15
Diese Voraussetzung ist auch bei einer steifen Hand zu bejahen. Der erforderliche Unmittelbarkeitszusammenhang (vgl. Rn. 7 f.) liegt im Beispielsfall ebenfalls vor.
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Zwischenergebnis:
Der objektive Tatbestand des § 226 Abs. 1 Nr. 2 2. Alt. ist durch die verursachte Handverletzung erfüllt.
c) Dauernde Entstellung oder Verfall in Siechtum, Lähmung oder geistige Krankheit oder Behinderung (§ 226 Abs. 1 Nr. 3)
17
Hinsichtlich des steifen Handgelenks kommt von den in § 226 Abs. 1 Nr. 3 aufgeführten schweren Folgen allein das Merkmal der Lähmung (§ 226 Abs. 1 Nr. 3 3. Var.), bezüglich des Verlusts der Niere das Verfallen in Siechtum (§ 226 Abs. 1 Nr. 3 2. Var.)[24] in Betracht.
Merke:
Lähmung ist die erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit (schon) eines Körperteils, sofern diese den ganzen Körper in Mitleidenschaft zieht.[25]
Beispiele:
Versteifung des Hüftgelenks, die eine Fortbewegung nur noch an Krücken zulässt; bei vergleichbaren Folgen auch Versteifung des Knie-[26] und des Ellenbogengelenks;[27] Lähmung einer Körperhälfte[28]
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Im Unterschied dazu genügt die Versteifung eines Handgelenks oder einzelner Finger grundsätzlich nicht.[29] Anhaltspunkte, die im Beispielsfall ausnahmsweise eine andere Bewertung zulassen könnten, sind dem Sachverhalt nicht zu entnehmen.
Merke:
Siechtum liegt bei einem chronischen Krankheitszustand vor, der den Gesamtorganismus in Mitleidenschaft zieht und zu einem Schwinden der körperlichen oder geistigen Kräfte sowie zu allgemeiner Hinfälligkeit führt.[30]
Beispiel:
A schlägt B mehrfach wuchtig mit einem Baseballschläger auf den Kopf und verursacht dadurch Schädelbrüche und irreparable Gehirnverletzungen. In deren Folge leidet B an schweren epileptischen Anfällen und ist zu 50% erwerbsgemindert.[31]
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Im Beispielsfall ist der Verlust der Niere zwar nicht reversibel und in diesem Sinn chronisch. Jedoch sind die für das Merkmal „Siechtum“ erforderlichen weiteren, den gesamten Körper der B beeinträchtigenden Folgen aus dem Sachverhalt nicht ersichtlich.
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Gemäß § 226 Abs. 1 Nr. 3 1. Var. liegt eine schwere Körperverletzung auch dann vor, wenn das Opfer als Folge der Verletzung dauernd entstellt wird.
Merke:
Eine Entstellung ist gegeben, wenn die körperliche Gesamterscheinung des Verletzten in erheblicher Weise verunstaltet ist.
21
Die Verunstaltung muss von ihrem Gewicht her den übrigen schweren Folgen des § 226 in etwa gleichkommen.[32]
Beispiele:
Erhebliche Fehlstellung des verletzten Fußes mit damit verbundener Gehbehinderung;[33] Verlust der Brustwarze,[34] der Nasenspitze oder der Ohrmuschel, Narben am Hals,[35] im Gesicht[36] oder gar am gesamten Oberkörper einschließlich der Extremitäten;[37] nicht dagegen zahlreiche Narben und eine starke „rot-blau Verfärbung“ der Haut auf der Hand[38] bzw. an den Unterschenkeln[39] oder eine 20 cm lange, in der Kniekehle beginnende Narbe[40]
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Dass die Verunstaltung üblicherweise verdeckt und beispielsweise nur beim Sport oder im Intimleben für Dritte sichtbar ist, steht der Bejahung des Merkmals „Entstellung“ nicht entgegen,[41] weil diese Tatvariante alle sozialen Situationen erfassen soll.[42] An ihrer notwendigen Dauerhaftigkeit fehlt es, wenn diese durch ärztliche Eingriffe (z.B. der sog. kosmetischen Chirurgie) bereits behoben oder verdeckt ist oder wenigstens die Möglichkeit dazu besteht. Jedoch gilt dies nur für Maßnahmen, die medizinisch sicher ausführbar und dem Opfer zumutbar sind (vgl. Rn. 7). Es kommt insoweit nur auf das äußere Erscheinungsbild, nicht auf die Wiederherstellung verlorener Körperfunktionen an.[43]
Beispiele:
Eine „aus fünf Zähnen bestehende, gut sitzende und gut aussehende Prothese“ beseitigt die durch das Ausschlagen von Schneidezähnen entstandene Verunstaltung.[44]
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Gemäß § 226 Abs. 1 Nr. 3 4. Var. handelt es sich auch dann um eine schwere Körperverletzung, wenn die verletzte Person in eine geistige Krankheit oder Behinderung verfällt. Unter geistigen Krankheiten sind alle (erheblichen) geistig-seelischen Beeinträchtigungen zu verstehen.[45] Hierzu zählen namentlich die krankhaften seelischen Störungen i.S. des § 20, d.h. etwa die exogenen und endogenen Psychosen.[46] Dem Merkmal der Behinderung kommt daher regelmäßig keine eigenständige Bedeutung zu.[47]
Beispiele:
Sprach- und Koordinationsstörungen auslösende[48] oder epileptische Krampfanfälle verursachende Hirnverletzung;[49] organisches Psychosyndrom infolge einer Schädelverletzung[50]
24
In Siechtum, Lähmung oder geistige Krankheit (oder Behinderung) muss das Opfer „verfallen“ sein, d.h. es muss infolge der Körperverletzung derart in einen der genannten Krankheitszustände versetzt worden sein, dass sich der Zeitraum von dessen Beseitigung nicht absehen lässt.[51] Die Bedeutung dieses Merkmals ist gering, da den Krankheitszuständen selbst bereits eine Komponente der Dauerhaftigkeit eigen ist.
25
Zwischenergebnis:
Die Voraussetzungen des § 226 Abs. 1 Nr. 3 liegen nicht vor.
2. Subjektiver Tatbestand
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Die Körperverletzung selbst muss zumindest mit bedingtem Vorsatz begangen werden. In Bezug auf deren schwere Folge ist zu unterscheiden. Ist sie fahrlässig (§ 18) oder bedingt vorsätzlich herbeigeführt worden, ist § 226 Abs. 1 anwendbar. Hat der Täter die schwere Folge dagegen mit direktem Vorsatz (wissentlich oder sogar absichtlich) verursacht, greift der Qualifikationstatbestand des § 226 Abs. 2[52] ein, der eine Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren androht. Seiner Annahme steht nicht entgegen, dass der Täter alternativ zur Herbeiführung der schweren Folge (sogar) den Tod seines Opfers erreichen wollte.[53]
27
Dass A im Beispielsfall mit der vorsätzlichen Körperverletzung der B die bei dieser eingetretenen schweren Folgen anstrebte oder ihre Herbeiführung als sicher ansah, lässt sich dem Sachverhalt nicht hinreichend klar entnehmen. Angesichts der Gefährlichkeit seines Vorgehens ist aber insoweit bedingter Vorsatz zu bejahen.
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Ergebnis:
A hat sich gemäß § 226 Abs. 1 Nr. 1 4. Var. und Nr. 2 2. Alt. strafbar gemacht. Die ebenfalls verwirklichten §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 treten hinter den spezielleren § 226 zurück (vgl. Rn.