8.Ausnahme für Maßregeln der Sicherung und Besserung83 – 85
C.Internationalisierung, vornehmlich Europäisierung des Strafrechts86 – 114
I.Rückwirkungsverbot86 – 88
II.Lex mitior89 – 100
1.Verortung des Milderungsgebots im Grundsatz „nullum crimen sine lege“ (Art. 7 EMRK) durch den EGMR89 – 93
2.Art. 49 Abs. 1 S. 3 GR-Charta94 – 100
a)Eröffnung des Anwendungsbereichs der Grundrechtecharta95
b)Erstreckung des Milderungsgebots auf Richtlinien, Verordnungen und Rahmenbeschlüsse96, 97
c)Erstreckung des Milderungsgebots auf den Anwendungsvorrang des Unionsrechts?98, 99
d)Verdrängung der Sonderregelung für Zeitgesetze in § 2 Abs. 4 StGB durch Art. 49 Abs. 1 S. 3 GRCh?100
III.Klassische Fragestellungen101 – 114
1.Rückwirkungsverbot101 – 106
a)Tötungen an der innerdeutschen Grenze102, 103
b)Geltung des Rückwirkungsverbots für Maßregeln der Besserung und Sicherung?104 – 106
2.Milderungsgebot und intertemporale Ahndungslücken107 – 114
a)Anforderungen an eine Ahndungslücke107 – 109
b)Möglichkeiten zur Schließung einer intertemporalen Ahndungslücke durch den Gesetzgeber110 – 114
1
Der zeitliche Geltungsbereich des Strafrechts ist in § 2 StGB geregelt. Dort legt der Gesetzgeber fest, welches Recht bei einer Änderung des Gesetzes zwischen der Begehung der Straftat und der Entscheidung der Strafverfolgungsorgane anzuwenden ist. Hierfür enthält § 2 StGB verschiedene Einzelbestimmungen, die in ihrer Gesamtheit das „intertemporale Strafrecht“[1] konstituieren. Damit bildet § 2 StGB neben § 1 StGB, der unter anderem das Rückwirkungsverbot für nachträgliche Strafschärfungen enthält, die zweite wichtige Säule für die Anwendung des Strafrechts im Hinblick auf Gesetzesänderungen nach Begehung einer Straftat. Im Rahmen des § 2 StGB kommen folgende vier Prinzipien zum Tragen: das Rückwirkungsverbot (§ 2 Abs. 1 und 2 StGB), das Meistbegünstigungsprinzip (§ 2 Abs. 3 StGB), die Einschränkung des Meistbegünstigungsprinzips für Zeitgesetze (§ 2 Abs. 4 StGB) und die Einschränkung des Rückwirkungsverbots für Maßregeln der Besserung und Sicherung im Interesse einer zeitgerechten Prävention (§ 2 Abs. 6 StGB).[2] Daher kann § 2 StGB nicht als bloße Konkretisierung des Rückwirkungsverbots charakterisiert werden,[3] zumal dieses Verbot ohnehin bereits in § 1 StGB geregelt ist und durch § 2 StGB erheblich modifiziert, für bestimmte Fälle sogar ganz aufgehoben wird.[4]
7. Abschnitt: Geltungsbereich des Strafrechts › § 30 Zeitlicher Geltungsbereich › A. Historische Entwicklung
I. Vorgeschichte des Grundsatzes „nullum crimen, nulla poena sine lege“ und des „lex mitior“-Prinzips bis zur Aufklärung
2
Das Rückwirkungsverbot war im Ansatz bereits im späten römischen Reich anerkannt.[5] Es wurde zum einen auf den Schuldgrundsatz gestützt, weil der Täter die übertretene Norm gekannt haben muss, wenn er bestraft werden soll, zum anderen auf die Beschränkung auf konstitutive Gesetze, die ein an sich indifferentes Verhalten unter Strafdrohung stellen. Wenn hingegen ein Gesetz bei delicta per se lediglich ein als Unrecht gewertetes Verhalten deklaratorisch als strafwürdig erklärte, wurde darin keine Rückwirkung gesehen. Normkonstituierende Gesetze kamen erst in der späten Zeit der Republik auf.[6] Unter Berufung auf den Rechtsgrund für das Verbot rückwirkender Pönalisierungen wird überwiegend angenommen, dass ein strafrechtliches Rückwirkungsverbot nicht bestanden hat.[7]
3
Bezüglich des Rückwirkungsgebots des milderen Rechts besteht Einigkeit, dass angesichts der wenigen bekannten Quellen kein allgemeines Gebot rückwirkender Anwendung des milderen Rechts bestand, sondern nur als ein kaiserlicher Gnadenakt bestand.[8]
4
Die mittelalterliche Jurisprudenz in Italien übernahm die Ansätze des römischen Rückwirkungsverbots für Gesetze, die gezielt als Mittel zur Herrschaft eingesetzt wurden.[9] Außerdem finden sich erste Ansätze zur Entwicklung eines Verbots rückwirkender Strafschärfungen und des Grundsatzes der Rückwirkung milderer Strafbestimmungen.[10]
1. Rückwirkungsverbot
5
Die Forderung, dass eine Straftat nur bestraft werden darf, wenn die Strafbarkeit vor Begehung der Tat gesetzlich bestimmt war, stellt eine zentrale Errungenschaft der liberalen Verfassungsbewegung