1. Die Rechtsfolgen des Eigentümer-Besitzer-Verhältnisses
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Das Eigentümer-Besitzer-Verhältnis produziert dreierlei Ansprüche und ein Wegnahmerecht:
- | einen Anspruch des Eigentümers auf Herausgabe der Nutzungen oder auf Nutzungsersatz (§§ 987, 988, 990); |
- | einen Anspruch des Eigentümers auf Schadensersatz dafür, dass der Besitzer die Sache nicht mehr unversehrt herausgeben kann (§§ 989, 990, 992); |
- | einen Anspruch des Besitzers auf Verwendungsersatz (§§ 994, 996, 999); |
- | ein Recht des Besitzers auf Wegnahme einer Sache, die er mit der Sache des Eigentümers verbunden hat (§ 997). |
Die Ansprüche des Eigentümers aus §§ 987, 989, 990 hängen davon ab, dass der Besitzer entweder auf Herausgabe verklagt oder bösgläubig ist. Für den Anspruch des Besitzers auf Verwendungsersatz kommt es nach §§ 994 I, 996 darauf an, ob die Verwendungen notwendig oder wenigstens nützlich waren, während der Anspruch aus § 994 II zusätzlich eine Geschäftsführung ohne Auftrag erfordert. Die rechtliche Prüfung erfordert subtile Unterscheidungen, ganz abgesehen von den systemwidrigen Ausnahmen, welche die Rechtsprechung glaubt, machen zu müssen.
Alle diese Rechtsfolgen sind dingliche Rechtsfolgen, denn sie stehen im Sachenrecht[14]. Schuldrechtliche Vorschriften darf man deshalb nicht unbesehen, sondern von Fall zu Fall nur entsprechend heranziehen. Entsprechend anwendbar sind nach § 990 II die Vorschriften der §§ 280 I, II, 286 über den Schuldnerverzug[15] und wohl auch die §§ 293 ff. über den Gläubigerverzug.
Abbildung 12: Eigentümer-Besitzer-Verhältnis
2. Das Privileg des unverklagten gutgläubigen Besitzers
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Sinn und Zweck der komplizierten gesetzlichen Regelung ist es, den gutgläubigen Besitzer, der noch nicht auf Herausgabe verklagt ist, rechtlich besser zu stellen als er ohne diese Spezialregeln schuldrechtlich stünde. Denn nach §§ 812, 818 müsste er alle gezogenen Nutzungen herausgeben oder ersetzen und nach § 823 I für jede fahrlässige Eigentumsverletzung, nach § 848 sogar für den zufälligen Untergang der Sache einstehen. Seine Verwendungen auf die Sache schließlich bekäme er, auch wenn sie noch so notwendig gewesen wären, nur nach §§ 677, 683, 812, 818 ersetzt. Dies alles mutet das Gesetz laut §§ 993 I, 994 II einem unberechtigten Besitzer nicht zu, der sich gutgläubig für besitzberechtigt hält und noch nicht durch die Herausgabeklage des Eigentümers aus seiner Ahnungslosigkeit aufgeschreckt worden ist.
Diese Milde des Gesetzes verscherzt sich der unberechtigte Besitzer nach §§ 987-990 durch seinen bösen Glauben oder die Missachtung der Warnung, die der Eigentümer mit seiner berechtigten Herausgabeklage ausgesprochen hat. Hat der Besitzer den Besitz gar durch schuldhaft verbotene Eigenmacht oder eine strafbare Handlung erlangt, lässt § 992 jede Rücksicht fallen und liefert den Besitzer dem Recht der unerlaubten Handlung aus.
3. Eine erschöpfende Sonderregelung für Nutzungs-, Schadens- und Verwendungsersatz
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Ihren Zweck, den unverklagten, gutgläubigen Besitzer besser zu stellen, als er nach dem Schuldrecht stünde, erfüllen die §§ 987-1003 nur, wenn sie den Nutzungs-, Schadens- und Verwendungsersatz erschöpfend regeln und sowohl den Bereichungsausgleich nach §§ 812 ff. als auch den Schadensausgleich nach §§ 823 ff. verdrängen[16], nicht auch den Anspruch aus § 951[17].
Das Gesetz selbst sagt in § 993 I Hs. 2, dass der unverklagte gutgläubige Besitzer über die Herausgabe der Übermaßfrüchte hinaus weder zum Nutzungsnoch zum Schadensersatz verpflichtet sei. Und § 992 unterwirft den Besitzer dem Deliktsrecht der §§ 823 ff. nur nach einer verbotenen Eigenmacht oder strafbaren Handlung. Dass die §§ 994-996 auch den Verwendungsersatz abschließend regeln, sagt deutlich § 996.
Die §§ 987 ff. sind zwar auf den unberechtigten Eigenbesitzer zugeschnitten, gelten aber auch für den unberechtigten Fremdbesitzer, freilich mit einer kleinen Einschränkung: Damit der unberechtigte Fremdbesitzer nicht besser fahre als der berechtigte, werden ihm seine Verwendungen nur dann nach § 994 ff. ersetzt, wenn sie auch im Rahmen seines vermeintlichen Besitzrechts (Mietverhältnis) ersetzt würden[18].
Dass der Besitzer früher einmal zum Besitz berechtigt war, steht einer Anwendung der §§ 987 ff. nicht im Wege, denn mit dem Erlöschen des Besitzrechts entsteht die für das Eigentümer-Besitzer-Verhältnis erforderliche Vindikationslage, auch wenn der Eigentümer daneben noch einen schuldrechtlichen Herausgabeanspruch, etwa aus § 546 I, hat[19].
4.1 Juristische Winkelzüge
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Die §§ 987 ff. sind deshalb so schwer zu handhaben, weil die Rechtsprechung das gesetzliche System des Eigentümer-Besitzer-Verhältnisses mehrfach durchbricht. Auf der einen Seite wendet sie die §§ 987 ff. gelegentlich auch auf den berechtigten Besitzer an, wenn sie dafür einen besonderen Bedarf sieht. Auf der anderen Seite unterstellt sie den unberechtigten Besitzer bisweilen doch dem Bereicherungs- und Deliktsrecht.
4.2 Der besondere Regelungsbedarf für den berechtigten Besitzer
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Damit der berechtigte Besitzer nicht schlechter fahre als der unberechtigte, wendet die Rechtsprechung die §§ 987 ff. auch auf ihn an, wenn sein Rechtsverhältnis zum Eigentümer, das ihn zum Besitz berechtigt, die Nutzungen und/oder Verwendungen nicht regelt[20].
4.3 Verwendungen des unberechtigten Besitzers während der Zeit seines Besitzrechts
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Viel spricht dafür, dass die §§ 994 ff. sich auf Verwendungen beschränken, die der unberechtigte Besitzer auf die fremde Sache gemacht hat. Der Rechtsprechung ist es jedoch einerlei, ob der Besitzer die Verwendungen als berechtigter oder als unberechtigter Besitzer gemacht hat, wenn er nur später sein Besitzrecht verliert und dann wehrlos dem Herausgabeanspruch des Eigentümers nach § 985 ausgeliefert ist[21].
4.4 Die Eingriffskondiktion
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Wenn der unverklagte gutgläubige Besitzer die Sache nicht mehr herausgeben kann, weil er sie inzwischen veräußert hat, ist er gemäß § 993 I Hs. 2 weder nach § 990 noch nach § 823 I zum