Nach der Änderung des GVG durch das Rechtspflegeentlastungsgesetz ist das Schöffengericht nunmehr für Vergehen mit einer Straferwartung von mehr als zwei und bis zu vier Jahren zuständig, §§ 24 Abs. 1 Nr. 2, 25 Nr. 2 GVG. In Verfahren vor dem Schöffengericht ist daher nunmehr immer ein Verteidiger zu bestellen.[23]
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In der Rspr. wird z.T. vertreten, dass der „Grenzwert“ von einem Jahr auch in Jugendstrafverfahren gilt.[24] Demgegenüber setzt sich immer mehr die Ansicht durch, dass immer ein Verteidiger zu bestellen ist, wenn die Verhängung von Jugendstrafe zu erwarten ist.[25] Dieser Auffassung ist beizutreten. Die oben dargelegten Überlegungen zur generellen Notwendigkeit der Verteidigung bei zu erwartender Verhängung von Freiheitsstrafe treffen hier im besonderen Maße zu.
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Bei der Prüfung, ob die Schwere der Tat die Bestellung eines Pflichtverteidigers gebietet, sind auch schwerwiegende Nachteile für den Angeklagten durch Widerruf einer Strafaussetzung zur Bewährung und ausgesetzter Strafreste zu berücksichtigen.[26]
bb) Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage
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Ob die Schwierigkeit der Sache die Rechts- oder aber die Sachlage betrifft, kann im Einzelfall schwierig zu entscheiden sein. Da es auf die Unterscheidung nicht ankommt, werden beide Problembereiche gemeinsam behandelt. Von einer schwierigen Sach- oder Rechtslage ist auszugehen, wenn ein Nebenkläger oder die Staatsanwaltschaft zuungunsten des Angeklagten Berufung eingelegt haben.[27] Dies gilt generell, wenn verschiedene Gerichtsinstanzen oder aber die Staatsanwaltschaft auf der einen und das Gericht auf der anderen Seite divergierende Rechtsauffassungen vertreten.[28] Hat eine sachgerechte Verteidigung Anlass, einen Befangenheitsantrag zu erwägen und ist diese Möglichkeit nach Aktenlage absehbar, gebietet die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage die Bestellung eines Verteidigers.[29] Auch wenn schwierige Fragen materiell-rechtlicher Art zu entscheiden sind, z.B. die Anwendung von Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründen, die Frage der Versuchsstrafbarkeit oder das Bestehen einer Garantenstellung, ist ein Verteidiger zu bestellen.[30] Die Problematik eines etwaigen Beweisverwertungsverbotes kann ein nichtverteidigter Angeklagter ebenfalls nicht bewältigen.[31]
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Von einer schwierigen Sach- oder Rechtslage ist ganz allgemein immer dann auszugehen, wenn eine beweisrechtliche Problematik vorliegt, die ohne die dem Verteidiger vorbehaltene vollumfängliche Aktenkenntnis nicht gelöst werden kann.[32] Dies kommt z.B. in Betracht, wenn das Wiedererkennen durch Zeugen zu beurteilen[33] oder ein Sachverständiger hinzugezogen worden ist.[34]
cc) Exkurs: Das „Recht“ des Beschuldigten auf Akteneinsicht
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Diese Ansicht greift zu kurz. Abgesehen von Fällen vollumfänglich geständiger Angeklagter in ausgesprochenen Bagatellsachen[35] ist aus dem Gesichtspunkt der sonst fehlenden Akteneinsicht stets die Notwendigkeit der Verteidigung herzuleiten. Die Führung einer Verteidigung ohne vorherige Akteneinsicht setzt den Verteidiger dem Vorwurf aus, grob fahrlässig agiert zu haben. Nur die Einsicht in die Verfahrensakten kann dem Beschuldigten die Kenntnis von den ihn belastenden Tatsachen und Beweismitteln verschaffen. Sie stellt nicht nur die Waffengleichheit gegenüber der Staatsanwaltschaft und dem Gericht hinsichtlich des Informationsstandes her, sondern ist vor allem die Voraussetzung, dem Angeklagten rechtliches Gehör zu gewähren.[36] Wenn schon der professionelle Verteidiger der Akteneinsicht bedarf, ist nicht einzusehen, warum sich der nichtverteidigte Angeklagte ohne diese Informationsbasis verteidigen können soll. Das Gesetz gewährte nach altem Recht nur dem Verteidiger ein vollumfängliches Recht auf Akteneinsicht. Dem Beschuldigten, der keinen Verteidiger hat, durften lediglich nach § 147 Abs. 7 StPO Auskünfte und Abschriften aus den Akten erteilt werden, soweit nicht der Untersuchungszweck gefährdet wurde und nicht überwiegende schutzwürdige Interessen Dritter entgegenstanden. Insoweit galt: Die Erteilung von Auskünften ist nicht einmal ansatzweise geeignet, die für eine sachgerechte Verteidigung in der Hauptverhandlung erforderliche Parität des Wissens herzustellen. Auch die Erteilung von Abschriften gibt hierfür keine Gewähr, zudem das Gesetz über deren Umfang schweigt. Lüderssen ist der Ansicht, der Beschuldigte habe nach § 147 Abs. 7 StPO ein subjektiv-öffentliches Recht auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung des Gerichtes über die Erteilung von Auskünften und Abschriften aus den Akten.[37] Zweierlei bleibt hierbei jedoch unbeachtet: Zum einen ermöglicht auch eine noch so ermessensfehlerfreie Ablehnung der Erteilung von Auskünften und Abschriften dem Beschuldigten mangels Information nicht, seine Verteidigung sachgerecht vorzubereiten. Zum anderen kennt dieser mangels einer flankierenden gesetzlichen Belehrungspflicht noch nicht einmal sein „Recht“, die Gewährung von Informationen nach § 147 Abs. 7 StPO zu beantragen. Mangels Belehrung lief dieses „Recht“ also von vornherein leer. Zwar hat der Beschuldigte nunmehr nach § 147 Abs. 4 StPO ein eigenes Recht auf Akteneinsicht. Dies steht jedoch unter dem Vorbehalt der Gefährdung des Untersuchungszwecks und entgegenstehender schutzwürdiger Interessen. Vor allem sieht das Gesetz nach wie vor keine Belehrung des Beschuldigten über sein Recht vor. Daher ist i.d.R. – von den o.g. Ausnahmen einmal abgesehen – die Beiordnung eines Pflichtverteidigers wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage geboten. Nur dies gewährleistet rechtliches Gehör, Waffengleichheit und damit ein faires, rechtsstaatliches Verfahren.
dd) Verteidigungsunfähigkeit
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Die Unfähigkeit, sich selbst angemessen zu verteidigen, muss nicht in der Person des Angeklagten begründet sein (z.B. bei einer Aidserkrankung oder einer Betäubungsmittelabhängigkeit).[38] Sie kann auch auf verfahrensrechtlichen Besonderheiten beruhen. So darf bei einem nicht nur unerheblichen Vorwurf ein jugendlicher Angeklagter nicht ohne Verteidiger belassen werden, wenn sich der Mitangeklagte eines Wahlverteidigers bedient.[39] Dies ist auch für erwachsene Angeklagte anerkannt, wenn die Möglichkeit besteht, dass sich die Angeklagten gegenseitig belasten könnten. Dann gebietet das im Grundsatz des fairen, rechtsstaatlichen Verfahrens wurzelnde Prinzip der Waffengleichheit, dem nichtverteidigten Angeklagten einen Verteidiger zu bestellen.[40]
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Das gilt erst recht, wenn sich ein jugendlicher oder heranwachsender Angeklagter einem Nebenkläger gegenübersieht, der sich eines anwaltlichen Beistandes bedient.[41] Nicht anders ist die Rechtslage zu beurteilen, wenn bei einer nicht ganz unproblematischen Beweislage dem erwachsenen Angeklagten in der Hauptverhandlung ein Nebenklägervertreter gegenübersteht.[42] Schlothauer nimmt hier zutreffend stets einen Fall notwendiger Verteidigung an.[43] Für den Fall der Beiordnung eines Opferanwaltes hat der Gesetzgeber dies in § 140 Abs. 1 Nr. 9 StPO ausdrücklich vorgesehen. Es kann jedoch nach richtiger Ansicht[44] keinen Unterschied machen, ob der Nebenklägervertreter oder Verletztenbeistand beigeordnet worden oder von seinem Mandanten bezahlt wird. In beiden Fällen sieht sich der Angeklagte einer Partei gegenüber, die nicht kraft Gesetzes zur Unparteilichkeit verpflichtet ist wie Gericht und Staatsanwaltschaft, sondern allein ihre individuellen Parteiinteressen durchsetzt. Daher ist die Bestellung eines Verteidigers unabdingbar, um die Waffengleichheit zu sichern.
ee) Notwendige Verteidigung im Jugendstrafverfahren
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Im Jugendstrafverfahren wird die allgemeine Vorschrift des § 140 StPO durch § 68 JGG ergänzt. Dem jungen Beschuldigten ist nicht nur dann ein Verteidiger zu bestellen, wenn einem Erwachsenen ein Pflichtverteidiger beigeordnet werden müsste. Er hat auch dann einen Anspruch auf Verteidigerbestellung, wenn den Erziehungsberechtigten gem. § 68 Nr. 2, 3 JGG die Verfahrensrechte entzogen wurden, wenn zur Vorbereitung eines Gutachtens über den Entwicklungsstand des Beschuldigten seine Unterbringung in Betracht kommt oder gegen einen jugendlichen Beschuldigten Untersuchungshaft oder einstweilige Unterbringung vollstreckt wird.[45]
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Streitpunkt