Ein weiterer Faktor, der einen Einfluss auf die Preisbildung auf zweiseitigen Märkten hat, ist die Zahl der von den Nachfragern genutzten Plattformen. In manchen Fällen nutzen die Nachfrager nur eine Plattform, d.h. sie betreiben ein so genanntes Single-Homing, in anderen sind sie auf mehreren Plattformen aktiv, d.h. man beobachtet ein Multi-Homing. In der Regel wird man beobachten, dass zumindest eine Marktseite ein Multi-Homing betreibt. So lesen die meisten Konsumenten nur eine Zeitung, während Werbung treibende Unternehmen gleichzeitig in mehreren Zeitungen inserieren. Die meisten Händler akzeptieren mehrere Kreditkarten, aber viele Kunden besitzen nur eine. Auf zweiseitigen Märkten ist daher ein hoher Preis für eine Nachfragergruppe noch kein ausreichendes Indiz für das Vorhandensein von Marktmacht, denn selbst bei Wettbewerb mehrerer Plattformen würde sich an der Art der Preisstruktur nichts ändern. Würde man daher bei zweiseitigen Märkten nur eine Nachfragergruppe betrachten, dann gelangte man in der Regel zu einer falschen Schlussfolgerung.15 Entscheidend ist der Gesamtpreis, d.h. das was insgesamt von beiden Gruppen gezahlt wird, und die gesamten Grenzkosten, die der Plattform bei der Erstellung der Leistung entstehen.
V. Marktmacht auf Ausschreibungs- und Bietermärkten
Ausschreibungsmärkte sind dadurch charakterisiert, dass verschiedene Anbieter um die Durchführung eines Projektes, z.B. den Bau einer Infrastruktureinrichtung oder die Erstellung eines Produktes im Wettbewerb stehen. Bietermärkte hingegen sind gekennzeichnet durch den Wettbewerb verschiedener Nachfrager um ein oder mehrere Produkte. In beiden Fällen geben die Wettbewerber Gebote ab und das beste Gebot erhält den Zuschlag. Zur Analyse derartiger Märkte wird daher die Auktionstheorie herangezogen, die optimales Verhalten und Gleichgewichte bei Auktionen bzw. Ausschreibungen untersucht.16 Ausschreibungs- und Bietermärkte sind in der Regel dadurch gekennzeichnet, dass es einen Wettbewerb um den Markt, nicht aber einen Wettbewerb im Markt gibt. Weiterhin finden Ausschreibungen meist in größeren Abständen statt und die ausgeschriebenen Projekte sind häufig von einem erheblichen Umfang, sodass der Zuschlag für ein einzelnes Unternehmen eine große Bedeutung hat. Dies kann dazu führen, dass sich ein Unternehmen, dessen Gebot keine Berücksichtigung findet, erheblichen wirtschaftlichen Problemen gegenübersieht, die im Extremfall dazu führen können, dass das Unternehmen aus dem Markt ausscheiden muss. In solchen Situationen haben Unternehmen einen großen Anreiz, kompetitive Gebote abzugeben, um sich ein Projekt zu sichern. Daher ist die Zahl der in einem Ausschreibungsmarkt aktiven Unternehmen häufig kein verlässlicher Indikator für eventuelle Marktmacht. Es können bereits zwei Unternehmen ausreichen, um das gleiche Ergebnis hervorzubringen wie in einem Wettbewerbsmarkt. Auch der Erfolg, den ein Unternehmen bei früheren Ausschreibungen hatte, ist in solchen Märkten kein Indikator für den Erfolg bei künftigen Ausschreibungen. Entscheidend ist vielmehr, welche Unternehmen in der Lage sind, attraktive Angebote zu unterbreiten.17
Aus diesen Gründen entsprechen Bieter- und Ausschreibungsmärkte, wenn die dort aktiven Unternehmen sich hinsichtlich ihrer Kosten nicht signifikant unterscheiden, Märkten mit Bertrand-Wettbewerb, d.h. es liegt ein sehr hoher Wettbewerbsdruck vor und die Preise werden auf dem Niveau der Grenzkosten liegen. Aus diesem Grunde sind Marktanteile in Bieter- und Ausschreibungsmärkten von eher untergeordneter Bedeutung. Wenn auch der Zutritt in einen solchen Markt einfach möglich ist, dann liegt sogar die Situation eines bestreitbaren Marktes vor, in dem auch große Marktanteile einzelner Unternehmen keinen Rückschluss über die Marktmacht erlauben.
Dieses Argument muss jedoch relativiert werden, wenn es sich um Ausschreibungs- bzw. Bietermärkte mit differenzierten Produkten handelt, in denen wiederholt Transaktionen in geringem Umfang stattfinden. In solchen Fällen können im Gleichgewicht auch Preise resultieren, die über den Grenzkosten liegen. In solchen Märkten können daher die Anzahl und die Größe der Bieter im Markt einen signifikanten Einfluss auf das Marktergebnis haben.
1 Diese Definition der Marktmacht ist in der Wirtschaftstheorie allgemein gebräuchlich. „A firm has market power if it finds it profitable to raise price above marginal cost.“ Church/Ware (2000), 29. „Market power may be defined as the ability to set prices above cost, especially above incremental or marginal cost, that is, the cost of producing an extra unit.“ Cabral (2000), 6. „Since the lowest possible price a firm can profitably charge is the price which equals the marginal cost of production, market power is usually defined as the difference between the prices charged by a firm and its marginal costs of production.“ Motta (2004), 40f. 2 Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Preis im Allgemeinen eine leicht zu beobachtende Größe, Qualität jedoch nur schwer feststellbar ist. Dies ändert jedoch nichts an der prinzipiellen Anwendbarkeit der Definition. Ansätze hierzu liefert die Methode der „hedonic prices“. Vgl. hierzu Rosen (1974). 3 Benannt nach dem Ökonomen Abba Lerner (1903–1982). Der nach ihm benannte Index findet sich in Lerner (1934). 4 Die folgenden Ausführungen dienen vor allem dazu, die dem Lerner-Index unterliegenden Konzepte zu beschreiben. Daher wird nur der Fall betrachtet, in dem jedes Unternehmen nur ein Gut herstellt. Bei Mehrproduktunternehmen können Situationen auftreten, die mit dieser einfachen Form des Lerner-Index nicht erfasst werden können. So kann ein Mehrproduktmonopol, das komplementäre Güter herstellt, ein Gut sogar zu Preisen unter den Grenzkosten anbieten, um die Nachfrage nach einem anderen zu stimulieren. Vgl. Schmalensee (1982). 5 Dieses Ergebnis folgt, wenn der Monopolist seinen Gewinn maximiert. Es wird dabei unterstellt, dass der Monopolist keine Preisdiskriminierung betreibt. 6 Allerdings können selbst in einem Falle, in dem bei einer Preiserhöhung die Nachfrage elastisch reagiert, die Gewinne zunehmen, nämlich wenn die mit der geringeren Ausbringungsmenge verbundenen Kosten stärker abnehmen als die Umsätze. Vgl. S. 122–128 (kritische Elastizitäten). 7 Diese Aussage gilt nicht nur für ein Monopol, sondern für jedes Unternehmen, das seinen Gewinn maximiert. 8 Dies entspricht der Situation, in der sich ein Unternehmen bei vollkommenem Wettbewerb befindet, das sich ebenfalls einer vollständig elastischen Nachfrage gegenübersieht. 9 Zur Verhaltenskoordination im Oligopol vgl. S. 450–456. 10 Zur Unterscheidung zwischen aggregierter und residualer Nachfrage vgl. Carlton/Perloff (2005), 66–69. 11 Vgl. Carlton/Perloff (2005), 66. 12 Zur Herleitung vgl. Carlton/Perloff (2005), 68. 13 Vgl. Baker/Bresnahan (1988), 286; Hausman/Leonard/Zona (1992), 896; Landes/Posner (1981), 962. 14 Vgl. Rochet/Tirole (2006). 15 Vgl. Wright (2003); Evans/Schmalensee (2008). 16 Einen Überblick über die Auktionstheorie geben Krishna (2010) oder Milgrom (2004). 17 Zu Bieter- und Ausschreibungsmärkten vgl. Klemperer (2008).
B. Marktmacht, Marktbeherrschung und wirksamer Wettbewerb – ökonomische und juristische Aspekte
Der Lerner-Index als Konzept zur Erfassung von Marktmacht ist wirtschaftstheoretisch fundiert und kann im Prinzip auf alle Marktformen angewandt werden. Er macht deutlich, dass die Marktmacht eines Unternehmens oder einer Gruppe