Das Landgericht Augsburg sah das Organisationsverschulden des Chefarztes vor allem darin, dass er die Fortbildung der internistischen Kollegen nicht genügend betrieben, die Übergabe der Patienten nicht besonders geregelt und für Risikopatienten nicht besondere Anordnungen getroffen hatte.
(c) Verantwortlichkeit für die Vornahme des AB0-Identitätstests bei Bluttransfusionen
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Kommt es auf seiner Abteilung zu einem tödlichen Bluttransfusionszwischenfall, weil der in den „Richtlinien zur Blutgruppenbestimmung und Bluttransfusion“ vorgeschriebene AB0-Identitätstest (Bed-side-Test) in der Abteilung generell unterbleibt, ist der Chefarzt für diesen Organisationsmangel verantwortlich. Denn
„als Chefarzt obliegt ihm grundsätzlich die Information seiner ärztlichen Mitarbeiter über Regeln der ärztlichen Kunst, die nicht ohne weiteres fachliches Allgemeinwissen sind. Auch hat er auf Grund seiner Stellung die Einhaltung und die Anwendung anerkannten Fachwissens in dem ihm zugeordneten Klinikbereich zu überwachen; denn mit dieser Position ist die Verantwortung für Kenntnis und Beachtung der Regeln der ärztlichen Kunst durch seine nachgeordneten Mitarbeiter verknüpft. Aufgrund seiner Stellung als Abteilungschefarzt wäre es hier seine Aufgabe gewesen, seinen nachgeordneten ärztlichen und im Pflegedienst tätigen Mitarbeitern die Richtlinien und deren Inhalt zur Kenntnis zu geben, ihre Beachtung sicherzustellen und zu überwachen. Das Unterlassen dieser Wissensvermittlung und Überwachung durch den Angeklagten hat hier zur unkontrollierten Blutentnahme mit der Folge der Verwechslung der Patienten und zur Versäumung des Bed-side-Tests durch den Stationsarzt geführt.“ [204]
Dadurch war es zu einer Fehltransfusion mit tödlichem Ausgang gekommen.
(d) Verantwortlichkeit für die ausreichende personelle Besetzung der Abteilung
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Wie weit die Organisationsverantwortung des Chefarztes aufgrund seiner Leitungs- und Aufsichtspflicht reicht, „hängt von den jeweiligen Verhältnissen des betreffenden Krankenhauses, der Größe und Ordnung des Krankenhausbetriebs, der personellen Zusammensetzung des ärztlichen Dienstes usw. ab“[205] und lässt sich daher „nicht allgemein sagen“[206], sondern nur an Beispielen illustrieren. So ist etwa der Chefarzt der Anästhesieabteilung für die anästhesiologische Versorgung im Krankenhaus verantwortlich, das heißt, er muss Ärzte für die Anästhesie bei Operationen einteilen, die die notwendige Eignung, Fachkunde und Erfahrung für diese Tätigkeit besitzen.[207] Der Chefarzt muss deshalb alles in seiner Macht Stehende tun, dafür Sorge zu tragen, dass der Krankenhausträger genügend Anästhesisten einstellt und qualifiziertes Pflegepersonal zur Verfügung steht. Ein einmaliger Hinweis („Remonstration“) auf „personelle Engpässe“ genügt nicht[208], vielmehr muss auf den gegebenenfalls unzureichenden Stellenplan nachhaltig und wiederholt aufmerksam gemacht werden. Unter Umständen reichen selbst mehrfache, nachdrückliche Hinweise auf solche Missstände nicht aus, da Schutz und Sicherheit des Patienten absolute Priorität vor allen anderen Erwägungen haben. Wenn die „personelle ärztliche Unterversorgung den erreichbaren medizinischen Standard einer sorgfältigen und optimalen Behandlung des Patienten gefährdet“, müssen notfalls das Operationsprogramm „heruntergefahren“, Pflegestationen geschlossen oder Patienten an andere Krankenhäuser verwiesen werden[209]. In einem Urteil des LG Hamburg[210] heißt es dazu: Nach Ansicht der Kammer entlastet es den Leitenden Arzt nicht, „dass sechs Stellen für Narkosefachärzte im Krankenhaus unbesetzt waren trotz seines wiederholten Hinweises auf diese Situation… Jedenfalls bei Operationen, die ohne Gefahr hätten verschoben werden können, ist es nicht vertretbar, unter den dargelegten örtlichen und personellen Verhältnissen unter Anwendung der Intubationsnarkose zu operieren“.
Bestätigt wurde diese Ansicht vom BGH in dem gegen den Klinikträger gerichteten Parallelverfahren.[211] Wörtlich heißt es in der Entscheidung:
„Der Krankenhausträger hätte dafür Sorge tragen müssen, dass in seiner Klinik nur Operationen ausgeführt wurden, die anästhesiologisch ordnungsgemäß betreut werden konnten. Solange er nicht genügend Anästhesisten für seine Klinik bekommen konnte, hätte er notfalls auf eine Ausweitung der Chirurgischen Abteilung verzichten und weiter anordnen müssen, dass nach Erschöpfung der jeweils vorhandenen Kapazität die Patienten an andere Krankenhäuser zu verweisen seien. Jedenfalls aber bedurfte es klarer Anweisungen an die Ärzte, wie bei einem plötzlichen Engpass zu verfahren war. Es hätte etwa klargestellt werden müssen, dass und welche Operationen zurückzustellen seien, vor allem aber, welche noch in der Ausbildung befindlichen Ärzte oder welches Pflegepersonal bei der Anästhesie eingesetzt werden durften und wie sie dann wirksam angeleitet und überwacht werden konnten. Keinesfalls durfte die Streithelferin als Krankenhausträger vor den ihr bekannten Zuständen mit der Gefahr „illegaler Praktiken“ und sog. „Umimprovisationen“ die Augen schließen und darauf vertrauen, die in der Klinik tätigen Ärzte würden mit der jeweiligen Situation schon irgendwie fertig werden und sie würden sich nach Kräften bemühen, die Patienten trotz allem vor Schäden zu bewahren“.
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