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Eine Verletzung technischer Normen stellt ein starkes Indiz für das Vorliegen eines Sorgfaltsverstoßes i.S.d. Strafrechts dar, ist damit jedoch nicht gleichzusetzen. Es ist denkbar, dass in einer bestimmten Situation (z.B. bei der Herstellung eines Produkts) alle geltenden technischen Vorschriften eingehalten werden, dennoch aber ein Sorgfaltspflichtverstoß anzunehmen ist.[225] Gerade bei neueren technischen Normen wird man allerdings im Regelfall von einem Gleichlauf zwischen technischer Norm und allgemeiner Sorgfaltspflicht ausgehen können.
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J. Strafrecht vor neuen Herausforderungen
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Das Strafrecht sieht sich seit einiger Zeit neuen Herausforderungen ausgesetzt. Dazu gehören zum einen die starke Zunahme europäischer Vorgaben, zum anderen aber auch Globalisierungsphänomene wie Migration und innerstaatliche kulturelle Pluralisierung, die dazu führen, dass deutsche Strafvorschriften mit Moral– und Rechtsnormen anderer Staaten und Kulturen in Konflikt geraten. Außerdem führt der technische Fortschritt dazu, dass Sachverhalte zu bewerten sind, für die klare moralische Vorgaben (noch) nicht existieren. Infolge der Globalisierung gibt es, überspitzt formuliert, zu viele Moralangebote, zur Bewältigung des technischen Fortschritts zu wenige. Das überkommene deutsche Strafrecht und mit ihm die deutsche Strafrechtswissenschaft kann diesen Phänomenen nicht ausweichen, ob und wie sie sie bewältigen kann, ist noch offen.
I. Europäisierung und Globalisierung
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Eine erste Herausforderung liegt in der Europäisierung und Globalisierung des Rechts, die mehr und mehr auch das Strafrecht berühren. Unter der „Europäisierung“ des deutschen Strafrechts soll hier das Phänomen verstanden werden, dass immer mehr Elemente des nationalen Strafrechts von Entscheidungen europäischer Normsetzer, sei es das europäische Parlament oder die Kommission, geprägt werden.[226] Teilweise gehen die Vorgaben so weit, dass dem deutschen Gesetzgeber kaum noch Handlungsspielraum verbleibt. Die deutsche Strafrechtswissenschaft steht diesen Tendenzen zu Recht überwiegend skeptisch gegenüber.[227] Kritisiert wird zum einen die schwache demokratische Legitimation vieler derartiger Einflussnahmen, verbunden mit einer deutlich punitiven Tendenz, und die Missachtung zentraler rechtsstaatlicher Grundsätze, etwa des Ultima-Ratio-Gedankens.
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Von der Europäisierung des deutschen Strafrechts zu unterscheiden ist seine Internationalisierung, also die Öffnung gegenüber Einflüssen aus anderen Ländern und Kulturbereichen.[228] Derartige Einflüsse sind grundsätzlich positiv zu bewerten; soweit sie von fremden Strafrechtsordnungen ausgehen, sind sie Gegenstand des Strafrechtsvergleichs. Es existieren jedoch auch grenzüberschreitende Einflüsse, die Bedenken erregen müssen. Vor allem über das Internet ist der Einzelne heute mit einer unüberschaubar großen Menge von Inhalten konfrontiert, von denen zumindest einige unseren kulturellen Standards und Moralvorstellungen, und teilweise auch den Strafnormen des Staates zuwiderlaufen. Das Internet kennt keine nationalen Grenzen. Derartige Erscheinungen geben den alten Debatten über die Notwendigkeit grenzüberschreitender rechtlicher Standards[229] bis hin zu einem „Weltrecht“[230] bzw. „Weltstrafrecht“[231] neuen Auftrieb.
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Bei der Anwendung des eigenen Strafrechts auf ausländische Sachverhalte ist Zurückhaltung geboten; Deutschland würde sich etwa mit der Rolle eines „Internet-Weltpolizisten“ übernehmen. Deshalb sollte auch das internationale Strafrecht (verstanden als nationales Rechtsanwendungsrecht) nicht über Gebühr ausgedehnt werden, etwa über die Umdeutung abstrakter Gefährdungsdelikte in Erfolgsdelikte.[232] Die Probleme, die durch den Zusammenprall unterschiedlicher kultureller Standards und Moralvorstellungen über das Internet entstehen, können nur zu einem geringen Teil mit den Mitteln des Strafrechts bewältigt werden.
II. Kulturelle Pluralisierung und neue Interkulturalität
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Parallel zur Globalisierung existiert innerhalb der deutschen Gesellschaft ein Trend zur kulturellen Pluralisierung. Ursachen hierfür sind einerseits die Migration nach Deutschland seit den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts, andererseits der starke Bedeutungsverlust des traditionell die Kultur prägenden Christentums.[233] Die ehedem weitgehend homogene Sozialmoral[234] hat sich seit den 60er Jahren teilweise aufgelöst und einer kulturell heterogenen Gesellschaft Platz gemacht. Ganz ähnliche Prozesse haben sich auch in anderen westlichen Industrienationen vollzogen, etwa den USA, England, Kanada und Frankreich.[235]
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Damit stellt sich die Frage, ob die überwiegend vor dem Hintergrund vergangener gesellschaftlicher Verhältnisse entstandene Strafrechtsordnung Deutschlands den neuen Verhältnissen angepasst werden muss.[236] Vor allem die Auseinandersetzung um die religiös motivierte Genitalbeschneidung bei Säuglingen[237] hat die Schwierigkeiten offenbart, die sich beim Aufeinandertreffen von religiös gestützten Moralvorstellungen und den ihnen entsprechenden Traditionen mit dem modernen säkularen Strafrecht ergeben. Ältere Auseinandersetzungen dieser Art bezogen sich etwa auf die Durchführung von Exorzismen,[238] das Schächten von Tieren[239] und auf als unangemessen oder gar verwerflich empfundene Kritik an religiösen Glaubensinhalten (Blasphemie).[240]
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Die bislang herrschende Meinung in der Strafrechtswissenschaft geht zu Recht davon aus, dass zur Lösung der damit angesprochenen Probleme tiefergreifende Änderungen des deutschen Strafrechts nicht erforderlich sind und rechtspolitisch auch nicht sinnvoll wären.[241] Dies bedeutet, dass der im Strafrecht festgeschriebene Rechtsgüterschutz auch gegenüber Positionen durchgesetzt wird, die sich auf religiöse Einstellungen oder auf eine bestimmte kulturelle Praxis berufen. Ein Strafrecht, welches sich am Grundgesetz, insbesondere am Rechtsstaatsprinzip, an den Grundrechten und an der Menschenwürde orientiert,[242] muss rechtsgutsverletzende Praktiken auch dann erfassen können, wenn diese aus Sicht der Gläubigen durch Religion oder durch altehrwürdige Traditionen motiviert werden.[243]
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Andererseits ist zu bedenken, dass die Religionsfreiheit grundrechtlich geschützt wird (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) und das Grundgesetz den Religionen nicht lediglich neutral-tolerierend, sondern grundsätzlich positiv-fördernd gegenübersteht.[244] Zudem sprechen in der modernen, kulturell stark pluralisierten Gesellschaft starke rechtspolitische Gründe dafür, religiöse und fremdkulturelle Einstellungen und Praktiken, auch wenn sie von der Mehrheitsgesellschaft abgelehnt werden, zu tolerieren und wenn möglich sogar als gleichberechtigte Ausprägungen kulturellen Lebens zu akzeptieren. Eine angemessene Grenzziehung zu finden ist überaus schwierig und gerade deswegen eine der wichtigsten rechtspolitischen Aufgaben der Zukunft. Die Debatte um das Verhältnis von Strafrecht und neuer Interkulturalität ist noch lange nicht abgeschlossen.[245]
III. Technische Entwicklung
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