5. Das Gesetzlichkeitsprinzip als formell-methodische Größe
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a) Das Verfassungsrecht kommt nicht nur als inhaltlicher Maßstab für verfahrensbedingte Eingriffe in Betracht, sondern es liefert auch formal-methodische Vorgaben für die Rechtsfindung und ihre Grenzen. Dieser Aspekt, der für das materielle Strafrecht in Art. 103 Abs. 2 GG überragende Bedeutung hat, tritt im Strafprozessrecht traditionell deutlich hinter die Grundrechte als inhaltlicher Prüfungsmaßstab zurück. Dabei ist die Gesetzlichkeitsfrage im Prozessrecht kaum weniger bedeutsam, weil das Verfahren als Zustand rechtlicher Interaktion immer in die eine oder andere Richtung „weitergehen“ muss; ein dem materiellen Recht vergleichbarer Zustand von „Keine Regelung, daher keine Relevanz“ ist hier oft nicht denkbar, weil prozessual zumindest irgendwie reagiert werden muss.[103]
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b) Dennoch ist davon auszugehen, dass nach nicht unbestrittener, aber vorzugswürdiger Auffassung die Garantien des Art. 103 Abs. 2 GG als solche nicht für das Strafprozessrecht gelten (dass sich aber aus der Verfassung andere Grenzen ableiten lassen).[104] Dafür spricht schon der Wortlaut der Regelung (auch wenn vorstellbar wäre, den Begriff der „Strafbarkeit“ verfassungsspezifisch weit zu verstehen[105] und unter seine Garantie all die Normen fallen zu lassen, die letztlich für die Verhängung einer Strafe von Bedeutung sein können). Auch historisch ist zu beachten, dass die Wurzeln des nulla-poena-Grundsatzes[106] nicht nur das rechtsstaatliche Element des Schutzes vor richterlicher Willkür (das einer Erstreckung seiner Geltung auf das Strafverfahrensrecht nicht entgegenstehen, ja sogar für sie sprechen würde), sondern eben auch das präventive Element nach von Feuerbachs Theorie des psychologischen Zwanges ist, dem echte Berechtigung nur für das materielle Strafrecht zukommt. Vor allem aber liegt die Sonderstellung des materiellen – und nur des materiellen! – Strafrechts innerhalb eines generell vom Postulat des Gesetzlichkeitsprinzips für das Verhältnis zwischen Staat und Bürger beherrschten Rechtssystems gerade darin, dass mit der strafrechtlichen Verurteilung der sozialethische Vorwurf einer Schädigung elementarer gesellschaftlicher Interessen verbunden ist. Das gilt schon wegen der Unschuldsvermutung und wegen des Verdachts als hinreichendem Anordnungsgrund selbst für einschneidendste strafprozessuale Ermittlungsmaßnahmen gerade nicht im Strafprozessrecht.
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c) Aber auch ohne (ausdrücklichen) Rekurs auf Art. 103 Abs. 2 GG hat die Rechtsprechung etwa Analogien belastender Regelungen im Strafprozessrecht teilweise ausgeschlossen – allerdings teilweise auch Belastungen ohne gesetzliche Grundlage durchaus zugelassen, so dass ein uneinheitliches Bild vorliegt. So stellt z.B. das BVerfG in einer Entscheidung vom 23. Februar 1990[107] im Zusammenhang mit Straferlass und Gesamtstrafenbildung fest, dass für verfahrensrechtliche Vorschriften ein Analogieverbot gelte, während der BGH in seiner bekannten Leitentscheidung zum ungeschriebenen allgemeinen Missbrauchsverbot im Strafprozessrecht[108] ohne weitere Begründung (oder auch nur Erörterung dieser Problematik) ausführt, dass auf der Grundlage des allgemeinen Missbrauchsverbots – das prima vista für den Gesetzesvorbehalt ähnlich relevant erscheint wie der Analogieschluss[109] – auch ohne gesetzliche Verankerung das Beweisantragsrecht des Angeklagten nicht unerheblich eingeschränkt werden dürfe. Andererseits betont der BGH in seiner Entscheidung zur (nach alter Rechtslage) Unzulässigkeit der strafprozessualen Onlinedurchsuchung,[110] dass es „dem Grundsatz des Gesetzesvorbehaltes für Eingriffe in Grundrechte (Art. 20 Abs. 3 GG) sowie dem Grundsatz der Normenklarheit und Tatbestandsbestimmtheit von strafprozessualen Eingriffsnormen widersprechen“ würde, wenn gleichsam aus mehreren, für sich allein jeweils nicht „passenden“ Eingriffsbefugnissen eine als solche nicht geschriebene Befugnis für diese Ermittlungsmaßnahme abgeleitet würde.
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Zutreffend dürfte sein, dass auch die Rechtsanwendung im Strafprozessrecht als typischem „Eingriffsrecht“ dem allgemeinen Vorbehalt des Gesetzes unterworfen ist. Die unbefangene Neigung zu Analogien aus dem Zivilrecht lässt sich damit nicht auf Rechtsverkürzungen durch das Strafverfahren übertragen.[111] Konsequenz daraus ist, dass jedenfalls die Gebote der lex scripta und der lex stricta auch im Anwendungsbereich des einfachen Gesetzesvorbehalts Geltung beanspruchen können, während eine Art. 103 Abs. 2 GG vergleichbare Garantie der lex praevia dem allgemeinen Gesetzesvorbehalt fremd ist, so dass auch Prozesse nach dem jeweils geltenden Verfahrensrecht zu führen sind. Hinsichtlich der Garantie der lex certa sind etwa im Sicherheitsrecht, in dem als klassischem Eingriffsrecht selbstverständlich auch der allgemeine Gesetzesvorbehalt gilt, unbestimmte Generalklauseln nicht unüblich und hinsichtlich ihrer Zulässigkeit auch grundsätzlich anerkannt. Freilich wird man insoweit eine gewisse Korrespondenz mit der Eingriffstiefe dahingehend anzunehmen haben, dass auf Generalklauseln gestützte Maßnahmen zum einen keine massiven Grundrechtsbeeinträchtigungen gestatten können und dass durch sie zum anderen die Wertungen spezieller Vorschriften nicht unterlaufen werden dürfen.
6. Verfahren zur Wahrung der Verfassung
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Um praktische Wirksamkeit zu erlangen, bedürfen die verfassungsrechtlichen Bindungen einer prozessualen Absicherung bzw. Durchsetzbarkeit. Teilweise wird eine solche schon durch die Rechtsanwendung der Fachgerichte selbst gewährt. Daneben wird die Einhaltung des Verfassungsrechts aber auch durch das BVerfG gewährleistet,[112] insb. durch die Individualverfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG (sowie daneben auch durch die Möglichkeit von hier nicht näher dargestellten und auch in der Praxis sehr seltenen konkreten Normenkontrollanträgen nach Art. 100 GG). Dabei ist die Individualverfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG eine (auch im internationalen Vergleich bemerkenswerte) individuelle Möglichkeit des Bürgers, Rechtschutz gegen Grundrechtsverletzungen durch eine spezielle Instanz (und dabei auch gegen Akte der Legislative und der Judikative) zu suchen. Mit ihr kann nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG jedermann rügen, „durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Art. 20 Abs. 4, 33, 38, 101, 103 und 104 enthaltenen Rechte verletzt zu sein“. Im strafrechtlichen Instanzenzug ist die Verfassungsbeschwerde (obgleich die Rechtssache im Ergebnis im Falle ihrer Erhebung oft abschließend) kein zusätzliches Rechtsmittel[113] und insb. keine „Superrevisionsinstanz“[114], sondern nur eine zusätzliche verfassungsrechtsspezifische Rechtschutzmöglichkeit,[115] welche in ihrem Prüfungsumfang auf die „Verletzung spezifischen Verfassungsrechts“ beschränkt ist.[116] Statistisch sind die Erfolgsaussichten einer Verfassungsbeschwerde gering,[117] und in Relation zu diesen begrenzten Erfolgsaussichten ist ihre ordnungsgemäße Erhebung (und auch ansprechende Begründung) mit erheblichem Aufwand verbunden.[118]
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Unter den hier nicht im Einzelnen zu behandelnden Zulässigkeitsvoraussetzungen ist im Zusammenhang mit dem Strafverfahren insbesondere die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde von Interesse. In mittlerweile ständiger Rechtsprechung hat das BVerfG aus § 90 Abs. 1 BVerfGG diesen Grundsatz über die formelle Erschöpfung des Rechtswegs hinaus entwickelt. Danach ist erforderlich, dass im fachgerichtlichen Verfahren alle Bemühungen, um eine Grundrechtsverletzung zu verhindern oder auszuräumen, erfolglos geblieben sind.[119] Der Blick auf eine mögliche Verfassungsbeschwerde mit entsprechenden Argumenten schon bei der fachgerichtlichen Verteidigung steht zwar in einem gewissen Kontrast zu etwaigen Bemühungen um konsensuale Verteidigungsformen,[120] ist aber im Einzelfall unvermeidlich, um den Subsidiaritätsanforderungen zu genügen, und sollte an sich auch „emotional“ jedenfalls bei einer späteren Rechtssatzverfassungsbeschwerde nicht genuin die Strafverfolgungsbehörden treffen. Beispiele für Subsidiaritätsanforderungen[121] aus der Rechtsprechung