136
Zu den Verfahren mit obligatorischer Mündlichkeit gehören das Nachbesetzungsverfahren gemäß § 103 Abs. 4 SGB V sowie Verfahren wegen Job-Sharing-Zulassungen sowie Sonderbedarfs- und Sonderzulassungen.[171] Dagegen besteht bei Ermächtigungen oder Genehmigungen von Berufsausübungsgemeinschaften oder Anstellungsverhältnissen lediglich eine fakultative Mündlichkeit.[172]
137
Das Mündlichkeitsprinzip i.S.d. § 37 Abs. 1 Ärzte-ZV darf nicht mit dem aus dem Prozessrecht bekannten strengen Mündlichkeitsgrundsatz verwechselt werden. Dieser besagt, dass das Gericht seine Entscheidung allein nach dem Inhalt der mündlichen Verhandlung zu treffen hat. Was nicht ausdrücklich Gegenstand der mündlichen Erörterungen war, darf der Entscheidung nicht zugrunde gelegt werden.[173] § 124 Abs. 1 SGG bringt dies mit den Worten zum Ausdruck, dass das Gericht „auf Grund mündlicher Verhandlung“ entscheidet. Demgegenüber entscheiden die Zulassungsgremien lediglich „nach mündlicher Verhandlung“. Diese Formulierung findet sich auch in § 67 Abs. 1 S. 1 VwVfG.[174] Dort ist anerkannt, dass das Ergebnis (der „Inbegriff“) der mündlichen Verhandlung nicht die alleinige Entscheidungsgrundlage der Behörde bildet. Auch außerhalb der mündlichen Verhandlung gewonnene Erkenntnisse sind zu berücksichtigen.[175] Um einen Aktenbestandteil bei der Entscheidung berücksichtigen zu können, muss er nicht zwingend formal in die mündliche Verhandlung eingeführt werden. Gleiches muss im Verfahren vor den Zulassungsgremien gelten.
138
Gemäß § 45 Abs. 2 Ärzte-ZV kann der Berufungsausschuss einen Widerspruch ohne mündliche Verhandlung zurückweisen, wenn die Zurückweisung einstimmig erfolgt. Diese Verfahrensgestaltung ist auch in Zulassungssachen im engeren Sinne (Zulassungsanträge und Zulassungsentziehungen) zulässig. Im Hinblick auf die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs (§ 96 Abs. 4 S. 2 SGB V) kann es geboten sein, in eindeutigen Konstellationen zeitnah ohne mündliche Verhandlung über den Rechtsbehelf des betroffenen Arztes zu entscheiden.[176]
e) Grundsatz der freien Beweiswürdigung
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Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung ist als Konsequenz des Gleichrangs aller Beweismittel ein ungeschriebener Grundsatz des (Sozial-)Verwaltungsverfahrens.[177] Die Zulassungsgremien sind nicht an förmliche Beweisführungsregeln gebunden, sondern würdigen den Sachverhalt allein aufgrund der vorliegenden Informationen. Sie müssen sich ein eigenes und eigenständiges Urteil bilden und dürfen den Vortrag eines Beteiligten oder eines Sachverständigen nicht unreflektiert übernehmen.[178] Ihrer Würdigung haben die Zulassungsgremien das Gesamtergebnis des Verfahrens einschließlich einer eventuellen Beweisaufnahme zugrunde zu legen und dieses daraufhin zu prüfen, ob die maßgebenden Tatsachen mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit oder, wenn geringere Wahrscheinlichkeit genügt, mit überwiegender Wahrscheinlichkeit oder mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststehen. Ein Verstoß gegen allgemeine Erfahrungsgrundsätze oder Denkgesetze macht die Beweiswürdigung fehlerhaft.[179]
f) Grundsatz der Nichtöffentlichkeit (§ 40 S. 1 Ärzte-ZV)
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Nach § 40 S. 1 Ärzte-ZV sind die Sitzungen der Zulassungsgremien nicht öffentlich.[180] Dies bedeutet, dass nur die Beteiligten i.S.v. § 37 Abs. 2 Ärzte-ZV an den Sitzungen teilnehmen dürfen, soweit sie nicht gemäß § 41 Abs. 1 Ärzte-ZV ausgeschlossen sind.[181] Nach dem Rechtsgedanken des § 192 Abs. 2 GVG kann es auch zulässig sein, dass neben den Mitgliedern der Zulassungsgremien auch deren Vertreter teilnehmen, wenn dadurch eine kontinuierliche Befassung mit einer sich über einen längeren Zeitraum erstreckenden Zulassungssache möglich ist.[182] Eine Ausnahme vom Grundsatz der Nichtöffentlichkeit besteht gemäß § 41 Abs. 1 S. 2 Ärzte-ZV für den von der Kassenärztlichen Vereinigung gestellten Schriftführer, der kein Mitglied des Zulassungsausschusses ist (arg e § 34 Abs. 1 Ärzte-ZV)[183] und im Rahmen des § 41 Abs. 1 S. 3 Ärzte-ZV für Patientenvertreter gemäß § 140f Abs. 3 SGB V.[184] Die Ladung eines Zeugen oder die Anhörung eines Sachverständigen durch den Zulassungsausschuss gemäß § 39 Abs. 1 Ärzte-ZV verletzt den Nichtöffentlichkeitsgrundsatz selbstverständlich nicht, soweit ihre Anwesenheit auf die Befragung begrenzt ist.[185]
141
Gemäß § 40 S. 2 Ärzte-ZV beginnt die Sitzung „nach dem Aufruf der Sache mit der Darstellung des Sachverhalts durch den Vorsitzenden“. In der Kommentarliteratur wird vertreten, mit dem Aufruf der Sache sei die Nichtöffentlichkeit herzustellen. Alle Personen, die nicht als Mitglied dem Zulassungsausschuss angehören, nicht als Beteiligte des Verfahrens nach § 37 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 Ärzte-ZV oder deren Bevollmächtigte (vgl. § 13 Abs. 1 SGB X) und nicht als in den Fällen des § 140f Abs. 3 SGB V zur Mitwirkung berechtigte Patientenvertreter nach § 36 Abs. 2 Ärzte-ZV zur Sitzung geladen und nicht als Schriftführer gestellt worden sind, seien des Sitzungsraumes zu verweisen. Allerdings muss berücksichtigt werden, dass der Aufruf der Sache allein noch nicht zum Sitzungsbeginn führt („nach dem Aufruf“). Ebenso wie bei dem wortgleichen § 112 Abs. 1 S. 2 SGG gehören Vorgänge zwischen Aufruf der Sache und Beginn der Sachverhaltsdarstellung noch nicht zum nichtöffentlichen Teil der Sitzung.[186]
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Nach herrschender Meinung führt ein Verstoß gegen den Grundsatz der Nichtöffentlichkeit nicht zur Nichtigkeit des in dieser Sitzung gefassten Beschlusses. Man argumentiert, auch die Mitwirkung einer nach § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 bis 6 SGB X ausgeschlossenen Person führe gemäß § 40 Abs. 3 Nr. 2 SGB X nicht zur Nichtigkeit des Verwaltungsaktes. Erst recht könne deswegen die schlichte Anwesenheit einer nicht zur Anwesenheit befugten Person beim Erlass eines Verwaltungsaktes diesen nicht nichtig machen. § 42 S. 1 SGB X schließe die Aufhebung allein unter Berufung auf den Formverstoß aus.[187] Dem wird man im Ergebnis zustimmen müssen, zumal es sich im Falle eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Nichtöffentlichkeit um eine unzulässige Erweiterung der Öffentlichkeit handelt, die von der Rechtsordnung auch in anderem Zusammenhang weniger streng beurteilt wird als eine Einschränkung der Öffentlichkeit.[188]
a) Beginn des Verfahrens
143
Das Verfahren vor dem Zulassungsausschuss wird in der Regel durch einen entsprechenden Antrag eingeleitet, etwa durch den Antrag auf Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung gemäß § 19 Abs. 1 S. 1 Ärzte-ZV, § 95 Abs. 1 SGB V.
144
In Ausnahmefällen hat der Zulassungsausschuss von Amts wegen tätig zu werden, etwa bei der Entziehung der Zulassung gemäß § 27 Ärzte-ZV, § 95 Abs. 6 SGB V.
145
In manchen Fällen reagiert der Zulassungsausschuss aus Gründen der Rechtsklarheit mit einem feststellenden Beschluss auf Erklärungen bspw. von Vertragsärzten oder auf gesetzlich eingetretene Rechtsfolgen.[189] Zu denken ist an die Feststellung des Endes und des Zeitpunkts des Endes der Zulassung nach einem Zulassungsverzicht gemäß § 28 Abs. 1 Ärzte-ZV,[190] an die Feststellung des Endes und des Zeitpunkts des Endes der Zulassung gemäß § 28 Abs. 1 S. 3 Ärzte-ZV oder an die Feststellung des Endes einer Berufsausübungsgemeinschaft gemäß § 33 Abs. 2 Ärzte-ZV nach einer dahingehenden Erklärung eines Gesellschafters dieser Berufsausübungsgemeinschaft gegenüber dem Zulassungsausschuss.[191] Die – zwischenzeitlich aufgehobene – Bestimmung des § 95 Abs. 7 S. 3 SGB V sah das Ende der Zulassung mit Vollendung des 68. Lebensjahres vor.[192] Entsprechende Beschlüsse des Zulassungsausschusses haben