III.Pläne zur Gesamtreform des Strafverfahrensrechts56, 57
IV.Entwicklung nach Beginn des Zweiten Weltkrieges58 – 68
1.Die „Vereinfachung“ des Strafverfahrensrechts59 – 62
2.Volksgerichtshof und Sondergerichte63 – 65
3.Sonderregelungen für „Volksschädlinge“ und „Fremdvölkische“66 – 68
V.Die Rolle der Rechtsprechung, insbesondere des Reichsgerichts69 – 75
VI.Zusammenfassung76, 77
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Die Entwicklung in Deutschland in den nicht einmal 40 Jahren vom Ende des Ersten Weltkrieges bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges war durch massive Umbrüche geprägt. Die militärische Niederlage 1918 und der anschließende revolutionäre Umsturz führten zunächst in eine Phase der politischen und wirtschaftlichen Instabilität und ab 1933 in die nationalsozialistische Diktatur. Auch die Rechtsordnung im Allgemeinen und das Strafverfahrensrecht im Besonderen wurden durch diese Entwicklung beeinflusst. Grundlage des Strafverfahrens blieben aber weiterhin die RStPO und das GVG von 1877, auch wenn beide Gesetze in Teilbereichen erheblich verändert oder durch abweichende Sondervorschriften überlagert worden sind. Manche dieser Änderungen haben bis heute überlebt, auch wenn sie auf finanzpolitischen Zwängen beruhten und keine oder zumindest kaum demokratische Legitimation hatten.
A. Entwicklung in der Weimarer Republik
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In der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919 (im Folgenden: WRV) erfuhr die Justiz zumindest äußerlich eine Aufwertung, indem die Grundgedanken des GVG, insbesondere die sachliche und persönliche Unabhängigkeit der Richter sowie das Recht auf den gesetzlichen Richter, in einem eigenen Abschnitt verfassungsrechtlich verankert wurden. Im Übrigen galt das Strafverfahrensrecht gem. Art 178 Abs. 2 S. 1 WRV fort, soweit die neue Verfassung nicht entgegen stand. Für die Zulassung zum Richteramt waren gem. Art. 128 Abs. 1 und 2, 136 Abs. 2 WRV künftig nur noch Befähigung und Leistung, nicht aber Geschlechts- oder Religionszugehörigkeit maßgeblich.[1] Für Mitglieder des Reichstages oder eines Landtages regelte Art. 37 WRV nun reichseinheitlich die Immunität vor Strafverfolgung während der Sitzungsperiode. Weiterhin stand den Abgeordneten nach Art. 38 Abs. 1 WRV in Strafverfahren ein Zeugnisverweigerungsrecht zu, soweit die Befragung im Zusammenhang mit der Ausübung ihrer Parlamentstätigkeit stand. Durchsuchungen oder Beschlagnahmen in den Räumen des Reichstages oder eines Landtages bedurften gem. Art. 38 Abs. 2 WRV der Zustimmung des jeweiligen Präsidenten. Art. 49 WRV übertrug das Begnadigungsrecht auf den Reichspräsidenten und machte damit das entsprechende Recht des Kaisers gem. § 484 RStPO obsolet. Der Grundrechtsteil der Reichsverfassung sicherte einige Verfahrensregeln zum Schutze des Beschuldigten verfassungsrechtlich ab. Gem. Art. 114 Abs. 2 WRV mussten Verhaftete die Gründe der Freiheitsentziehung erfahren und ihnen sollte Gelegenheit gegeben werden, unverzüglich Einwendungen gegen die Verhaftung vorzubringen.[2] Art. 115, 117 WRV regelten die Unverletzlichkeit der Wohnung und des Post- und Fernsprechgeheimnisses. Die Funktion, die Bürger vor staatlichen Eingriffen zu schützen, konnten die Grundrechte der WRV allerdings nur unzureichend erfüllen, zumal sie durch Notverordnungen (im Folgenden: NotVO) des Reichspräsidenten zunehmend ausgehöhlt wurden.[3]
I. Sonderstrafverfahren
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In den Anfangsjahren der Weimarer Republik wurde das „normale“ Strafverfahrensrecht durch eine Vielzahl von Sonderregelungen überlagert. Unter dem Eindruck massiver Angriffe gegen Mitglieder der Reichsregierung, die in der Ermordung des Außenministers Walther Rathenau durch rechtsextreme Terroristen gipfelten, wurde durch eine NotVO des Reichspräsidenten[4] und sodann durch das Gesetz zum Schutze der Republik vom 21. Juli 1922[5] beim Reichsgericht der Staatsgerichtshof zum Schutz der Republik geschaffen, der – auch rückwirkend – die erstinstanzliche Zuständigkeit für bestimmte Straftaten übernahm, die sich gegen den Bestand der Republik oder deren Vertreter richteten. Gerade aufgrund dieser Zuständigkeitsregelung wurde heftig darum gestritten, ob der Staatsgerichtshof ein zulässiges Sondergericht oder ein nach Art. 105 S. 1 WRV unzulässiges Ausnahmegericht war.[6] Kern meinte, durch die rückwirkende Zuständigkeitszuweisung in § 13 Abs. 4 des Gesetzes zum Schutze der Republik werde zwar entgegen Art. 105 S. 2 WRV der gesetzliche Richter entzogen, dennoch sei die Vorschrift nicht verfassungswidrig, sondern eine rechtsgültige verfassungsändernde Norm, die die allgemeinere Regelung in Art. 105 S. 1 und 2 WRV durchbreche.[7]
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Ein ähnlicher Streit bestand im Zusammenhang mit den bereits im November 1919 bei jedem Landgericht geschaffenen Sondergerichten für Straftaten des Schleichhandels und der Preistreiberei.[8] Vor diesen sog. Wuchergerichten waren die Rechte des Beschuldigten deutlich eingeschränkt. Im Interesse eines zügigen Abschlusses des Verfahrens stand die Beweisaufnahme im freien Ermessen des Gerichts, waren Anklageschrift, Voruntersuchung sowie Eröffnungsbeschluss überflüssig und Rechtsmittel gänzlich ausgeschlossen.[9] Vergleichbare Regelungen galten auch für die Strafverfahren vor den außerordentlichen Gerichten, die aufgrund der NotVO des Reichspräsidenten vom 29. März 1921[10] in Bezirken, in denen zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ein Regierungskommissar oder ein Militärbefehlshaber zuständig war, errichtet werden konnten.
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Die NotVO des Reichspräsidenten vom 12. Dezember 1923[11] gab dem Oberreichsanwalt die Möglichkeit, die erstinstanzliche Zuständigkeit für bestimmte Spionage- und Landesverratsfälle durch Abgabe an die Staatsanwaltschaft eines Landes vom Reichsgericht auf die Oberlandesgerichte zu übertragen. Die NotVO vom 17. Dezember 1923 über die beschleunigte Aburteilung von Straftaten diente „zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung für das Reichsgebiet“ und überlagerte in wesentlichen Fragen das allgemeine Strafverfahrensrecht.[12] Die Strafkammern wurden, soweit nicht eine Sonderzuständigkeit der Sondergerichte bestand, für bestimmte schwere Straftaten und Taten gegen die staatliche Ordnung ausschließlich zuständig,[13] wobei spezielle Regelungen zur Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens bestanden. Die gerichtliche Voruntersuchung und der Eröffnungsbeschluss entfielen, die Anklageschrift musste nicht das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen enthalten. Die Rechte des Beschuldigten, schon im Zwischenverfahren Beweiserhebungen zu beantragen oder sonstige Einwände vorzubringen, wurden gestrichen. Die einwöchige Ladungsfrist gem. § 216 RStPO wurde auf 24 Stunden ab der Mitteilung des Hauptverhandlungstermins verkürzt. Noch wesentlicher aus Sicht des Beschuldigten war, dass das Gericht „den Umfang der Beweisaufnahme nach freiem Ermessen“ bestimmen konnte und keine Rechtsmittel gegen Entscheidungen der Strafkammer oder ihres Vorsitzenden bestanden, auch wenn die Wiederaufnahmegründe zugunsten