(a) Umfang der Beteiligungsrechte
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In der Regel besteht zwischen dem Unternehmen und dem EBR eine Vereinbarung, nach der sich der Umfang der Beteiligungsrechte des EBR richtet. Bei der Gestaltung dieser Vereinbarung sind die Parteien über die gesetzlichen Mindestanforderungen12 weitestgehend frei.13 In der Praxis sehen die entsprechenden Vereinbarungen oft umfangreichere Beteiligungsrechte des EBR vor, als diesem nach den gesetzlichen Regelungen zustehen.
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Fehlt es – wie in der Praxis nur selten der Fall – an einer solchen Vereinbarung, gelten die jeweils anwendbaren gesetzlichen Regelungen über die Beteiligung des EBR (sog. EBR kraft Gesetzes). Insofern kommt es darauf an, welches nationale Umsetzungsgesetz zur Europäischen Betriebsräte-Richtlinie (RL 2009/38/EG) Anwendung findet. Dies hängt davon ab, in welchem Mitgliedstaat das Unternehmen seinen Sitz hat,14 bzw., falls das Unternehmen seinen Sitz außerhalb der EU hat, in welchem Mitgliedstaat der Sitz fingiert wird.15
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Hinsichtlich des Umfangs der Beteiligungsrechte des EBR kraft Gesetzes unterscheiden sich die nationalen Umsetzungsgesetze nicht wesentlich. Sie sehen in der Regel vor, dass die zentrale Leitung des Unternehmens den EBR über außergewöhnliche Umstände oder Entscheidungen, die erhebliche Auswirkungen auf die Interessen der Arbeitnehmer haben, zu unterrichten und auf Verlangen anzuhören hat. Als außergewöhnliche Umstände gelten insbesondere die Verlegung oder Stilllegung von Unternehmen, Betrieben oder wesentlichen Betriebsteilen sowie Massenentlassungen.16 Die Unterrichtung hat rechtzeitig und unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen zu erfolgen. Rechtzeitig setzt insbesondere voraus, dass eine Entscheidung über die Angelegenheit noch nicht unumstößlich getroffen worden ist.17 Zu den erforderlichen Unterlagen gehört ein von der zentralen Leitung vorzulegender Bericht, das heißt eine sachlich geordnete Zusammenfassung über die außergewöhnlichen Umstände.18 Darüber hinausgehende Mitwirkungsrechte sehen die nationalen Umsetzungsgesetze nicht vor. Da der EBR – vorbehaltlich weiterer Rechte in der EBR-Vereinbarung – somit nur Anspruch auf Unterrichtung und Anhörung, nicht jedoch auf echte Mitbestimmung hat, gleicht der EBR eher einem deutschen Wirtschaftsausschuss als einem Betriebsrat nach dem BetrVG.19
(b) Sanktionen bei Missachtung der Beteiligungsrechte
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Die Europäische Betriebsräte-Richtlinie gibt nur vage an, dass die Mitgliedstaaten geeignete Maßnahmen für den Fall der Nichteinhaltung der Richtlinie vorzusehen haben.20
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In den meisten Mitgliedstaaten, so u.a. in Deutschland,21 handelt ein Unternehmen, das die Beteiligungsrechte des EBR missachtet, ordnungswidrig. Das deutsche Recht sieht Geldbußen bis zu 15.000 EUR vor,22 das französische Recht sogar bis zu 37.500 Euro. Ein Unterlassungsanspruch gegen beteiligungswidrig geplante Maßnahmen steht dem EBR in Deutschland, wie auch beispielsweise im Vereinigten Königreich, indes nicht zu.23
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Etwas anderes gilt gleichwohl in Mitgliedstaaten, deren nationales Umsetzungsgesetz dem EBR einen Unterlassungsanspruch bei Verletzung der Unterrichtungs- und Anhörungspflicht zubilligt. Dies ist insbesondere in Frankreich der Fall.24 Hier kann der EBR es der Konzernleitung – wie in der Vergangenheit bereits mehrfach geschehen25 – untersagen, das Verfahren der Betriebsstilllegung fortzusetzen, solange die Konzernleitung ihre Verpflichtung zur Information und Konsultation des EBR nicht erfüllt.
(2) SE-Betriebsrat
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Bei Unternehmen in Gesellschaftsform der Societas Europaea („SE“) erfüllt der Betriebsrat der SE (sog. „SE-Betriebsrat“) letztlich die gleichen Funktionen wie der EBR.26 Die Beteiligungssystematik ähnelt der des EBR. Der SE-Betriebsrat ist zuständig für alle „Angelegenheiten, die die SE selbst, eine ihrer Tochtergesellschaften oder einen ihrer Betriebe in einem anderen Mitgliedsstaat betreffen oder die über die Befugnisse der zuständigen Organe auf der Ebene des einzelnen Mitgliedstaats hinausgehen“.27 Vergleichbar mit dem EBR, sind die Rechte des SE-Betriebsrats in der Regel auf Informations- und Anhörungsrechte beschränkt.
(3) Auswirkungen nach dem Brexit
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Für Unternehmen, die einen Betrieb in Großbritannien unterhalten und über einen Europäischen Betriebsrat oder SE-Betriebsrat verfügen, stellt sich die Frage der Auswirkungen des Brexits. Bis zum 31.12.2020, dem Abschluss der Übergangsphase, gelten die zwischen der Europäischen Union und Großbritannien ausgehandelten Übergangsvorschriften, gemäß deren die derzeit geltenden Regelungen weiterhin Anwendung finden. Unklar bleibt umso mehr die Rechtslage nach Ablauf der Übergangsphase, insbesondere in Hinblick auf bestehende EBR oder SE-Betriebsräte, die nach dem Recht von Großbritannien gegründet wurden. Die Folgen des Umstandes, dass Großbritannien nach Ablauf der Übergangsphase als Drittstaat qualifiziert werden wird, sind noch nicht geklärt. In Betracht kommt, die gesetzlichen Vorschriften Großbritanniens anzuwenden oder die zentrale Leitung neu zu bestimmen. Denkbar sind auch Konstellationen, in denen aufgrund des Wegfalls Großbritanniens die Schwellenwerte für den EBR bzw. den SE-Betriebsrat nicht mehr erfüllt werden. Welche Lösungen der bzw. die Gesetzgeber diesbezüglich finden werden, bleibt derzeit abzuwarten.
b) Arten von Beteiligungsrechten
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Welche Beteiligungsrechte den einzelnen Gremien der Arbeitnehmervertretungen bei einer internationalen Restrukturierungsmaßnahme zustehen, variiert stark nach dem jeweils anwendbaren nationalen Recht. Im Allgemeinen lassen sich Beteiligungsrechte allerdings wie folgt kategorisieren:
aa) Informationsrechte
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Auf unterster Stufe der Beteiligungsebene stehen die sog. Informationsrechte.28 Sie verpflichten den Arbeitgeber lediglich, die Arbeitnehmervertretung rechtzeitig und umfassend über die Restrukturierungsmaßnahme zu unterrichten und die sich daraus ergebenden Auswirkungen auf die Arbeitnehmer darzustellen. Die Arbeitnehmervertretung ist jedoch nicht zur Beratung der Angelegenheit verpflichtet.29 Zu den reinen Informationsrechten gehören nach deutschem Recht z.B. das Informationsrecht des Wirtschaftsausschusses (bzw. des Betriebsrats für den Fall, dass kein Wirtschaftsausschuss besteht) im Falle einer Unternehmensübernahme, einem sog. Share Deal.30
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Eine rechtzeitige Unterrichtung setzt regelmäßig voraus, dass der Arbeitgeber die Arbeitnehmervertretung vor der geplanten unternehmerischen Entscheidung von sich aus zu unterrichten hat.31 Dementsprechend ist eine Unterrichtung regelmäßig dann verspätet, wenn die unternehmerische Entscheidung bereits endgültig getroffen ist.32 Zu einer umfassenden Unterrichtung gehört, dass die jeweilige Arbeitnehmervertretung alle Informationen erhält, die für eine sachgerechte Beurteilung der geplanten (Restrukturierungs-)Maßnahme und deren Auswirkungen für die Arbeitnehmer erforderlich sind.
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Die Unterrichtung erfolgt in der Regel unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen, ohne dass es insoweit eines ausdrücklichen Verlangens der Arbeitnehmervertretung bedarf.33
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Das Informationsrecht der Arbeitnehmervertretungen wird regelmäßig begrenzt durch das Recht des Arbeitgebers, die Auskunftserteilung wegen der Gefährdung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen zu verweigern.
bb) Anhörungs- und Beratungsrechte
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Anhörungs- und Beratungsrechte