo und den guten, alten Zeiten. Du darfst mich nicht wieder so lange einsam lassen.«

      »Einsam? Du bist doch nicht einsam in diesem Hause? Übrigens darfst du nicht etwa denken, daß Anna Pawlowna – – Ich verehre sie hoch. Jeder muß sie verehren und bewundern. Sie ist eine herrliche Frau. Und wie sie das Volk liebt! Man kann ihr glauben, sie sagt nie eine Lüge. Wie? Du glaubst ihr nicht?«

      »Sei doch nicht so aufgeregt!« suchte Wera ihn zu beruhigen. »Ich glaube nichts Schlechtes von ihr; ich glaube das von niemandem und rede mir immer ein, daß alle gut seien.«

      »Das ist recht!« rief Sascha lebhaft. »Man muß sehr vorsichtig sein in der Beurteilung eines Menschen. Wie leicht kann man sich täuschen! Und einem Menschen seine Ehre nehmen, das ist so gut wie ein Mord. Denn die Ehre ist sein Bestes, sein Höchstes, das einzige Eigentum des Armen. Wenn ein Mensch seine Ehre verliert, sei es vor anderen oder vor sich selbst, so wird er elend, erbärmlich und verächtlich; vor anderen verächtlich und vor sich selbst – – Warum starrst du mich so an?«

      »Ach,