Festhalten lässt sich daher für den Blickwinkel der EKD, dass die Kirche die verfassungsrechtlich gewährte Freiheit annimmt und im Hinblick auf den kirchlichen Auftrag ausgestaltet.90 Hierbei hat das Kirchenrecht zwar gegenüber dem kirchlichen Auftrag eine dienende Funktion; die praktische Ausgestaltung folgt jedoch nicht allein geistlichen, sondern durchaus auch weltlich-pragmatischen Erwägungen.
III. Zusammenfassung
Die dienende Funktion des Kirchenrechts gegenüber dem kirchlichen Auftrag macht aus der Perspektive der Kirche die Rechtsetzung zu einer eigenen Aufgabe, die nur von ihr selbst wahrgenommen werden kann. Diesem Selbstverständnis gibt auch die Gewährleistung des Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV Raum. Diese historisch brisante und viel diskutierte Vorschrift anerkennt die Kirchen als Träger einer besonderen gesellschaftlichen Verantwortung. Aus diesem Grund ist ihnen in Form einer institutionellen Garantie durch das Grundgesetz eine grundsätzlich umfassende Regelungskompetenz für die eigenen Angelegenheiten gegeben. Dem Selbstbestimmungsrecht sind allein durch die Schranke des für alle geltenden Gesetzes Grenzen gezogen; dadurch obliegt es dem Staat, über die Rechtsgüterzuordnung zu wachen, soweit es zum Konflikt des Selbstbestimmungsrechts mit anderen durch den Staat zu schützenden Rechtsgütern kommt. Insofern zugleich der Anwendungsbereich der Religionsfreiheit eröffnet ist, unterstützt sie das Selbstbestimmungsrecht der Kirche, ohne jedoch weitergehende Befugnisse der Kirche zu begründen, wenn bereits das Selbstbestimmungsrecht vollumfänglich zur Geltung gelangt. Im Vordergrund steht deshalb zunächst immer die Verfassungsvorschrift des Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV.
B. Selbstbestimmungsrecht der Kirche und Mitarbeitervertretungsrecht
Das Selbstbestimmungsrecht nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV markiert folglich die entscheidende Trennlinie zwischen kirchlicher und staatlicher Rechtsetzungskompetenz. Zugleich dient es als Mittler für die Anerkennung kirchlichen Handelns im staatlichen Rechtskreis. Im Vorgriff auf die weitere Untersuchung soll diese Trennlinie und Mittlerstellung im Hinblick auf das Mitarbeitervertretungsrecht und die Dienstvereinbarung als kirchenrechtliches Rechtsinstitut noch näher umrissen werden.
I. Einfachgesetzliche Exemtionen zugunsten der Kirche
In einem nicht veröffentlichten Rechtsgutachten des Kirchenrechtlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland konstatierte Rudolf Smend bereits 1951: „Die vom Bund zu erlassenden Betriebsverfassungsgesetze sind kein allgemeines Gesetz i.S. des Art. 137 Abs. 3 WRV. Jedoch sind die Kirchen als verpflichtet anzusehen, kirchengesetzlich eine Regelung des Rechts ihrer Arbeitnehmer auf Beteiligung und Mitbestimmung in den Betrieben und Verwaltungen zu schaffen.“91 Tatsächlich ist die Anwendung der staatlichen Gesetze über die Arbeitnehmermitbestimmung auf kirchliche Rechtsverhältnisse überwiegend durch den staatlichen Gesetzgeber ausgeschlossen worden. So findet sich in § 118 Abs. 2 BetrVG die Ausklammerung für das Betriebsverfassungsrecht92 und in § 119 BPersVG jene für das Personalvertretungsrecht des Bundes; die Landespersonalvertretungsgesetze sehen teilweise entsprechende Ausklammerungen vor.93 Für den Bereich der leitenden Angestellten hält § 1 Abs. 3 Nr. 2 SprAuG eine Exemtion bereit.
II. Verfassungsrechtliche Garantie und Mitarbeitervertretungsrecht
Während demnach das einfache staatliche Recht auf dem Gebiet des Betriebsverfassungs- und des Personalvertretungsrechts überwiegend Exemtionen zugunsten der Kirche vorhält, gilt es nunmehr diese Bereichsausnahmen im verfassungsrechtlichen Kontext zu verorten. Es ist der Nachweis zu führen, dass es der Kirche im Rahmen des verfassungsrechtlich gewährleisteten Selbstbestimmungsrechts zukommt, ein eigenes Mitarbeitervertretungsrecht zu regeln. Berücksichtigung finden muss schließlich, welche Bindungen dem kirchlichen Gesetzgeber durch das Verfassungsrecht bei der Ausgestaltung des Mitarbeitervertretungsrechts auferlegt sind, deren Missachtung einer Geltung des kirchlichen Rechts im staatlichen Rechtskreis entgegenstünde.
1. Schutzbereich des Selbstbestimmungsrechts
Das kirchliche Mitarbeitervertretungsrecht lässt sich als Ausfluss des verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrechts begreifen, wenn die Ausgestaltung der Rechtsverhältnisse innerhalb kirchlicher Dienststellen vom Schutzbereich des Selbstbestimmungsrechts erfasst ist.
a. Begriff der Religionsgemeinschaft
Träger des durch Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV gewährleisteten Selbstbestimmungsrechts sind die Religionsgemeinschaften. Selbstverständlich ist es, dass die verfassten Kirchen in Deutschland – in der evangelischen Kirche sind dies die jeweiligen Landeskirchen sowie ihre Zusammenschlüsse94 – dem Begriff der Religionsgesellschaft unterfallen. Insoweit werden in dieser Arbeit die Begriffe „Religionsgesellschaft“ und „(verfasste) Kirche“ synonym verwendet.
Das Bundesverfassungsgericht hat das Recht der verfassten Kirche, ihre eigenen Angelegenheiten zu ordnen und zu verwalten, allerdings nicht darauf beschränkt, dass die Kirche allein für die verfasste Kirche Regelungen erlassen darf. Vielmehr soll es ihr auch möglich sein, den Geltungsbereich des kirchlichen Rechts auf Einrichtungen zu erstrecken, die eine gewisse Nähe und Verbindung zur verfassten Kirche aufweisen.95 Dabei stellt die Rechtsprechung keine hohen Anforderungen an die bestehende Beziehung zwischen verfasster Kirche und zugeordneter Einrichtung. Ausreichend sei es, dass die Kirche nach ihrem Selbstverständnis die Einrichtung als die Ihrige begreift.96 Dem ist beizupflichten unter dem Gesichtspunkt, dass es der verfassten Kirche möglich sein muss, nach ihrem Selbstverständnis den kirchlichen Auftrag in der Gesellschaft wahrzunehmen; welcher Rechtsform und insbesondere welcher Organisationsform sie sich dazu bedient, darf hingegen keine maßgebliche Bedeutung haben.97 Insoweit daher in plausibler Weise die Zuordnung einer bestimmten Einrichtung zur verfassten Kirche begründet wird, muss dies für die Einbeziehung in den Anwendungsbereich der kirchlichen Gesetzgebung ausreichen. Die Zuordnung ist jedenfalls dann nachvollziehbar, wenn die Kirche einen ordnenden und verwaltenden Einfluss auf die Einrichtung ausüben kann98 und die Einrichtung die Zugehörigkeit zur Kirche nicht bestreitet99. Die Zuordnung privatrechtlicher Einrichtungen darf jedoch nicht dazu verleiten, diese Einrichtungen nunmehr unmittelbar selbst als Träger des Selbstbestimmungsrechts zu betrachten mit der Folge, dass sie unabhängig von der verfassten Kirche Regelungen treffen könnten; das Selbstbestimmungsrecht und die damit verbundenen Privilegien sind ausschließlich der Religionsgesellschaft, also der verfassten Kirche zugeordnet.100
Für das Mitarbeitervertretungsrecht in der evangelischen Kirche hat dies zur Folge, dass nicht nur die Dienstverhältnisse mit der EKD oder einer Landeskirche der Rechtsetzungsmacht der Kirche unterliegen, sondern auch solche Dienstverhältnisse in privatrechtlich organisierten Einrichtungen wie dem Diakonischen Werk e.V.101 oder Krankhäusern in kirchlicher Trägerschaft102. § 1 MVG-EKD erhebt einen entsprechend weitreichenden Geltungsanspruch für das Mitarbeitervertretungsgesetz.
Dieser Erstreckung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts auf privatrechtliche Einrichtungen der evangelischen Kirche tragen die staatlichen Arbeitsgesetze mit ihren Exemtionen zugunsten der Kirche allerdings nur teilweise Rechnung. So schließen die § 118 Abs. 2 BetrVG, § 112 BPersVG und § 1 Abs. 3 Nr. 2 SprAuG zwar ausdrücklich karitative und erzieherische Einrichtungen aus dem Anwendungsbereich der jeweiligen Gesetze aus. Infolgedessen unterfallen auch die meisten Einrichtungen der evangelischen Kirche bei einer weiten Auslegung nicht dem Anwendungsbereich der staatlichen Gesetze. Weitergehend sind jedoch auch sonstige Einrichtungen der Kirche, die im Zusammenhang mit ihrem Verkündigungsauftrag stehen, im Wege der verfassungskonformen Auslegung