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Das Gebot der Waffengleichheit verlangt eine zwischen den Beteiligten untereinander und den Zulassungsgremien, also sowohl horizontal als auch vertikal bestehende Chancengleichheit bei der Interessenverfolgung. Diesem Zweck dienen vor allem die noch gesondert anzusprechenden Rechte auf Akteneinsicht und Anhörung,[18] sowie das Recht, Bevollmächtigte, Beistände und Vertreter am Verfahren zu beteiligen.[19]
c) Verhältnismäßigkeit als Verfahrensprinzip
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Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entfaltet seine Wirkung, soweit mit dem Verfahren vor den Zulassungsgremien Belastungen für die Beteiligten verbunden sind. Das Verfahrensermessen kann nur im Rahmen der Verhältnismäßigkeit ausgeübt werden.[20] Dies gilt insbesondere für Verfahrenshandlungen, die in Grundrechte eines Beteiligten eingreifen, wie etwa Datenerhebungen und Vorladungen. Aber auch darüber hinaus sind die Zulassungsgremien gehalten, das Verfahren so auszugestalten, dass es im Hinblick auf sein jeweiliges Ziel geeignet und erforderlich erscheint und die Beteiligten nicht zu unverhältnismäßigen Mitwirkungshandlungen oder zeitlichen Belastungen nötigt.[21]
d) Effizienz und Zügigkeit
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Das Gebot der Effizienz und Zügigkeit von Verwaltungsentscheidungen vereint zwei einander nicht immer bedingende Elemente. Einerseits können durch eine Verzögerung von Verwaltungsverfahren – dies gilt insbesondere für Zulassungs- und Ermächtigungsentscheidungen – nicht nur erhebliche wirtschaftliche Einbußen, sondern auch Rechtsverluste eintreten, so dass eine möglichst zügige Entscheidung wünschenswert ist.[22] Dementsprechend verlangt auch § 9 S. 2 SGB X ausdrücklich eine „zügige“ Durchführung des Verwaltungsverfahrens.[23] Andererseits kann sich eine gründliche Sachverhaltsermittlung und Interessenabwägung auf lange Sicht als effektiver erweisen, da sie zur Vermeidung von Folgerechtsstreitigkeiten beitragen kann. Effizienz darf deswegen nicht mit Schnelligkeit verwechselt werden. Die Gebote der Effizienz und Zügigkeit sind unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips zu handhaben, was bedeutet, dass auf die Wertigkeit der durch das Verfahren betroffenen Rechtspositionen, die Komplexität des Sachverhalts sowie die zu treffenden Interessenabwägungen Rücksicht zu nehmen ist.[24]
e) Nichtbeteiligung befangener Personen
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Zu den allgemeinen, verfahrensübergreifenden Grundsätzen gehört auch das Gebot, dass in entscheidungsrelevanter Position keine Personen mitwirken dürfen, bei denen eine Interessenkollision vorliegt. Interessenkollisionen können sich sowohl auf den Verfahrensablauf als auch das Verfahrensergebnis negativ auswirken. Der Grundsatz ist als Ausdruck des Rechtsstaatsprinzips[25] in § 16 SGB X speziell geregelt.
f) Datenschutz und Geheimhaltung
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Soweit im Verfahren vor den Zulassungsgremien Informationen aus der privaten oder beruflichen Sphäre des Arztes erhoben werden, stellt sich die Frage nach Datenschutz und Geheimhaltung.[26] Seit ihrem Inkrafttreten am 25.5.2018 gilt die Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.4.2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/G (Datenschutz-Grundverordnung – DSGVO) innerhalb ihres Anwendungsbereichs unmittelbar und verdrängt das deutsche Recht, soweit nicht Öffnungsklauseln vorgesehen sind.[27] Zum Teil wird unter Hinweis auf Art. 168 Abs. 7 S. 1 und S. 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) die Ansicht vertreten, der Bereich der Krankenversicherung unterfalle nicht dem originären Kompetenzbereich der EU und damit der DSGVO.[28] Folgt man dem nicht, ist zu prüfen (vgl. § 35 Abs. 2 SGB I), ob die DSGVO zur Anwendung kommt und anschließend zu untersuchen, ob in den jeweiligen DSGVO-Regelungen nationale Öffnungsklauseln enthalten sind, die der deutsche Gesetzgeber für eigene Regelungen genutzt hat. Im Falle von Kollisionen geht das europäische Recht dem nationalen Recht vor.[29] Der Anwendungsbereich der DSGVO ist im Verfahren vor den Zulassungsgremien gemäß Art. 2 Abs. 1 DSGVO sachlich und gemäß Art. 3 Abs. 1 DSGVO räumlich eröffnet. Die Zulassungsgremien verarbeiten als datenschutzrechtlich Verantwortliche i.S.v. Art. 4 Nr. 7 DSGVO personenbezogene Daten der Ärzte i.S.v. Art. 4 Nr. 1 DSGVO. Grundsätzlich ist damit die DSGVO auf die Datenverarbeitung anzuwenden, so dass die Verarbeitung der Daten nach Art. 6 DSGVO gerechtfertigt werden muss, sofern nicht spezifische nationale Regelungen über eine Öffnungsklausel zur Anwendung kommen.
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Das BSG geht anders vor. Nach seiner Rechtsprechung bedarf es im Hinblick auf die Auffangregelung in § 35 Abs. 2 S. 2 SGB I keiner Vertiefung, ob die DSGVO gemäß § 35 Abs. 2 S. 1 SGB I unmittelbar gilt.[30] Selbst bei unmittelbarer Geltung der DSGVO ergebe sich die Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung aus Art. 6 Abs. 1 lit. c, Abs. 2 DSGVO. Die Verarbeitung personenbezogener Daten ist danach rechtmäßig, wenn sie zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung erforderlich ist, der der Verantwortliche unterliegt. Die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Zulassungsgremien gehören nach Auffassung des BSG zu den öffentlich-rechtlichen Vereinigungen i.S.d. § 35 Abs. 1 S. 4 SGB I.[31] Die Erhebung und Speicherung von Sozialdaten durch die Kassenärztlichen Vereinigungen sowie deren Übermittlung an die Zulassungsgremien sei nach § 67a Abs. 1 S. 1 SGB X zulässig, da § 285 Abs. 1 und Abs. 3 SGB V die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung von Sozialdaten der Ärzte, Psychotherapeuten und Zahnärzte durch die Kassenärztlichen und Kassenzahnärztlichen Vereinigungen regele.[32] Die rechtmäßig erhobenen und gespeicherten Sozialdaten dürfen nur für die Zwecke nach § 285 Abs. 1 SGB V (also auch zum Zweck der Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung, § 285 Abs. 1 Nr. 2 1. Fall SGB V) verarbeitet werden, für andere Zwecke, soweit dies durch Rechtsvorschriften des SGB angeordnet oder erlaubt ist (§ 285 Abs. 2 S. 1 SGB V).[33]
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Die Entscheidung des BSG muss man im Ergebnis als richtig bezeichnen, die Begründung ist aber kritikwürdig. § 285 Abs. 1 SGB V rechtfertigt nur die Datenerhebung durch die Kassenärztlichen Vereinigungen und gilt damit nicht für die Zulassungsgremien. Auch der Aufgabenkatalog des § 285 Abs. 1 SGB V umfasst nicht die Zuständigkeiten der Zulassungsgremien. Ob eine Analogie zulässig wäre, ist fraglich, da in § 285 Abs. 3 S. 6 SGB V bestimmte Sicherstellungsaufgaben genannt sind, die ausschließlich die Zuständigkeit der Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen betreffen, so dass eine planwidrige Regelungslücke schwer zu begründen ist. In Betracht kommt hingegen die Anwendbarkeit der §§ 67 ff. SGB X über die Öffnungsklausel in Art. 6 Abs. 3 S. 1 lit. b DSGVO. Ob die §§ 67 ff. SGB X die Sachverhalte vor den Zulassungsgremien erfassen, ist jedoch umstritten. Dafür müsste es sich bei den zu verarbeitenden Daten um Sozialdaten i.S.v. § 67 Abs. 2 SGB X handeln. Die Daten müssten also von einer in § 35 SGB I genannten Stelle verarbeitet werden. § 35 Abs. 1 S. 4 SGB I nennt als Stellen u.a. die Verbände der Leistungsträger, die Arbeitsgemeinschaften der Leistungsträger und ihrer Verbände und die im Sozialgesetzbuch genannten öffentlich-rechtlichen Vereinigungen. Zu letzteren zählen die Landesverbände der Krankenkassen und die Kassenärztlichen Vereinigungen[34] als Verbände der Leistungserbringer. Aus der Tatsache, dass die Zulassungsgremien von diesen beiden Sozialgeheimnisträgern errichtet und unterhalten werden, wird teilweise die Schlussfolgerung gezogen, es handele sich bei den Zulassungsgremien selber wiederum um eine Stelle i.S.v. § 35 SGB I.[35] Allerdings ist zu bedenken, dass