b. Ordnen und Verwalten
Die Kirche kann nach Art. 137 Abs. 3 WRV ihre eigenen Angelegenheiten ordnen und verwalten. Der Bereich des Ordnens umfasst dabei legislative Aufgaben, also die eigenverantwortliche Rechtsetzung. Beim Verwalten handelt es sich um die notwendige Ergänzung des Ordnens im Sinne der Gewährleistung einer exekutiven Eigenverantwortung, namentlich der Leitung und Organisation der Kirche und ihrer Einrichtungen samt Umsetzung der im Bereich des Ordnens erlassenen Vorschriften. Umfasst ist weiterhin auch die eigene Rechtskontrolle.105
Das Bundesverfassungsgericht umreißt das Selbstbestimmungsrecht daher in ständiger Rechtsprechung als eine „rechtlich selbstständige Gewährleistung, die der Freiheit des religiösen Lebens und Wirkens der Kirchen und Religionsgemeinschaften die zur Wahrnehmung dieser Aufgaben unerlässliche Freiheit der Bestimmung über Organisation, Normsetzung und Verwaltung hinzufügt“.106 Insoweit eine eigene Angelegenheit gegeben ist, können die Kirchen folglich ihr eigenes Recht setzen, die Durchführung durch eine eigene Verwaltung sicherstellen und eine von der staatlichen Judikative unabhängige Gerichtsbarkeit einrichten.
c. Bestimmung der eigenen Angelegenheiten
Die maximale inhaltliche Reichweite des Selbstbestimmungsrechts wird durch den Rahmenbegriff der eigenen Angelegenheiten festgelegt. Aufzuzeigen ist, dass das Mitarbeitervertretungsrecht als eigene Angelegenheit der Kirche in den Anwendungsbereich der Vorschrift fällt.
aa. Maßstab: Selbstverständnis der Religionsgemeinschaft
Die inhaltliche Konkretisierung, wann eine eigene Angelegenheit vorliegt, erfolgt nach heute überwiegender Ansicht nach dem Selbstverständnis der jeweiligen Religionsgemeinschaft;107 die materielle Definitionskompetenz steht mithin den Religionsgesellschaften zu.108 Dieser Auffassung hat sich auch das Bundesverfassungsgericht angeschlossen.109 Der Grund für diese Zuordnung der materiellen Definitionskompetenz liegt darin, dass andernfalls immer eine staatliche Einflussnahme auf den vom Selbstbestimmungsrecht erfassten Bereich möglich bliebe. Der Staat liefe Gefahr, das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften zu begrenzen, ohne hierfür eine Rechtfertigung vornehmen zu müssen. Er könnte sich ungehindert in die Angelegenheiten der Religionsgemeinschaften einmischen und damit den von Art. 137 Abs. 3 WRV bezweckten Schutz unterlaufen. Zur subjektiven Bestimmung durch die Religionsgesellschaft gibt es deshalb keine Alternative, sollen die Religionsgesellschaften unabhängig vom Staat ihre eigenen Angelegenheiten festlegen.110 Der Staat unterfällt folglich einem Definitionsverbot.111 Zudem wird der Staat regelmäßig faktisch aufgrund fehlender Sachkompetenz nicht beurteilen können, ob es sich um eine eigene Angelegenheit der jeweiligen Religionsgemeinschaft handelt oder nicht.112
bb. Auswirkung der Schrankenregelung auf die Schutzbereichsbestimmung
Von der Problematik, wie die Bestimmung der eigenen Angelegenheiten zu erfolgen hat, ist die Frage zu trennen, in welchem Verhältnis das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften zu anderen Freiheiten, Rechtsgütern und Interessen steht. Den Ausgleich und die Zuordnung sicherzustellen und zu überwachen, ist nach der Wertung der Schrankenregelung des Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV die Aufgabe des Staates.113 Ob das Selbstbestimmungsrecht betroffen ist und welches Gewicht der jeweiligen eigenen Angelegenheit zukommt, kann der Staat jedoch nicht unabhängig bestimmen, sondern er ist in diesem Punkt an das von der Religionsgesellschaft festgelegte Selbstverständnis gebunden.114 Es kommt durch den Schrankenvorbehalt mithin nicht zu einer inhaltlichen Neubestimmung der eigenen Angelegenheiten durch den Staat, sondern zu einer Zuordnung der von der Kirche definierten eigenen Angelegenheit zu anderen von der kirchlichen Regelung betroffenen Rechtsgütern. Dass damit auch eine Begrenzung des Selbstbestimmungsrechts der Kirche einhergehen mag und dieses nicht vollumfänglich auf Kosten anderer Rechtsgüter verwirklicht werden darf, ist bereits dem Vorgang, der auf einen Ausgleich der widerstreitenden Rechtspositionen abzielt, immanent. Er stellt jedoch die Neutralität des Staates im Hinblick auf die Bestimmung, was unter die eigenen Angelegenheiten der Religionsgemeinschaften fällt, nicht in Frage. Die dem Staat durch das Grundgesetz auferlegte Aufgabe erschöpft sich danach in der Wahrnehmung der Rechtsgutszuordnung; einer eigenen Definitionskompetenz des Staates hinsichtlich der Bestimmung der eigenen Angelegenheiten bedarf es darüber hinaus nicht.115
cc. Bestimmung des Selbstverständnisses – Mitarbeitervertretungsrecht als eigene Angelegenheit
Demnach hat die Kirche nach ihrem Selbstverständnis festzulegen, welche Bereiche sie als eigene Angelegenheit ansieht. Hierzu bedarf es nunmehr jedoch noch innerhalb der Religionsgesellschaft der Kompetenzzuordnung. Nur das durch ein legitimiertes Organ der Religionsgemeinschaft geäußerte Selbstverständnis kann für die Bestimmung der eigenen Angelegenheit maßgeblich sein.116 Für die evangelische Kirche in Deutschland bedeutet dies, dass das jeweils zuständige Organ der Landeskirche bzw. des landeskirchlichen Zusammenschlusses definiert, ob eine eigene Angelegenheit vorliegt. Im Bereich des Mitarbeitervertretungsrechts ist diese Entscheidung durch die jeweils zuständige Landessynode für die Einrichtungen der Landeskirche bzw. für die Evangelische Kirche in Deutschland durch deren Synode als Kirchengesetzgeber zu treffen. Für das Mitarbeitervertretungsrecht zeigt sich die Entscheidung, dass es sich um eine eigene Angelegenheit der Kirche handelt, jedenfalls im Erlass eines Mitarbeitervertretungsgesetzes durch die Evangelische Kirche in Deutschland sowie die verschiedenen Landeskirchen beziehungsweise in deren Zustimmung zum Mitarbeitervertretungsgesetz der Evangelischen Kirche in Deutschland.117
2. Schranke des für alle geltenden Gesetzes
Unterfällt das Mitarbeitervertretungsrecht daher grundsätzlich dem Schutzbereich des Selbstbestimmungsrechts, so hängt die Reichweite der Geltung des Mitarbeitervertretungsgesetzes maßgeblich von der Bedeutung und der Auslegung der Schrankenbestimmung des Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV ab. Da die Kirche nicht außerhalb der Gesellschaft existiert, ist es selbstverständlich, dass es einer Auflösung von möglich erscheinenden Kollisionen zwischen dem Selbstbestimmungsrecht und anderen Freiheiten, Interessen und Rechtsgütern bedarf. Insbesondere im Bereich des Mitarbeitervertretungsrechts liegen solche Kollisionen geradezu auf der Hand, stehen dem Regelungsanspruch der Kirche hinsichtlich der mitarbeitervertretungsrechtlichen Angelegenheiten doch jedenfalls das Sozialstaatsprinzip als Staatszielbestimmung sowie grundrechtlich geschützte Positionen der Mitarbeiter und der Koalitionen gegenüber.
Erst durch die Schrankenbestimmung wird die Trennlinie zwischen kirchlicher und staatlicher Rechtsetzung abschließend festgelegt. Da das kirchliche Recht nur innerhalb der verfassungsrechtlichen Anerkennung in den staatlichen Rechtskreis hineinzuwirken vermag, entscheidet die Festlegung der Schranken zugleich über die Außengrenzen der kirchlichen Rechtsetzung. Insofern die Bestimmung des Schutzbereiches durch das Selbstverständnis der Kirche geprägt ist, überrascht es allerdings auch nicht, dass die „Schranke des für alle geltenden Gesetzes“ als verbleibendes Korrektiv seit ihrer Einführung Gegenstand zahlreicher Diskussionen war und fortwährend einem interpretatorischen Wandel unterlegen ist.
a. Entwicklung des Schrankenbegriffs: Von der Heckel‘schen Formel zur Abwägungslösung
So wurde zu Beginn der Weimarer Zeit überwiegend angenommen, dass die Schranke des für alle geltenden Gesetzes im Sinne eines allgemeinen Gesetzesvorbehaltes zu verstehen sei.118 Durch Johannes Heckel wurde schließlich erstmals die Diskussion darauf gelenkt, dass die bisherige Interpretation als allgemeiner Gesetzesvorbehalt überschießend sei. Heckel