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Beispielsfall 3 – Verheerende Pump-Gun:
A will sich an seiner ehemaligen Freundin B rächen, weil diese sich von ihm getrennt hat. Er schießt deshalb ohne Tötungsvorsatz mit einer Pump-Gun auf die Beine der 20 Jahre alten B. Einer der Splitter der verwendeten Munition verletzt jedoch eine Niere so schwer, dass diese entfernt werden muss, ein anderer dringt in das rechte Handgelenk ein und verursacht dessen irreversible Versteifung. Im Krankenhaus wird es zudem versehentlich unterlassen, einen Splitter aus dem Unterleib zu entfernen. Dies führt dazu, dass B nicht mehr schwanger werden kann.
Strafbarkeit des A?
Lösung:
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Ein (versuchtes) Tötungsdelikt scheidet wegen des fehlenden Vorsatzes aus. A hat B jedoch mittels einer Waffe (§ 224 Abs. 1 Nr. 2; vgl. § 6 Rn. 18 ff.) und mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung (§ 224 Abs. 1 Nr. 5; vgl. § 6 Rn. 31) am Körper verletzt. Durch die gefährliche Körperverletzung könnte er außerdem schwere Folgen gemäß § 226 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 hervorgerufen haben.
a) Verlust des Sehvermögens, des Gehörs, des Sprechvermögens oder der Fortpflanzungsfähigkeit (§ 226 Abs. 1 Nr. 1)
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Als Folge der Körperverletzung hat B ihre Empfängnisfähigkeit und damit die Fortpflanzungsfähigkeit (§ 226 Abs. 1 Nr. 1 4. Var.)[5] eingebüßt. Dazu zählen auch die Gebär- und die Zeugungsfähigkeit.[6] Kinder können die bei ihnen noch nicht entwickelte, aber als Anlage vorhandene Fortpflanzungsfähigkeit ebenfalls verlieren.
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Als gleichwertig sieht § 226 Abs. 1 Nr. 1 den Verlust des Sehvermögens (Fähigkeit, visuell die Umwelt wahrzunehmen) auf zumindest einem Auge,[7] des Gehörs insgesamt (Fähigkeit, artikulierte Laute wahrzunehmen) und des Sprechvermögens (Fähigkeit zu artikuliertem Reden) an.[8]
Beispiel:
Infolge eines Messerstichs des A in das rechte Auge des B verbleibt diesem nur noch eine Sehfähigkeit von 5%.
Beachte:
Die durch § 226 Abs. 1 Nr. 1 erfassten Fähigkeiten sind bereits ,,verloren“, wenn sie im Wesentlichen und dauerhaft, d.h. zumindest auf unbestimmte Zeit aufgehoben sind.[9]
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An einer dauerhaften Einbuße einer Fähigkeit kann es fehlen, wenn diese durch eine medizinische, insbesondere operative Maßnahme wiederhergestellt werden kann. Jedoch ist insoweit Zurückhaltung geboten. Nur eine Heilmaßnahme, die für das Opfer kein unzumutbares Risiko enthält, steht der Annahme des Tatbestandsmerkmals entgegen.[10]
Merke:
Der Verlust der geschützten Fähigkeiten muss schließlich unmittelbare Folge der Körperverletzung sein. Dieselbe enge Verknüpfung ist auch beim § 226 Abs. 1 Nr. 2 und 3 erforderlich.
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Dafür ist über bloße Kausalität hinaus notwendig, dass sich die im Grundtatbestand typischerweise angelegte spezifische Gefahr in der schweren Folge realisiert hat.[11] Im Beispielsfall ist dieser spezifische Gefahrzusammenhang gegeben. Zwar hat zum Verlust der Empfängnisfähigkeit die unzureichende ärztliche Behandlung beigetragen. Dieses Risiko und die schwere Folge selbst waren aber durch den Treffer in den Unterleib der B nach allgemeiner Lebenserfahrung vorgegeben.[12]
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Zwischenergebnis:
Der objektive Tatbestand des § 226 Abs. 1 Nr. 1 4. Var. ist erfüllt.
b) Verlust oder dauernde Unbrauchbarkeit eines wichtigen Körpergliedes (§ 226 Abs. 1 Nr. 2)
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Das Vorgehen des A könnte weiterhin dazu geführt haben, dass B ein wichtiges Glied ihres Körpers verloren hat (Niere; § 226 Abs. 1 Nr. 2 1. Alt.) oder dauernd nicht mehr gebrauchen kann (Hand; § 226 Abs. 1 Nr. 2 2. Alt.).
Merke:
Glied des Körpers ist nach h.M. jeder Körperteil, der mit dem Rumpf oder einem anderen Körperteil durch ein Gelenk verbunden ist,[13] also beispielsweise nicht die Nase.
11
Im Beispielsfall erfüllt die Hand diese Voraussetzung.[14] Innere Organe gehören dagegen nach zutreffender h.M. nicht dazu. Allerdings können ihr Verlust oder ihre dauerhafte Funktionsunfähigkeit den Verletzten ebenfalls schwerwiegend beeinträchtigen. Jedoch würde man, wollte man ein inneres Organ als „Glied“ bezeichnen, die Grenze zulässiger Wortauslegung (Art. 103 Abs. 2 GG) überschreiten. Zudem bedürfte es dann (zumindest teilweise) des § 226 Abs. 1 Nr. 1 nicht mehr.[15] Der Verlust der Niere der B im Beispielsfall wird daher durch § 226 Abs. 1 Nr. 2 nicht erfasst.
Merke:
Wichtig i.S. des § 226 Abs. 1 Nr. 2 ist ein Glied, wenn es für den Gesamtorganismus allgemein bedeutsam ist.
12
Entsprechend der Schutzrichtung der Vorschrift (vgl. Rn. 2) ist dies der Fall, wenn der Verlust oder die dauernde Gebrauchsunfähigkeit des Glieds regelmäßige menschliche Verrichtungen wesentlich beeinträchtigt.[16] Das ist schon für einen Finger, insbesondere für Daumen und Zeigefinger, erst recht aber (wie im Beispielsfall) hinsichtlich einer Hand als „zentralem“ Glied des menschlichen Körpers zu bejahen. Insofern können individuelle Körpereigenschaften des Opfers berücksichtigt werden, etwa diejenige als Rechts- oder Linkshänder.[17]
13
Für die Beurteilung der Wichtigkeit will eine in der Literatur vertretene Ansicht darüber hinaus auch sonstige individuelle Verhältnisse des Opfers heranziehen. Vor allem sollen berufliche Fähigkeiten (z.B. Stenotypistin, Berufspianist) zu berücksichtigen sein.[18] Dieser Ansatz erscheint auf den ersten Blick plausibel. Gegen ihn spricht aber entscheidend das Erfordernis der Rechtssicherheit und -klarheit. Denn er würde in der Praxis u.U. Beweiserhebungen notwendig machen, ob ein Glied – für den Täter zudem zumindest erkennbar (vgl. Rn. 26) – gerade für das konkrete Opfer wichtig ist.
14
Im Beispielsfall hat B den verletzten Arm zwar nicht verloren (§ 226 Abs. 1 Nr. 2 1. Alt.). Dafür wäre dessen Lostrennung vom Körper erforderlich gewesen.[19] Das Gesetz stellt einem derartigen Substanzverlust aber den dauernden Funktionsverlust gleich (§ 226 Abs. 1 Nr. 2 2. Alt.). Für diesen ist es nicht erforderlich, dass das verletzte Glied überhaupt keine Funktion mehr erfüllt. Es reicht entsprechend der Auslegung des § 226 Abs. 1 Nr. 1 (vgl. Rn. 6) aus, dass es im Wesentlichen nicht mehr verwendet werden kann,[20] also so viele Funktionen ausgefallen sind, dass es weitgehend unbrauchbar geworden ist,[21] etwa infolge einer Gehirn- oder Rückenmarksverletzung.[22]
Beispiele:
Versteifung des Kniegelenks, auch wenn das Opfer