Das Mitarbeitervertretungsgesetz orientiert sich nicht nur terminologisch an der Begrifflichkeit der „Dienstvereinbarung“, sondern ordnet zugleich in § 36 Abs. 3 MVG-EKD ebenfalls an, dass Dienstvereinbarungen unmittelbar gelten und im Einzelfall nicht abbedungen werden können, also zwingend wirken. Der kirchliche Gesetzgeber geht danach von der unmittelbaren und zwingenden Wirkung der Dienstvereinbarung aus. Entgegen dieser kirchengesetzlichen Anordnung hat der 1. Senat des Bundesarbeitsgerichts jedoch in seinem Urteil vom 24.06.2014 die unmittelbare und zwingende Wirkung der kirchlichen Dienstvereinbarung für den säkularen Rechtskreis verneint.284 Hatte derselbe Senat noch in einem Urteil vom 19.06.2007 die unmittelbare und zwingende Wirkung von Dienstvereinbarungen auch im Rahmen der kirchlichen Anordnung für möglich gehalten,285 so wurde diese frühere Rechtsprechung nunmehr aufgegeben. Unabhängig von der inhaltlichen Entscheidung erscheint diese Rechtsprechungsänderung in einem obiter dictum durchaus fragwürdig; die Vorinstanz behandelte die Frage jedenfalls nicht.286 Der 1. Senat statuiert im Urteil vom 24.06.2014 in einiger Kürze, dass eine normative Wirkung der Dienstvereinbarung nach § 36 MVG-EKD nicht in Betracht käme. Entscheidend sei, dass es ebenso wie bei den auf dem „Dritten Weg“ zustande gekommenen Arbeitsrechtsregelungen an einer im säkularen Recht enthaltenen Anordnung der normativen Wirkung fehle.287
Wird der besondere Wesensgehalt der kirchlichen Dienstvereinbarung bestritten, so hat dies Auswirkungen auf die gesamte Betrachtung und Beurteilung des mitarbeitervertretungsrechtlichen Rechtsinstituts. Die Frage nach der Wirkungsweise der kirchlichen Dienstvereinbarung muss daher an den Anfang jeglicher weiteren Auseinandersetzung mit dem Regelungsinstrument der Dienstvereinbarung gestellt werden.
275Für die Betriebsvereinbarung siehe nur: DKKW/Berg, § 77 Rn. 88; Fitting, § 77 Rn. 124 ff.; LK/Kaiser, § 77 Rn. 7; GK/Kreutz, § 77 Rn. 35, 186 ff.; HWGNRH/Worzalla, § 77 Rn. 180, 182 f.; für die Dienstvereinbarung siehe nur: Ilbertz/Widmaier/Sommer, BPersVG, § 73 Rn. 5; Richardi/Dörner/Weber/C. Weber, Personalvertretungsrecht, § 73 Rn. 21 ff.
276BT-Drs. 7/176, S. 33.
277Ilbertz/Widmaier/Sommer, BPersVG, § 73 Rn. 5; Richardi/Dörner/Weber/C. Weber, Personalvertretungsrecht, § 73 Rn. 21.
278Fitting, § 77 Rn. 216 f.; GK/Kreutz, § 77 Rn. 8 f.; WPK/Preis, § 77 Rn. 92, 95.
279AKS/Andelewski, MVG.EKD, § 36 Rn. 36; entsprechend zur Betriebsvereinbarung GK/Kreutz, § 77 Rn. 237 m.w.N.
280AKS/Andelewski, MVG.EKD, § 36 Rn. 37; entsprechend zur Betriebsvereinbarung GK/Kreutz, § 77 Rn. 254 m.w.N.
281So GK/Kreutz, § 77 Rn. 7.
282Vgl. nur GK/Kreutz, § 77 Rn. 239 ff.; Richardi BetrVG/Richardi, § 77 Rn. 147; Waltermann, Arbeitsrecht, Rn. 873; ebenso zur kirchlichen Dienstvereinbarung: Baumann-Czichon/Gathman/Germer, MVG-EKD, § 36 Rn. 4; Fey/Rehren, MVG-EKD, § 36 Rn. 12.
283So zutreffend GK/Kreutz, § 77 Rn. 242.
284BAG vom 24.06.2014 – 1 AZR 1044/12 – AP BGB § 611 Kirchendienst Nr. 74 [Rn. 12]; zustimmend LAG Berlin-Brandenburg vom 25.01.2017 – 15 Sa 1891/16, BeckRS 2017, 108497 [Rn. 18].
285BAG vom 19.06.2007 – 1 AZR 340/06 – AP KSchG 1969 § 1a Nr. 4 [Rn. 41].
286Vgl. LAG Hamm vom 08.11.2012 – 8 Sa 803/12 – LAGE § 611 BGB 2002 Kirchliche Arbeitnehmer Nr. 7.
287BAG vom 24.06.2014 – 1 AZR 1044/12 – AP BGB § 611 Kirchendienst Nr. 74 [Rn. 12].
§ 4 Legitimationsbedürfnis für die normative Wirkung
Die Wirkung einer Regelung ist aus der Perspektive des Adressaten zu bestimmen. Soll eine Regelung gleichsam normativ die Rechtsposition des Adressaten gestalten, bedarf dies ihm gegenüber der Legitimation.288 Andernfalls würde sich die Regelung als ein willkürlicher Eingriff in die Rechtsposition des Adressaten darstellen. Legitimieren bedeutet folglich, gegenüber dem betroffenen Adressaten zu begründen, weshalb „ein Sein, ein Sollen oder ein Wollen rechtliche Anerkennung verdient“.289 Als Adressaten der Dienstvereinbarung kommen bei einer privatrechtlichen Organisation des kirchlichen Dienstes die Arbeitsvertragsparteien, also die Dienststellenleitung und die arbeitsvertraglich beschäftigten Mitarbeiter in Betracht.290
Wird der Blick auf die privatautonom begründete Bindung geworfen, so ist es vor dem Hintergrund der grundrechtlich durch Art. 2 Abs. 1, 12 Abs. 1 GG gesicherten Vertragsfreiheit selbstverständlich, dass die Vertragsparteien die Befugnis haben, ihr Vertragsverhältnis zu gestalten. Insoweit handeln sie in Wahrnehmung ihrer freiheitlichen Selbstbestimmung.291 Stellte sich auch das Handeln der Dienstvereinbarungsparteien noch als (verlängerte) freiheitliche Selbstbestimmung der Vertragsparteien dar, so ist die Frage nach einer Legitimation der Normwirkung nicht in gleicher Weise wie bei einer heteronomen Regelung aufgeworfen. Vielmehr handelte es sich sodann bei der unmittelbaren und zwingenden Wirkung der Dienstvereinbarung noch um einen zumindest mittelbaren Ausfluss der privatautonomen Entscheidung der Arbeitsvertragsparteien.
Anders verhielte es sich jedoch, wenn festgestellt wird, dass die Dienstvereinbarungsparteien nicht in der Verlängerung der freiheitlichen Selbstbestimmung der Vertragsparteien tätig werden. Hiernach hätte die Dienstvereinbarung eine ausschließlich heteronome Wirkung, die die Frage aufwirft, inwieweit eine Legitimation der Fremdwirkung von außen an die Dienstvereinbarung herangetragen werden kann. Insofern ist unbestritten, dass der Staat unter Wahrnehmung seiner staatlichen Rechtsetzungsgewalt bei Beachtung der verfassungsrechtlichen Bindungen Gesetze erlassen kann, die normativ für den jeweiligen Adressaten gelten und für diesen eine klassische Fremdbestimmung begründen.292 Die Legitimation der Gesetzeswirkung gegenüber den Bürgern beruht auf der sachlichen und personellen Rückführbarkeit des jeweiligen Gesetzes auf die demokratische Wahlentscheidung des Staatsvolkes.293
Die beiden genannten Legitimationsverläufe finden ihre abstrakte Entsprechung in der Unterscheidung zwischen der grundrechtlichen und der staatlichdemokratischen Legitimation, die Isensee als die „Fundamentalalternative des Verfassungsrechts“ bezeichnet hat.294 Für Regelungen im Arbeitsrecht bedeutet dies, dass sie entweder ausgehend von einer privatautonomen (vertraglichen) oder ausgehend von einer staatlich-demokratischen Legitimation gegenüber dem Adressaten zu rechtfertigen sind.295
Wird für die Betriebsvereinbarung nach staatlichem Recht die Legitimation der Rechtsetzung der Betriebsparteien zwischen diesen beiden Polen gesucht, mag im kirchlichen Bereich noch eine weitere mögliche Legitimationsgrundlage hinzutreten: das Selbstbestimmungsrecht der Kirche. Dies mag angesichts der postulierten „Fundamentalalternative“ zunächst überraschend erscheinen, andererseits erhält das kirchliche