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Letztlich ist der Arbeitgeber im Rahmen von Anhörungs- und Beratungsrechten in seiner unternehmerischen Entscheidung jedoch frei.38 Einer Zustimmung durch die Arbeitnehmervertretung bedarf es nicht. Ferner hat sich der Arbeitgeber etwa mit dem deutschen Betriebsrat über eine geplante Betriebsänderung zu beraten.39 Im Falle einer Betriebsänderung besteht jedoch die Besonderheit, dass das Recht des Betriebsrats nicht auf ein reines Beratungsrecht beschränkt ist, sondern eine Betriebsänderung interessenausgleich- und möglicherweise sozialplanpflichtig ist. Allerdings ist ein Interessenausgleich nicht erzwingbar, sodass der Arbeitgeber auch nach dem Scheitern der Verhandlungen mit dem Betriebsrat die unternehmerische Maßnahme umsetzen kann. Die Entscheidungsfreiheit des Arbeitgebers bleibt mithin erhalten.40 Zu beachten sind jedoch drohende Nachteilsausgleichsansprüche.41
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In den Niederlanden verfügt der Betriebsrat zwar ebenfalls über kein echtes Mitbestimmungsrecht im Hinblick auf organisatorische Entscheidungen, jedoch muss der Arbeitgeber einen Monat mit der Umsetzung einer Maßnahme warten, sofern der Betriebsrat diese Maßnahme abgelehnt hat.42 Innerhalb dieser Frist kann der Betriebsrat eine Beschwerde bei Gericht mit dem Ziel einreichen, die ausreichende und rechtzeitige Anhörung der Interessen der Arbeitnehmer zu überprüfen. Sollte das Gericht zu dem Ergebnis kommen, dass Verfahrensfehler begangen oder Arbeitnehmerinteressen nicht vollständig berücksichtigt wurden, kann das Gericht eine dahingehende Entscheidung erlassen, dass die Unternehmensentscheidung ganz oder zumindest teilweise revidiert wird.
cc) Widerspruchs- und Zustimmungsverweigerungsrechte
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Soweit dies nach der jeweiligen nationalen Rechtsordnung vorgesehen ist, kann die Arbeitnehmervertretung in bestimmten Fällen einer Entscheidung des Arbeitgebers widersprechen. So kann der deutsche Betriebsrat einer ordentlichen Kündigung in bestimmten Fällen widersprechen, etwa wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers soziale Gesichtspunkte nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat.43 Ein Widerspruch kann zwar bestimmte gesetzlich geregelte Folgen auslösen, z.B. einen Weiterbeschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens,44 die Entscheidung jedoch in der Regel nicht zu Fall bringen.
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Etwas weiter gehen Zustimmungsverweigerungsrechte. Sie geben der Arbeitnehmervertretung unter bestimmten Voraussetzungen das Recht, einer Entscheidung des Arbeitgebers ihre Zustimmung zu verweigern. Häufig sehen die nationalen Regelungen jedoch vor, dass der Arbeitgeber beim Arbeitsgericht beantragen kann, die Zustimmung zu ersetzen.45 In den Niederlanden steht dem Betriebsrat ein echtes Vetorecht zu, etwa in Bezug auf die betriebliche Arbeitszeit, Urlaub, Entlohnungssysteme etc. mit der Folge, dass der Arbeitgeber die Maßnahme nicht durchführen kann, wenn der Betriebsrat widerspricht.46
dd) Echte Mitbestimmungsrechte
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Auf der höchsten Stufe der Beteiligungsebene stehen die sog. echten Mitbestimmungsrechte. Hier steht die Arbeitnehmervertretung als gleichberechtigter Partner neben dem Arbeitgeber.47 So hat beispielsweise der deutsche Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht hinsichtlich der vorübergehenden Verkürzung oder Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit.48 Als weiteres Beispiel ist die Gewerkschaft in Polen zu nennen, der in bestimmten sozialen Angelegenheiten, wie z.B. bei Gruppenentlassungen, ein echtes Mitbestimmungsrecht zugestanden wird.49
c) Zeitpunkt der Einbindung der Arbeitnehmervertretungen
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Neben dem unter Rn. 149 beschriebenen Kommunikationsplan birgt oftmals die Frage des Zeitpunkts der Einbindung der Arbeitnehmervertretungen Schwierigkeiten. Auch hier gibt es je nach Art des Gremiums, geplanter Maßnahme und betroffener Jurisdiktion unterschiedliche Anknüpfungspunkte. Insbesondere gilt es, den richtigen Spagat zwischen einer zu frühen Beteiligung, wenn die konkreten Maßnahmen noch nicht abschließend feststehen, und der verspäteten Beteiligung zu finden.
aa) Zeitliche Reihenfolge der Unterrichtung: Welches Gremium zuerst?
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Im Gegensatz zu rein nationalen Sachverhalten, bei denen die Zuständigkeiten der einzelnen Arbeitnehmervertretungen in der Regel gesetzlich festgelegt sind und die entsprechenden Regelungen zumeist auch auf einen bestimmten Zeitpunkt abstellen, stellt sich bei internationalen Sachverhalten immer auch die Frage der zeitlichen Reihenfolge der Beteiligung der Gremien. Das ist insbesondere in Unternehmensgruppen mit einem Europäischen Betriebsrat der Fall. Es gilt daher, die verschiedenen Beteiligungsverfahren sinnvoll miteinander zu koordinieren und insbesondere in zeitlicher Hinsicht aufeinander abzustimmen.
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Grundsätzlich sind sowohl die nationalen Gremien als auch der Europäische Betriebsrat rechtzeitig im Hinblick auf die geplante Umstrukturierung zu beteiligen, sodass die Standpunkte der jeweiligen Arbeitnehmervertretung noch berücksichtigt werden können.
184
Die Regelungen über den Europäischen Betriebsrat enthalten keine Vorschriften zur zeitlichen Reihenfolge der jeweiligen Beteiligungsrechte. Es gibt weder einen generellen Vorrang für die Beteiligung des Europäischen Betriebsrats noch für die Beteiligung der nationalen Arbeitnehmervertretungen. Besondere Vorschriften können sich jedoch entweder aus der jeweiligen Europäischen Betriebsrats-Vereinbarung oder aus nationalem Recht ergeben. Es gilt allerdings der Grundsatz, dass der Europäische Betriebsrat die Beteiligungsrechte der nationalen Arbeitnehmervertretungen nicht aushebeln kann.
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Da sich der Europäische Betriebsrat aus Arbeitnehmervertretern der nationalen Gremien zusammensetzt, ist ein Unternehmen auch hier dem Risiko der Weitergabe von Informationen durch die Arbeitnehmervertreter in ihre jeweiligen nationalen Gremien ausgesetzt. Um gegenüber etwaigen beteiligungsberechtigten nationalen Gremien nicht den Eindruck zu erwecken, man wolle sie umgehen, ist eine zeitnahe Beteiligung ratsam. Alternativ bietet sich zumindest die zeitnahe Ankündigung einer entsprechend den gesetzlichen Vorschriften stattfindenden Beteiligung der nationalen Arbeitnehmervertretungen an.
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Es handelt sich mithin um keine rein rechtliche Frage, sondern vielmehr um eine Frage der jeweiligen Ausgestaltung in der Praxis. Das Unternehmen muss einen Weg zwischen einer weiteren vertrauensvollen Zusammenarbeit mit allen Arbeitnehmervertretungen einerseits und der Wahrung von Unternehmensinteressen andererseits finden. Es ist letztlich Aufgabe der Konzernleitung und ihrer Berater, eine möglichst effiziente Koordinierung der verschiedenen Ebenen der Arbeitnehmervertretungen zu bewerkstelligen. Empfehlenswert ist eine zeitlich nah beieinander liegende Beteiligung, damit für jedes Beteiligungsverfahren ausreichend Zeit bleibt. Es ist jedoch auch immer ratsam, sich ein gewisses Maß an Flexibilität einzuräumen.
bb) Unternehmerische Entscheidung/auslösendes Ereignis
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In Zusammenhang mit der Frage, zu welchem Zeitpunkt die Arbeitnehmervertretungen zu beteiligen sind, kommt es immer auf das das jeweilige Beteiligungsrecht auslösende Ereignis an. Das sog. auslösende Ereignis variiert je nach Beteiligungsrecht und Jurisdiktion.