4.1 Zwei Alternativen
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Nach § 990 I mit § 989 kann der Eigentümer Schadensersatz auch vom bösgläubigen Besitzer verlangen, der eine Verschlechterung der Sache, ihren Untergang oder aus anderem Grunde die Unmöglichkeit der Herausgabe verursacht hat und sich nicht entlastet.
Bösgläubig ist der Besitzer in zwei Fällen:
- | Entweder weiß er schon beim Besitzerwerb oder weiß es grobfahrlässig nicht, dass er kein Recht zum Besitz habe (§ 990 I 1), |
- | oder er erfährt erst nach gutgläubigem Besitzerwerb, dass er zum Besitz nicht berechtigt sei, und verschlechtert noch später die herauszugebende Sache (§ 990 I 2)[53]. |
Im ersten Fall haftet er von Anfang an, im zweiten Fall erst ab der Kenntnis.
Eine bewegliche Sache ist auch der Inhaberscheck, denn das verbriefte Forderungsrecht folgt dem Recht am Papier. Deshalb haftet die Bank, die grobfahrlässig einen gefälschten, unterschlagenen oder gestohlenen Scheck hereinnimmt und einlöst, ohne ihn ausreichend zu prüfen, dem Eigentümer aus § 990 I 1[54]. Da aber schon der Besitz eines Inhaberpapiers nach § 1006 I 1 auf Eigentum schließen lässt, muss die Bank nur besonderen Verdachtsgründen nachgehen[55] Für blanko indossierte Orderverrechnungsschecks gilt das Gleiche[56].
Beispiele
- | Ein Buchhalter reicht 18 Inhaberverrechnungsschecks über 52 130,– € zur Gutschrift auf sein Gehaltskonto ein (BGH 135, 202). |
- | Ein Scheck über 66 087,– €, der erkennbar Lieferantenrechnungen bezahlen soll, wird zur Gutschrift auf ein Sparkonto eingereicht (BGH NJW 87, 1264). |
Der böse Glaube des Besitzers ist anspruchsbegründend, die Beweislast trägt der Eigentümer, denn der gute Glaube ist auch hier die gesetzliche Regel.
4.2 Der Besitzerwerb durch Besitzdiener
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Beim Besitzerwerb durch Besitzdiener (§ 855) schadet der böse Glaube des Besitzherrn stets und der böse Glaube des Besitzdieners analog § 166 I dann, wenn der Besitzherr den Besitzdiener im Rechtsverkehr selbstständig für sich schalten und walten lässt[57].
Beispiel
Der beklagte Elektrogroßhändler erwirbt durch seinen Schwiegersohn, der den Einkauf überwachen soll, gestohlene elektrotechnische Geräte des Klägers und veräußert sie weiter. Der Beklagte selbst ist ahnungslos, sein Schwiegersohn aber weiß Bescheid.
Der Beklagte schuldet dem Kläger nach § 990 I 1 Schadensersatz. Zwar ist er selbst beim Besitzerwerb gutgläubig gewesen, ihm wird aber analog § 166 I der böse Glaube seines Schwiegersohns zugerechnet, der den Besitz als Besitzdiener nach § 855 für den Beklagten erworben hat, weil er ihn im Rechtsverkehr wie einen bevollmächtigten Vertreter hat schalten und walten lassen (BGH 32, 53). Nicht entsprechend anwendbar sind die §§ 278, 831 (anders noch BGH 16, 259), denn hier soll nicht fremdes Verschulden sondern fremdes Wissen zugerechnet werden, und dafür ist § 166 zuständig (BGH 32, 53).
Ist der Besitzer ein Unternehmer, wird ihm das gesamte im Unternehmen vorhandene und gespeicherte Wissen zugerechnet, dessen Benutzung durch den geschäftlichen Vorgang veranlasst wird[58].
4.3 Die Anmaßung von Eigenbesitz durch den Fremdbesitzer
Problematisch ist der Fall, dass der berechtigte Fremdbesitzer sich unberechtigt Eigenbesitz anmaßt in der grobfahrlässigen Annahme, er sei dazu berechtigt. § 854 I definiert den Besitzerwerb auch für § 990 I 1 als „Erlangung der tatsächlichen Gewalt über die Sache“. Davon kann hier keine Rede sein, denn die Verwandlung von Fremd- in Eigenbesitz spielt sich nur im Kopf des Besitzers ab und ändert an der tatsächlichen Sachherrschaft rein gar nichts. Der BGH hat gleichwohl den § 990 I 1 angewendet, weil der Schadensersatzanspruch aus § 823 bereits verjährt war[59]. Nach dem neuen Verjährungsrecht der §§ 195, 199 spielt dieses Argument keine ernsthafte Rolle mehr.
5. Die Verletzung der Herausgabepflicht
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Nach §§ 989, 990 hat der verklagte oder bösgläubige Besitzer nur solche Schäden zu ersetzen, die er durch Verschlechterung, Untergang oder sonstige Unmöglichkeit der Herausgabe verursacht. Andere Schäden, die dadurch entstehen, dass der Besitzer die Sache nicht oder verspätet herausgibt, sind aber nach §§ 280, 281, 286 zu ersetzen, denn diese schuldrechtlichen Anspruchsgrundlagen sind auch auf die Verletzung dinglicher Leistungspflichten anwendbar[60], aber auch hier haftet der Besitzer nur, wenn er auf Herausgabe verklagt oder bösgläubig ist[61].
6. Der Besitzerwerb durch verbotene Eigenmacht oder strafbare Handlung
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Wer sich den Besitz durch verbotene Eigenmacht oder eine Straftat verschafft hat, fällt aus dem Rahmen des Eigentümer-Besitzer-Verhältnisses heraus und haftet dem Eigentümer über § 992 direkt nach §§ 823, 249, 848. Obwohl die verbotene Eigenmacht nach § 858 kein Verschulden voraussetzt, wird sie nur durch Verschulden zur unerlaubten Handlung nach § 992, zumal auch die Straftat ein Verschulden erfordert[62]. Strafbar ist der Besitzerwerb durch Diebstahl und Raub, Betrug, Erpressung und Hehlerei[63].
7. Der unverklagte gutgläubige Besitzer
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Solange er nicht auf Herausgabe verklagt ist, haftet der gutgläubige Besitzer nach § 993 I Hs. 2 nicht.
Eine Ausnahme macht § 991 II: Der Besitzer ist dem Eigentümer von Anfang an insoweit zum Schadensersatz verpflichtet, als er dem mittelbaren Besitzer verantwortlich ist, denn es gibt keinen vernünftigen Grund, den unberechtigten Besitzer gegenüber dem Eigentümer milder zu behandeln als gegenüber dem mittelbaren Besitzer, von dem er seinen Besitz ableitet[64].
8. Der Exzess des Fremdbesitzers
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Als Fremdbesitzerexzess bezeichnet man ein Verhalten des Besitzers, das die Grenzen seines wirklichen oder vermeintlichen Besitzrechts überschreitet (RN 157), was nur dem Fremdbesitzer gelingen kann.
Der berechtigte Fremdbesitzer haftet dem Eigentümer aus Vertrag und unerlaubter Handlung; die §§ 989 ff. sind mangels einer Vindikationslage nicht anwendbar[65].
Der unberechtigte Fremdbesitzer unterliegt zwar den §§ 989 ff., aber auch er haftet für die Überschreitung seines vermeintlichen Besitzrechts ohne Rücksicht auf seinen guten Glauben direkt aus §§ 823 ff.[66].
1.1