Das „Wohl des Patienten“ im Sinne möglichst positiver Ergebnisqualität zur weitestgehenden Erhaltung bzw. Wiederherstellung seiner Gesundheit bildet das Ziel aller Behandlungsmaßnahmen. Dies erfordert „letztlich“ eine Behandlung nach den Regeln ärztlicher Kunst, d.h. in Ansehung der komplexen medizinischen Leistungsprozesse – nicht nur, aber vor allem in Kliniken – zur Zielerreichung ein adäquates Behandlungsmanagement. Selbstverständlich ist insofern zunächst die persönliche fachliche Qualifikation und Kompetenz von Ärztinnen und Ärzten sowie Pflegekräften und sonstigen Medizinalpersonen gefordert. Darüber hinaus resultiert adäquates Behandlungsmanagement aus Maßnahmen zur Qualitätssicherung, wozu alle persönlichen und institutionellen Leistungserbringer im Gesundheitswesen gesetzlich verpflichtet sind (§ 135a Abs. 1 S. 1 SGB V). Darüber hinaus müssen die Leistungserbringer einrichtungsintern ein Qualitätsmanagement einführen und – im Sinne der o.a. Sekundärorganisation – weiterentwickeln (§ 135a Abs. 2 Nr. 2 SGB V). Ein Instrument solchen Qualitätsmanagements ist sogenanntes Risk Management, dessen Etablierung nunmehr auch normativ vorgegeben ist (vgl. dazu auch die „Qualitätsmanagement-Richtlinie“ des G-BA, welche am 16.11.2016 in Kraft getreten ist; siehe dazu bereits Rn. 198).
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Risk Management hat zum Ziel, aktiv nach Schadensursachen und Risikofeldern in medizinischen Betriebssystemen zu suchen, um präventiv Haftungsfälle zu vermeiden, was – umgekehrt – die Erzielung positiver Behandlungsqualität impliziert.[46] Wäre das Risiko „fehlender Aufwachraum“ im o. a. Fallbeispiel[47] von vornherein (Primärorganisation) bzw. im weiteren Verlauf (Qualitätsmanagement im Rahmen der Sekundärorganisation) festgestellt und unterbunden worden, hätte sich – zum einen – dieser tragische Zwischenfall mit – zum anderen – allen daraus resultierenden rechtlichen Konsequenzen vermeiden lassen. Genau diese Überlegung bildet den Ausgangspunkt für die Erkenntnis zum Erfordernis einer Etablierung adäquaten Risk Managements als Instrument des Qualitätsmanagements.
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Als Gegenstände routinemäßig kontinuierlichen Risk Managements zur prophylaktischen Feststellung von Mängeln in der Struktur- und Prozessqualität seien hier[48] folgende grundlegenden Organisationszusammenhänge beispielhaft[49] genannt:
• | Erforderliche Gewährleistung einer Patientenbehandlung mit Facharztqualität unter den Aspekten Auswahl, Anleitung und Einsatz von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern; deren Einarbeitung sowie Aus-, Fort- und Weiterbildung; Berücksichtigung medizinischer Leitlinien bei der Patientenbehandlung; qualifizierte Diensteinteilungen etwa in Ambulanzen und im Bereitschaftsdienst, |
• | Dokumentationsmanagement, |
• | Aufklärungsmanagement, |
• | Organisation der (Notfall-) Ambulanz mit Gewährleistung zeitgerechter fachärztlicher Patientenversorgung,[50] |
• | perioperatives Management (z.B. Patienten- und Eingriffsidentifikation; OP-Lagerung),[51] |
• | interdisziplinäre Koordination intensivmedizinischer und geburtshilflicher Patientenbehandlung, |
• | allgemeine Erhebung und Regelung von strukturellen und prozessualen Schnittstellen,[52] |
• | strukturierte Organisation von ambulantem Operieren,[53] |
• | Krankenhaus-Entlassmanagement gem. § 39, Abs. 1a, Satz 9 SGB V samt entsprechendem Rahmenvertrag, der am 1.10.2017 in Kraft getreten ist, |
• | Umsetzung normativer Maßgaben, z.B. betreffend das Hygiene-, Transfusions- und Medizinproduktewesen, |
• | Delegation ärztlicher Aufgaben auf nichtärztliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Rahmen rechtlicher Zulässigkeit,[54] |
• | klinikinterne Abstimmungen bzw. Vereinbarungen zu organisatorischen Handhabungen in Ansehung rechtlicher Maßgaben z.B. betreffend die Behandlung von Zeugen Jehovas[55] und die Durchführung von sog. „Wunsch-Kaiserschnittentbindungen“,[56] |
• | adäquate Reaktion auf medizinische Komplikationen und Zwischenfälle unter juristischen Aspekten („Juristisches Zwischenfallmanagement“).[57] |
Im Rahmen adäquaten Risk Managements gehören somit alle Aspekte der Struktur- und Prozessqualität von Gesundheitseinrichtungen – sei es in der Klinik oder in der Arztpraxis[58] – auf den Prüfstand, um den gegebenen Ist-Zustand mit dem anzustrebenden Soll-Zustand abzugleichen, damit auf dieser Grundlage Schwachstellen, d.h. Risiken, erkannt und behoben werden können, um auch dergestalt möglichst positive Behandlungsqualität zu gewährleisten.
2. Insbesondere: Organisationsfehler im Rahmen der Arbeitsteilung
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Strafrechtlich stellt sich das Problem, ob die tatsächliche Arbeitsteilung auch eine rechtliche Verantwortungsteilung zur Folge hat oder aber eine „Verantwortungsvervielfachung“ durch Aufsichts-, Kontroll- und Organisationspflichten in bestimmtem Umfang Platz greift.[59] Mit der wachsenden Zahl der im Einzelfall in die Betreuung des Patienten eingeschalteten Personen nimmt das Fehlerrisiko zu. Da es jedoch unerträglich wäre, wenn jeder für jeden Sorgfaltspflichtverstoß des anderen, für jede Zuständigkeits- oder Informationslücke strafrechtlich einzustehen hätte, muss die Verantwortung des Einzelnen für das Ganze (die Behandlung des Patienten) so beschränkt werden, dass ihre Übernahme individuell noch zumutbar, gleichzeitig aber das Sicherheitsbedürfnis und der Schutz des Patienten gewahrt bleiben. Diese – notwendige – Haftungsbegrenzung wird – dies ist heute in Rechtswissenschaft und Medizin allgemein anerkannt – in sinnvoller Weise durch zwei insbesondere von Weissauer begründete und in die Praxis umgesetzte Kriterien erreicht: zum einen durch das Prinzip der strikten Arbeitsteilung und zum anderen durch den Vertrauensgrundsatz[60], der in der „Freiheit zum Handeln“ wurzelt, die im „Verschuldensprinzip des geltenden Rechts“ ihren Ausdruck findet.[61]
a) Teilbarkeit der Verantwortungsbereiche: Prinzip der Einzel- und Eigenverantwortlichkeit
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Bis Ende der 50er-/Anfang der 60er-Jahre des vorigen Jahrhunderts galt die „klassische“, in der Tradition verwurzelte Auffassung von der Unteilbarkeit ärztlicher Verantwortung für den Patienten. Dementsprechend kam Engisch – bezogen auf das Verhältnis Chirurgie/Anästhesie – zu dem Ergebnis, „ungeachtet der Berechtigung, sich in gewissen Grenzen auf den Narkosefacharzt und sein einwandfreies Funktionieren zu verlassen“, müsse „im Interesse des dem Operateur sich anvertrauenden Patienten die allgemeine Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit des Chirurgen vor wie während wie nach der Operation bei Bestand“ bleiben und „suprema lex“ sein.[62] Die Verantwortung des Operateurs, heißt es an anderer Stelle, sei