Seine Worte wurden durch das plötzliche Öffnen der Zimmertür unterbrochen. Ein Wachmann kam herein. Schwer atmend erfasste er mit seinem Blick den Raum in Sekunden und wandte sich an Nicolas. Er salutierte flüchtig und sprach mit rauer Stimme: »Prinz Nicolas, im Dienstbotengang gab es ein Handgemenge. Offenbar versucht ein Eindringling sich Zugang zu den oberen Räumen zu verschaffen.«
Sofort war Nicolas hinter dem Schreibtisch aufgesprungen. Seine Kiefermuskeln spannten sich an und sein Blick verfinsterte sich. »Wo?«
Ohne eine Antwort abzuwarten, rannte er hinter dem Wachmann her. Bevor er endgültig durch die Tür verschwand, blickte er noch einmal zu Katie zurück. Seine Augen hatten ein tiefes, undurchdringliches Blau angenommen und seine Stimme eine Härte, die keinen Widerstand duldete. »Bleibt wo Ihr seid. Ich werde in Kürze zurück sein und erwarte, Euch hier vorzufinden.«
Katie zuckte erschrocken zurück. Die Bedrohlichkeit in seiner Stimme kam so überraschend, dass sie das Gefühl hatte, einen Schlag ins Gesicht zu bekommen. Für einen kurzen Moment war sie wie gelähmt und starrte auf die nun leere Türschwelle.
Ganz klar: Nicolas traute ihr keinesfalls und wollte sie auch definitiv nicht dabei haben.
KAPITEL 6
Klassische Musik drang aus dem Ballsaal ins Studierzimmer und riss Katie aus ihrer Starre.
Was sollte sie tun: Warten – Nicht warten – Warten – Nicht warten. Ihr eigenes Schicksal hing von Nicolas Geschicklichkeit ab. Wenn er es wie die letzten Male nicht schaffte, den Täter zu überführen und den Kürbis bis Mitternacht zu schützen, dann …
Es gab nur EINE Antwort: Nicht warten.
Eilig raffte Katie ihr Kleid samt Reifrock ein Stück nach oben und eilte den anderen hinterher.
Es war nicht leicht, sich im Getümmel des Foyers einen Überblick zu verschaffen. Die Wachen waren offenbar schnell unterwegs, denn weit und breit war keine Spur von ihnen oder Nicolas zu sehen. Dabei waren sie gerade erst aus dem Raum gegangen.
Fieberhaft suchte Katie die Umgebung ab. Pärchen schlenderten durch die Halle, hielten an, redeten miteinander oder begutachteten irgendwelche Gegenstände und Gemälde. Andere bahnten sich einen Weg zum Flur unter der Treppe. Ihre Bewegungen waren zu gemütlich. Nicolas Trupp konnte dort niemals vorbeigekommen sein. Ansonsten hätte unter den Leuten deutliche Unruhe geherrscht. Also mussten sie direkt aus dem Foyer durch eine der angrenzenden Türen verschwunden sein.
Katie schaute nach links. Die benachbarte Tür des Studierzimmers fiel gerade mit einem leisen »Klick« ins Schloss. Konnte es sein …
Ohne noch mehr Zeit zu verschwenden, huschte Katie darauf zu, schlüpfte hindurch und landete in einem kleinen Zimmer, das mit wenigen Stühlen, zwei schmalen Bänken und zwei Tischchen ausgestattet war. Geblendet hielt Katie inne. Das Zimmer war grün. Grasgrün. Die Wände strahlten in einem solch saftigen Ton, dass der Anblick Katie auf den ersten Blick überwältigte. Im Gegensatz zu den anderen Räumen waren Decke und Tapete prunkvoll in einem auffälligen Gold und Grün geschmückt und mit Fresken verziert. Jagdbilder und Wandteppiche mit Waldmotiven durchzogen das komplette Zimmer. Katie erkannte Kraniche und Hasen, die ihr von überall entgegenstarrten und sie glauben ließen, auf einer weiten Lichtung zu stehen. Es war schwer, den Blick von den Tierstatuen loszureißen. Dieser Raum hatte eine faszinierende und gleichzeitig einschüchternde Wirkung und das, obwohl nicht einmal jemand anderes anwesend war.
»Das ist bestimmt der Empfangsraum für Geschäftspartner … Unheimlich«, murmelte Katie und rannte auf die nächste Tür zu, die ebenfalls gerade ins Schloss fiel. Eilige Schritte waren dahinter auszumachen. Sie lief hinterher, doch wirklich schnell kam sie mit ihrem überdimensionalen Kleid nicht voran. Der Reifrock schlug gegen ihre Beine und machte ein stolperfreies Rennen fast unmöglich. Auch die Schleppe glich in keiner Weise einem Superman-Cape, sondern verursachte einen solchen Luftwiderstand, dass Katie das Gefühl hatte, einen Heißluftballon hinter sich herzuziehen.
»Himmel! So wunderschön du auch bist, ich könnte dich verfluchen. Warum hat man im 17. Jahrhundert noch keine Jeans getragen?«
Wieder ein menschenleerer Raum. Das gleiche saftige Grün, nur die Einrichtung bestand hier aus unterschiedlich großen Stühlen und einem prunkvollen Tisch. Katie brauchte einige Sekunden, um die nächste Tür in diesem »Wald« zu entdecken. Diese bewegte sich nicht. Entweder waren Nicolas und seine Wachen nicht dort hindurchgegangen oder Katie war, wie vermutet, deutlich langsamer durch ihr schweres Kleid und hatte nun den Anschluss verloren. Eine weitere Tür gab es in diesem Raum nicht. Also war sie einfach zu langsam mit diesem Monstrum von Kleid. Fluchend und schnaufend rannte Katie in den nächsten Raum und befand sich nun in einem Schlafzimmer.
»Wie viele Räume haben die denn?«
Zum Glück war das Zimmer ungenutzt. Wieder war weit und breit nichts von Nicolas zu sehen.
»Echt jetzt?! Elender Reifrock.«
Fest entschlossen zog sie am Unterrock. Erneut schlug er gegen ihre Beine und wehrte sich gegen den groben Angriff. Katies Fuß verhedderte sich im Gestänge. Wenn das Ding nicht kooperierte, dann würde es eben zurückbleiben müssen. Sie zog an dem noch vor kurzem so sorgfältig verschnürten Korsett, um sich daraus zu befreien, aber nichts rührte sich. Das Kleid schien regelrecht an ihrem Körper zu kleben und machte keine Anstalten, sie freizugeben. Vergebens zerrte Katie mit aller Kraft an dem Unterrock, als sie auch schon über die nächste Schwelle taumelte und nach oben blickte. Wie angewurzelt blieb sie stehen.
»Wahnsinn!«
Eine riesige Bibliothek mit unzähligen Bücherregalen tat sich vor ihr auf. Zwei alte Ohrensessel mit kleinen Fußschemeln und Tischchen zierten die Längsseite, durch die sie hereingekommen war. Der restliche Raum war kaum auszumachen, da sich ein Bücherregal an das nächste reihte. Dutzende gebundene Rücken säumten die dunklen Regalbretter. Goldene Schriften glänzten im flackernden Kerzenschein und strahlten wie kleine Edelsteine.
Katie blieb der Mund offen stehen. Das Studierzimmer besaß bereits eine Unmenge an Büchern, aber es war kein Vergleich hierzu.
»Was hier wohl alles stehen mag?«
Nur zu gerne hätte sie sich ein paar Schinken aus den Regalen geholt und es sich in einem der Sessel gemütlich gemacht. Die Bücher riefen förmlich nach ihr und wollten sämtliches Wissen der Menschheit preisgeben. Aber das ging beim besten Willen nicht. Bereits jetzt hatte sie den Anschluss an die anderen verloren. Wenn sie überhaupt noch etwas von dem Täter mitbekommen wollte, dann musste sie sich beeilen. Das Schlimmste war jedoch, dass sie weit und breit keine weitere Tür erkennen konnte. Vermutlich befand sie sich am anderen Ende des Raums.
So schnell es ihr Kleid zuließ, eilte Katie in das Labyrinth aus Regalen. Fein säuberlich aufgereiht, ragten sie Reihe für Reihe aus dem Boden. Ein Maislabyrinth war ein Witz dagegen. Wie massive Wände türmten sie sich im Raum auf und boten keine Chance auf Abkürzungen. Jegliche Beschriftungen, die es normalerweise in einer Bibliothek gab, fehlten. Offenbar waren die Bände nicht nach Buchstaben, sondern nach Themen sortiert. Die genaue Position und die Themengebiete kannte aber scheinbar nur der Eigentümer. Ein Hinauskommen aus dem endlos wirkenden Wirrwarr an Regalen war für das ungeübte Auge alles andere als ersichtlich. Ein Regal glich dem anderen und zu allem Überfluss waren einzelne Raumecken noch mit Kunstgegenständen und Ritterrüstungen geschmückt, die wohl zur Auflockerung dienen sollten.
Katie hatte nach kurzer Zeit das Gefühl, den Raum bereits zweimal durchquert zu haben. Aber keins der Regale kam ihr bekannt vor. Sie hielt einen Moment inne. Irgendein System musste es doch geben. Dann erkannte sie es.
Die inneren Bauten waren so angeordnet, dass immer abwechselnd ein durchgängig langes Regal auf zwei kleinere folgte, was die Möglichkeit bot, auf die andere Seite zu wechseln. Also achtete Katie darauf, möglichst viel Strecke