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Im Übrigen können kurze, von dem Unternehmen vorgegebene Deadlines Verhandlungsspielräume gegenüber Arbeitnehmervertretungen schmälern und damit letztlich Kosten erhöhen. Gewinnt die Arbeitnehmervertretung den Eindruck, dass das Unternehmen seine Entscheidung schnell umsetzen möchte und entsprechend Druck auf das Gremium ausübt, steigen in der Regel die Anforderungen, die von Arbeitnehmerseite gestellt werden.
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Ein weiterer, sich auf das Timing auswirkender Faktor sind parallel laufende Beteiligungsverfahren – entweder mit demselben Gremium oder mit einem über- oder untergeordneten Gremium. Konstruktive Verhandlungsrunden in anderen Verfahren können sich positiv auf das Beteiligungsverfahren bzgl. die Restrukturierungsmaßnahme auswirken. Andersherum können sich weniger zielführende und nicht zufriedenstellende Verhandlungsrunden entsprechend negativ auswirken. Jedes Verfahren für sich einzeln zu betrachten fällt oftmals schwer – vielmehr werden einzelne Verhandlungspositionen regelmäßig miteinander verknüpft. So kann es dazu kommen, dass eine Partei für das Entgegenkommen in der einen Sache wiederum ein Entgegenkommen der anderen Partei in der zweiten Sache fordert. Auch hier gilt es daher, wenn möglich, die bisherigen Gepflogenheiten zu berücksichtigen und einzuhalten.
(2) Anwendbare Rechtsordnung
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Auch die jeweils anwendbare Rechtsordnung kann sich auf die Höhe der Kosten auswirken. Dies lässt sich ebenfalls am Beispiel von Personalabbau verdeutlichen: Nach der jeweils anwendbaren Rechtsordnung bestimmt sich unter anderem, ob und welcher Kündigungsschutz Anwendung findet, welche gesetzlichen Kündigungsfristen gelten und ob bzw. in welchem Umfang Abfindungen zu zahlen sind. Da regelmäßig abweichende Regelungen auf kollektiv- und/oder individualrechtlicher Ebene vereinbart werden, ist es notwendig, für jedes einzelne Arbeitsverhältnis zu überprüfen, welche Regelungen jeweils Anwendung finden. Insbesondere individualvertragliche Regelungen, die von der gesetzlichen Regelung zugunsten des Arbeitgebers abweichen, sollten auf ihre Wirksamkeit überprüft werden. Bestehen Zweifel an der Wirksamkeit derartiger Regelungen, kann dies ein zusätzliches Kosten- und gleichzeitig Prozessrisiko bedeuten.
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Steht für jedes einzelne Arbeitsverhältnis fest, welche Regelungen anzuwenden sind, ist einzelfallbezogen zu überprüfen, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen eine Kündigung rechtlich möglich ist. Dafür bedarf es verschiedener Informationen über den jeweils betroffenen Arbeitnehmer. Nach deutschem Recht zählen hierzu in der Regel zunächst alle Informationen, die für etwaigen Sonderkündigungsschutz von Bedeutung sein können, wie etwa Schwerbehinderung, Mutterschutz/Elternzeit, Mitgliedschaft in einer Arbeitnehmervertretung oder Wahrnehmung einer bestimmten Funktion (z.B. Datenschutzbeauftragte/r). Für den allgemeinen Kündigungsschutz können – je nach Jurisdiktion – etwa die Größe des Betriebs, die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter sowie etwaige Unterhaltspflichten von Bedeutung sein. Einige dieser Parameter können darüber hinaus für die Berechnung der Kündigungsfristen oder Höhe der Abfindung eine Rolle spielen.
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Anhand dieser Informationen lässt sich bezogen auf den Einzelfall eine Aussage darüber treffen, ob Kündigungen überhaupt möglich sind, welche Kündigungsfristen gelten und ob bzw. in welcher Höhe Abfindungen zu zahlen sind. Eine Kostenkalkulation sollte zudem stets das Risiko anschließender Rechtsstreitigkeiten berücksichtigen.
3. Beteiligungsrechte der Arbeitnehmervertretungen
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Beteiligungsrechte spielen auch außerhalb des von der starken Rolle der Arbeitnehmervertretungen geprägten Deutschlands eine wichtige Rolle. Während es in Teilen von Asien, Südamerika und dem afrikanischen Kontinent in der Regel kaum bis keine Beteiligungsrechte gibt, weisen vor allem viele europäische Länder eine hohe Dichte an Beteiligungsrechten auf. Doch auch in den USA werden Arbeitnehmer – je nach Branche, in der Regel denen der Industrie – durch teils sehr mächtige Gewerkschaften vertreten. Auch in Südafrika stehen den Arbeitnehmervertretungen in Teilen Beteiligungsrechte zu.
a) Unterschiedliche Gremien
aa) Nationale Arbeitnehmervertretungen
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Zwischen den nationalen Arbeitnehmervertretungen, die für Maßnahmen auf betrieblicher Ebene zu beteiligen sind, bestehen global betrachtet große Unterschiede. Während das zentrale Arbeitnehmervertretungsorgan für derartige Maßnahmen beispielsweise in Deutschland, Österreich oder Luxemburg der Betriebsrat ist, findet die entsprechende Arbeitnehmerbeteiligung in einigen Jurisdiktionen wie etwa Frankreich oder Belgien zusätzlich auch auf gewerkschaftlicher Ebene statt. In Großbritannien findet die Beteiligung, wenn überhaupt, ausschließlich auf gewerkschaftlicher Ebene statt; in Betrieben, in denen die Gewerkschaften nicht vertreten sind, gibt es daher zumeist auch keine Arbeitnehmervertretung. In China vertritt in der Regel eine Betriebsgewerkschaft die Arbeitnehmerinteressen.4 Diese verfügt über eine vergleichbare Funktion wie der Betriebsrat in Deutschland.5 In den USA gibt es kein Organ, das in seiner Funktion mit einem deutschen Betriebsrat vergleichbar ist; allerdings werden Arbeitnehmer in manchen Branchen der Industrie durch Gewerkschaften vertreten.6 Auch in Kanada7 und Brasilien8 kommt Gewerkschaften eine wichtige Bedeutung zu.
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Teilweise bestehen auch mehrere nationale Arbeitnehmervertretungsorgane, die jeweils entsprechend ihren (gesetzlichen) Aufgaben zu beteiligen sind. So spielt etwa in Deutschland neben dem Betriebsrat der Wirtschaftsausschuss eine wichtige Rolle. Dieser hat allerdings keine eigenen Entscheidungsbefugnisse und ist lediglich Hilfsorgan des Betriebsrats. Er hat eine Doppelfunktion und dient einerseits als Verhandlungsgremium mit der Geschäftsführung und andererseits als Informationsgremium gegenüber dem Betriebsrat.9 In diesen Funktionen berät er den Unternehmer in wirtschaftlichen Angelegenheiten und informiert den Betriebsrat hierüber.10 Anders dagegen verhält es sich seit einer Reform 2017 in Frankreich: In französischen Unternehmen existierten verschiedene Personalvertretungsorgane nebeneinander (Personalvertreter, Betriebsrat, Gewerkschaftsvertreter sowie ein Ausschuss für Hygiene, Sicherheit und Arbeitsbedingungen). Seit dem 1.1.2018 sind diese Personalvertretungsorgane in einem Organ, dem Wirtschafts- und Sozialausschuss (comité social et économique – CSE) zusammengefasst.
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Möglicherweise ist auch der Aufsichtsrat zu beteiligen, z.B. wenn ein Unternehmensteil veräußert wird. Soweit dieser paritätisch bzw. drittelparitätisch besetzt ist, befinden sich auch Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat. Mit Arbeitnehmervertretern besetzte Aufsichtsräte findet man neben Deutschland unter anderem auch in Dänemark, Luxemburg sowie einigen osteuropäischen Ländern. Oftmals handelt es sich bei den Arbeitnehmervertretern auch um Betriebsratsmitglieder, sodass eine Personalunion besteht. In solchen Fällen empfiehlt sich ebenfalls eine vorherige Abstimmung in Hinblick auf das Timing. Eine zeitlich leicht verzögerte Unterrichtung von Aufsichtsrat und Betriebsrat wird in der Praxis zwar häufig unvermeidbar sein, allerdings sollte man immer daran denken, das jeweils andere Organ zeitnah zu unterrichten. Ansonsten erfahren Betriebsratsmitglieder aufgrund ihrer Funktion im Aufsichtsrat bereits vor Involvierung des Betriebsrats von der geplanten Restrukturierungsmaßnahme mit der Folge, dass den Betriebsräten mehr Zeit eingeräumt wird, über ihre Rechte nachzudenken und dann entsprechende Beteiligungsrechte einzufordern.
bb) Überregionale Arbeitnehmervertretungen
(1) Der Europäische Betriebsrat
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Sobald ein Unternehmen mindestens 1000 Arbeitnehmer in Mitgliedstaaten der EU und davon jeweils mindestens 150 Arbeitnehmer in mindestens zwei Mitgliedstaaten beschäftigt,11 kann ein Europäischer Betriebsrat („EBR“) gegründet werden. Vor