126
Verfahrensakten i.S.d. § 25 SGB X sind alle Unterlagen, die den Gegenstand des Verwaltungsverfahrens betreffen,[140] und zwar unabhängig davon, ob die Behörde sie zu den Verwaltungsakten im engeren Sinne nimmt. Der Aktenbegriff[141] ist objektiv zu bestimmen und nicht vom Willen der Zulassungsgremien abhängig.[142] Die Voraussetzung, dass die Akteneinsicht zur Geltendmachung oder Verteidigung der rechtlichen Interessen notwendig sein muss, ist ebenfalls nicht nach der Rechtsauffassung der Zulassungsgremien zu beurteilen. Maßgebend ist vielmehr, ob aufgrund einer vertretbaren Rechtsauffassung oder Würdigung der tatsächlichen Vorgänge die Akteneinsicht für die Wahrung der rechtlichen Interessen dienlich sein kann.[143] Das rechtliche Interesse an der Akteneinsicht liegt immer dann vor, wenn eine tatsächliche Unsicherheit über ein Rechtsverhältnis zu klären, ein rechtlich relevantes Verhalten nach dem Ergebnis der Einsichtnahme zu regeln oder eine gesicherte Grundlage für die Verfolgung eines Anspruchs zu erhalten ist.[144]
127
Die Einschränkung des Einsichtsanspruchs nach § 25 Abs. 3 SGB X kommt nur ausnahmsweise in Betracht.[145] In offensiven Konkurrentenstreitverfahren etwa müssen den Konkurrenten bereits aus Gründen der „Waffengleichheit“ alle die Mitbewerber betreffenden Informationen zur Verfügung gestellt werden, insbesondere die Ausschreibungs- und Bewerbungsunterlagen,[146] aber auch der Praxisübergabevertrag[147] und der Gemeinschaftspraxisvertrag (Berufsausübungsgemeinschaftsvertrag).[148] Nur in Kenntnis des Inhalts der die Mitbewerber betreffenden Verwaltungsvorgänge sind die abgelehnten Bewerber in der Lage zu beurteilen, ob die ihnen nachteilige Auswahlentscheidung auf zutreffende tatsächliche und rechtliche Grundlagen gestützt ist.[149]
128
Fraglich ist aber, ob dies auch für Vertragsärzte gilt, die nicht i.S.d. § 12 SGB X formell am Verfahren beteiligt sind oder waren und welchen Umfang deren Akteneinsichtsanspruch gegebenenfalls hat. Zu dieser Konstellation kann es bei rein defensiven Konkurrenzsituationen kommen, also dann, wenn der betreffende Arzt nicht selbst um die streitige Position konkurriert, sondern einen neuen Konkurrenten lediglich abwehren will. Ob die Äußerung des LSG Nordrhein-Westfalen, ein gegenläufiges schutzwürdiges Interesse i.S.d. § 25 Abs. 3 SGB X könne angenommen werden, wenn „die Mitbewerber das Verfahren nur betreiben, um einen Konkurrenten aus Wettbewerbsgründen zu verhindern“,[150] diese Sachverhalte im Blick hatte, ist unklar. Auch in defensiven Konkurrentenstreitverfahren besteht grundsätzlich ein Einsichtsrecht, das aber nicht weiter reicht als die potentielle Drittwiderspruchsbefugnis.[151]
129
Der Anspruch auf Akteneinsicht entsteht mit der Einleitung eines Verfahrens vor den Zulassungsgremien (Verwaltungsverfahren gemäß § 8 SGB X) und besteht bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens.[152] Nach h.M. endet das Verwaltungsverfahren mit Eintritt der Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts, durch Antragsrücknahme, sofern der Verfahrensbeginn von einem Antrag abhängig gewesen ist oder durch Erledigung i.S.d. § 39 Abs. 2 SGB X.[153] Das bedeutet für die Akteneinsicht im Verfahren vor den Zulassungsgremien, dass nur Akten noch laufender Verfahren einzubeziehen sind sowie Akten abgeschlossener Verfahren, soweit Elemente aus diesen Verfahren noch für das laufende Verwaltungsverfahren von Bedeutung sind.[154] Ist der Anspruch auf Akteneinsicht – etwa aus zeitlichen Gründen – erloschen, steht die Gewährung von Akteneinsicht im Ermessen der aktenführenden Behörde, so dass weiterhin ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensentscheidung über den Akteneinsichtsantrag besteht.[155]
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In den Bundesländern, die bereits ein Informationsfreiheitsgesetz (IFG) erlassen haben, kommt grundsätzlich auch ein Recht auf Zugang zu den bei den Zulassungsgremien vorhandenen amtlichen Informationen nach Maßgabe des jeweiligen Landesgesetzes in Betracht. Das Informationsfreiheitsgesetz des Bundes ist hingegen nicht anwendbar. Bei den Kassenärztlichen Vereinigungen auf Landesebene handelt es sich um Körperschaften des öffentlichen Rechts des jeweiligen Bundeslandes (§ 77 Abs. 5 SGB V)[156]. Maßgebend für den Anwendungsbereich des Informationsfreiheitsgesetzes ist nicht die Errichtung der betroffenen Körperschaft durch Bundesgesetz, sondern die Aufsichtskompetenz über den Selbstverwaltungsträger.[157]
131
Das IFG ist auch während eines laufenden Verfahrens vor den Zulassungsgremien anwendbar. Das führt zu einer Anspruchskonkurrenz zwischen dem IFG und § 25 SGB X, wobei ein bestimmter Vorrang oder eine Rangfolge der Anspruchsgrundlagen nicht besteht.[158] Die Beteiligten des Verfahrens können wählen, ob sie Akteneinsicht nach § 25 SGB X verlangen oder einen Informationszugang nach dem IFG begehren.[159] Da sich bei einem Vorgehen nach § 25 SGB X oder IFG unterschiedliche Kostenfolgen ergeben können, muss ein Verfahrensbeteiligter genau prüfen, welche Anspruchsgrundlage für ihn günstiger ist.[160] Anders als das Akteneinsichtsrecht nach § 25 SGB X besteht das Informationsrecht nach IFG auch nach Abschluss des Verfahrens vor den Zulassungsgremien.[161]
132
Für die Geltendmachung des Informationsanspruchs ist nicht der Sozialrechtsweg, sondern der Verwaltungsrechtsweg eröffnet.[162] Der Informationsanspruch nach IFG hat keinen spezifischen Bezug zum sozialrechtlich begründeten Rechts- und Pflichtenkreis der Zulassungsgremien. Er ist auf Zugang zu den amtlichen Informationen gerichtet. Das Rechtsgebiet, aus dem die Informationen, die Grundlage oder der Zweck ihrer Aufzeichnung oder die im Zusammenhang mit ihnen verfolgte Verwaltungsaufgabe entstammen, ist für den Auskunftsanspruch grundsätzlich unbeachtlich.[163]
d) Sitzungsprinzip und Mündlichkeitsprinzip
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Sitzungs- und Mündlichkeitsprinzip gelten wegen § 45 Abs. 3 Ärzte-ZV sowohl für den Zulassungsausschuss als auch für den Berufungsausschuss.
aa) Sitzungsprinzip (§ 36 Abs. 1 S. 1 Ärzte-ZV)
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Gemäß § 36 Abs. 1 S. 1 Ärzte-ZV beschließen die Zulassungsgremien in Sitzungen, d.h. bei Anwesenheit aller Mitglieder (§ 41 Abs. 2 S. 1 Ärzte-ZV) und aller weiteren anwesenheitsberechtigten Personen (vgl. § 41 Abs. 1 S. 3 Ärzte-ZV). Das Sitzungsprinzip schließt eine Beschlussfassung im Umlaufverfahren oder auf telefonischem Wege aus.[164] Sitzungen müssen auch dann stattfinden, wenn gemäß § 37 Abs. 1 S. 2 Ärzte-ZV keine mündliche Verhandlung stattfindet. In diesem Fall tritt das beschlussfähige Zulassungsgremium vollständig zusammen und entscheidet ohne Anwesenheit des Betroffenen nach Aktenlage.
bb) Mündlichkeitsprinzip (§ 37 Abs. 1 Ärzte-ZV)
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Von den Sitzungen i.S.d. § 36 Abs. 1 S. 1 Ärzte-ZV unterscheidet sich die mündliche Verhandlung i.S.d. § 37 Abs. 1 S. 1 Ärzte-ZV durch die Pflicht zur Ladung der Kassenärztlichen Vereinigungen, der Kassenverbände und der beteiligten Ärzte und deren Anwesenheitsrecht in der Sitzung. Gemäß § 37 Abs. 1 S. 1 Ärzte-ZV gilt für Verfahren über Zulassungen und Zulassungsentziehungen ein obligatorisches Mündlichkeitsprinzip. In allen anderen Verfahren gilt ein fakultatives Mündlichkeitsprinzip, d.h. die Anordnung einer mündlichen Verhandlung liegt im Verfahrensermessen des Zulassungsgremiums (nicht des Vorsitzenden),[165] wobei aber die Grundsätze der Selbstbindung der Verwaltung greifen können.[166] Soweit eine fakultative mündliche Verhandlung stattfindet, muss sie ebenfalls in vollständiger Besetzung des Zulassungsausschusses durchgeführt[167] und müssen alle weiteren Formalitäten einer obligatorischen mündlichen Verhandlung eingehalten werden.[168] Zweck der mündlichen Verhandlung ist vor allem eine verbesserte Klärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts unter Mitwirkung der Beteiligten, die Erhebung von Beweisen und die qualifizierte Anhörung der Beteiligten zur Sache im Interesse der Wahrung des rechtlichen