b) Widerspruchsbefugnis
235
Vom BSG wurde die Anfechtungsbefugnis eines Vertragsarztes gegen die Ermächtigung eines Dritten zunächst verneint mit der Begründung, den Regelungen über die Zulassung und Ermächtigung von Ärzten sei kein Rechtsschutz zu entnehmen, der auch den Individualinteressen des Vertragsarztes zu dienen bestimmt sei.[406] Eine Anfechtungsbefugnis bereits zugelassener Ärzte gegen Ermächtigungen wurde nur ausnahmsweise anerkannt, wenn mit einer gewissen Plausibilität geltend gemacht werden konnte, die Ermächtigung sei dem Grunde oder dem Umfang nach willkürlich und möglicherweise in Benachteiligungsabsicht erteilt worden.[407] Das BVerfG[408] ist dieser Auffassung des BSG[409] entgegengetreten und hat dargelegt, dass niedergelassene Vertragsärzte eine gerichtliche Überprüfung verlangen dürfen, wenn einem Krankenhausarzt die Ermächtigung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung erteilt werde. Mit seiner Grundsatzentscheidung vom 7.2.2007 hat das BSG vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des BVerfG seine Rechtsauffassung insbesondere zur Anfechtungsberechtigung bei der defensiven Drittanfechtung konkretisiert.[410] In seinem Beschluss v. 23.4.2009 führte das BVerfG aus, dass eine unter dem Aspekt der Berufsfreiheit nach Rechtsschutz verlangende Verwerfung der Konkurrenzverhältnisse dann in Frage stehe, wenn den bereits am Markt zugelassenen Leistungserbringern ein gesetzlicher Vorrang gegenüber auf den Markt drängenden Konkurrenten eingeräumt sei.[411]
aa) Grundsätze seit BSG, Urt. v. 7.2.2007 – B 6 KA 8/06 R
236
Seit dem Urteil des BSG vom 7.2.2007 ist die Frage des Drittschutzes der Prüfung der Begründetheit, und nur ausnahmsweise der Zulässigkeit des Rechtsbehelfs zuzuordnen. Unzulässig ist der Rechtsbehelf nur dann, wenn durch den angefochtenen Beschluss offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise Rechte des Widerspruchsführers verletzt sein können.[412] Die Prüfung, ob eine Rechtsnorm drittschützenden Charakter hat, erfolgt erst im Rahmen der Begründetheit.[413]
237
Die Unzulässigkeit des Rechtsbehelfs ist in Betracht zu ziehen, wenn die zugrunde liegende Fallkonstellation bereits höchstrichterlich geklärt ist. Fehlt eine solche Klärung und werden von den Landessozialgerichten unterschiedliche Auffassungen vertreten, ist die Drittanfechtung zulässig.[414]
238
Vor der Prüfung der sonstigen Begründetheit des Rechtsbehelfs, insbesondere der Rechtmäßigkeit des angegriffen Beschlusses, ist die Anfechtungsberechtigung des Dritten zu klären. Die Drittanfechtungsberechtigung setzt dreierlei voraus: Erstens muss dem Konkurrenten ein Basiszugang zur vertragsärztlichen Versorgung gewährt worden sein, zweitens muss der Status des Anfechtenden gegenüber dem dem Konkurrenten eingeräumten Status vorrangig sein und drittens muss zwischen dem Anfechtenden und dem Konkurrenten ein faktisches Konkurrenzverhältnis bestehen.[415]
(1) Basiszugang
239
Erste Voraussetzung für die Drittanfechtungsberechtigung ist, dass dem Konkurrenten durch den angegriffenen Beschluss des Zulassungsausschusses die Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung eröffnet oder erweitert wurde, und ihm nicht lediglich ein weiterer Leistungsbereich genehmigt wurde.[416] Der Zugang zur vertragsärztlichen Versorgung wird bspw. durch eine Zulassung gemäß § 19 Abs. 1 Ärzte-ZV, § 95 Abs. 1 SGB V, durch eine belegärztliche Zulassung gemäß §§ 103 Abs. 7, 121 SGB V, durch Sonderbedarfszulassungen gemäß § 101 Abs. 1 Nr. 3 SGB V i.V.m. §§ 36, 37 Bedarfsplanungs-Richtlinie, ferner durch Ermächtigungen gemäß §§ 116, 116a, 118, 119a SGB V sowie durch Ermächtigungserweiterungen eröffnet.[417]
240
Kein weiterer Zugang wird eröffnet bspw. durch die Genehmigung einer Berufsausübungsgemeinschaft gemäß § 33 Abs. 3 Ärzte-ZV[418] oder durch die Genehmigung einer Zweigpraxis gemäß § 24 Abs. 3 Ärzte-ZV.[419]
241
Die einem bereits niedergelassenen Vertragsarzt erteilte bloße Abrechnungsgenehmigung kann von Dritten nicht angefochten werden, wenn die Erteilung der Genehmigung allein an Qualitäts- bzw. Qualifikationsgesichtspunkten auszurichten war.[420] Etwas anderes gilt aber (wegen der nach § 6 Anlage 9.1 BMV-Ä durchzuführenden Bedarfsprüfung) bei der Zusicherung und Genehmigung eines Versorgungsauftrags für dialysepflichtige Patienten,[421] bei der Dialyse-Zweigpraxisgenehmigung nach § 4 Abs. 3 der Anlage 9.1 BMV-Ä i.V.m. Anhang 9.1.5 der Anlage 9.1 BMV-Ä[422] und bei der Erteilung einer Genehmigung zur Durchführung von Maßnahmen künstlicher Befruchtung gemäß § 121a SGB V.[423]
(2) Vorrang-Nachrang-Verhältnis
242
Der dem Konkurrenten eingeräumte Status muss nachrangig gegenüber dem Status des Anfechtenden sein. Ein Status ist nachrangig, wenn er nur bei Vorliegen eines entsprechenden Versorgungsbedarfs (also bedarfsabhängig) gewährt wird.[424]
243
Die Ermächtigung zur vertragsärztlichen Versorgung ist gegenüber der Zulassung bspw. eines Vertragsarztes nachrangig, soweit sie ein Versorgungsdefizit voraussetzt, wie bspw. Ermächtigungen gemäß §§ 116 SGB V, 31a Ärzte-ZV. Die Ermächtigung gemäß § 118 Abs. 1 S. 1 SGB V ist daher nicht nachrangig, weil deren Erteilung keine Bedarfsprüfung erfordert.[425]
244
Normalzulassungen untereinander stehen nicht in einem Vorrang-Nachrang-Verhältnis. Ein Vertragsarzt ist also nicht berechtigt, die einem anderen gemäß § 19 Abs. 1 Ärzte-ZV, § 95 Abs. 1 SGB V erteilte Zulassung anzufechten.
245
Sonderbedarfszulassungen gemäß § 101 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB V i.V.m. §§ 36, 37 Bedarfsplanungs-Richtlinie sind gegenüber normalen Zulassungen grundsätzlich nachrangig,[426] und zwar auch dann, wenn für die Sonderbedarfszulassung außerhalb der Gesamtvergütung gesonderte Vergütungen vereinbart sind.[427] Eine spätere Sonderbedarfszulassung ist gegenüber einer früheren Sonderbedarfszulassung nachrangig, so dass der frühere Sonderbedarfszugelassene anfechtungsberechtigt ist.[428] Gegenüber Ermächtigungen sind Sonderbedarfszulassungen nicht nachrangig, weil beide Teilnahmeformen auf verschiedene Bedarfsstrukturen ausgerichtet sind. Ermächtigungen dienen regelmäßig der Deckung eines nur vorübergehenden Bedarfs, während Sonderbedarfszulassungen auf die Deckung eines längerfristigen Bedarfs ausgerichtet sind.[429]
246
Die unter Bestandsschutzaspekten bedarfsunabhängig zu erteilende Ermächtigung einer ärztlich geleiteten Einrichtung zur Erbringung von Dialyseleistungen nach § 10 Abs. 1 Anlage 9.1 BMV-Ä ist gegenüber Zulassungen nicht nachrangig.[430]
247
Die Drittanfechtungsberechtigung wird vom BSG zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes i.S.d. Art. 19 Abs. 4 GG ausnahmsweise bejaht, wenn die angegriffene Statusentscheidung (Zulassung, Ermächtigung etc.) zwar formal auf der Grundlage einer nicht drittschützenden Norm erteilt wird, wenn jedoch – in rechtswidriger Verkennung des Regelungsgehalts der Norm – eine Statusentscheidung ergeht, die nur der Grundlage einer drittschützenden Norm hätte getroffen werden dürfen.[431]
(3) Faktisches Konkurrenzverhältnis
248
Der Anfechtende und der Konkurrent müssen im selben räumlichen Bereich die gleichen Leistungen erbringen (dürfen), so dass eine wirtschaftliche Beeinträchtigung des Anfechtenden durch den angegriffenen Beschluss des Zulassungsausschusses