»Sag so etwas nicht.« Rose runzelte verärgert die Stirn. »Du siehst nicht schrecklich aus, nur … anders.«
Ich wusste nicht, was ich von der Antwort halten sollte.
»Versteh mich nicht falsch, aber es ist …«
»Du kannst ruhig sagen, dass ich … nicht mehr so toll aussehe.«
»Nein, nein! Das wollte ich ganz bestimmt nicht sagen. Und es stimmt ja auch nicht. Du siehst nicht hässlich aus oder so, eben nur … verändert.«
Als ich daraufhin bloß die Stirn runzelte, seufzte sie. »Ich weiß nicht, wie ich das erklären soll. Aber ganz sicher, Lucy, hässlich bist du bestimmt nicht. Du bist immer noch wunderschön, so wie früher. Allerdings eben mit verändertem Aussehen.«
Ich nickte langsam, während meine Gedanken erneut abdrifteten – zu dem Tag, der der schlimmste meines ganzen Lebens gewesen war. Ich dachte nicht an das, was auf der Wiese geschehen war. Den unmenschlichen Schmerz dieser Erinnerung konnte ich nicht aushalten. Ich dachte auch nicht an die Nacht danach, in der die wahre Lucy gestorben war. Nein, ich dachte an die Gedanken, die eine innere Stimme gehässig zu den Beweggründen für sein Handeln abgegeben hatte. Und ich konnte nichts dagegen tun, als Tränen in meine Augen traten und über meine Wangen liefen.
»Lucy?«
Rose wusste bestimmt, dass nur eines mich so aus der Bahn werfen konnte.
Ich schluckte schwer und versuchte, mich zu beruhigen. »Ich … ich dachte gerade nur …« Meine Stimme brach, und ich musste mit aller Macht verhindern aufzuschreien, während sich das Messer in meiner Brust genüsslich ein paar Mal im Kreis drehte.
Rose sah mich an, und ich erkannte die Unsicherheit in ihrem Blick, die mein Verhalten verursachte. Ich erkannte, dass es ihr wehtat, mich so zerstört zu sehen, und verabscheute mich dafür, ihr das anzutun. Dass ich nicht stark genug war, aus dem Trümmerhaufen zu steigen oder ihn wenigstens vor ihr zu verbergen.
»Lucy, was ist?«
Ich holte tief Luft, doch bei dem Gedanken an meine nächsten Worte traten sofort wieder Tränen in meinen Augen. »I-ich habe mich gefragt, ob … ob meine Veränderungen … ob sie … weiß nicht … Vielleicht haben sie ja anderen nicht so gefallen. Vielleicht haben sie … vielleicht haben sie ihm nicht gefallen, und dass er deswegen … dass er deswegen …« Ich wurde von heftigen Schluchzern geschüttelt, und erst durch Rose’ Arme, die sich um mich legten und mir Halt gaben, schaffte ich es, eine gewisse Selbstbeherrschung zurückzuerlangen. Ich vergrub meinen Kopf an ihrer Schulter und ließ mir von Rose über den Rücken streicheln.
Rose lehnte sich zurück und sah mich ernst an. »Also, Lucy, bevor ich anfange, mich wieder unstrukturiert über deine unangebrachten Selbstzweifel auszulassen, wo du mir doch ohnehin nie wirklich dabei zuhörst, gehen wir das Thema ganz sachlich an.«
Ich nickte leicht verwirrt.
Sie hob die Hand und begann an den Fingern aufzuzählen. »Also, Punkt eins bei unserer – na gut, meiner – Widerlegung deiner These ist, dass Atlas bis zu dem genannten Tag, deinen Worten nach, nicht einmal ansatzweise etwas gesagt oder getan hat, was darauf hätte hindeuten können, dass es zwischen euch aus sein könnte. Hätte er schon länger darüber nachgedacht, sich von dir zu trennen aufgrund deiner angeblichen Hässlichkeit, hättest du es bestimmt bemerkt. Es hätte einen Streit gegeben, er hätte sich von dir distanziert, etwas in der Art. Aber du hast erzählt, dass es so nicht gewesen ist. Ein Argument dafür, dass er dich nicht hässlich fand.«
Ich nickte. Es hatte wirklich keine Anzeichen für ein so abruptes Ende gegeben, also lag es vielleicht gar nicht an meinem Äußeren, sondern es war so, wie er gesagt hatte. Dass wir seiner Meinung nach nicht wirklich zusammenpassten, dass er einfach erst zu diesem Zeitpunkt bemerkt hatte, dass er mich nicht wollte. Dass ich nicht diejenige war, die er wollte. Und darin konnte ich ihm nicht widersprechen. Ich hatte mich doch eigentlich immer wieder selbst darüber gewundert, wie es sein konnte, dass er mich zu mögen schien, ja, dass dieses Unmögliche offenbar doch möglich war. Ich selbst wusste schließlich am besten, wie ich war, was für eine Last ich war.
»Der nächste Punkt«, streckte Rose den Zeigefinger hoch, »und das ist der logischste für mich, du hast eindeutig die Reihenfolge der Geschehnisse nicht beachtet. Sie spielt aber durchaus eine Rolle. Nämlich deshalb, weil deine Haare und Augenfarbe sich verändert haben, als James noch dabei war, das hast du zumindest erzählt. Daraus folgt, dass Atlas überhaupt erst mit dir zusammenkam, nachdem du dich schon so verändert hattest. Warum hätte er das tun sollen, wenn er dich so nicht schön gefunden hätte? Vielleicht aus Spaß? Doch dann wäre er niemals ein ganzes Jahr mit dir zusammen gewesen, oder?«
»Aber wenn ihm erst nach und nach aufgefallen ist, dass er mich doch nicht so … schön findet? Wenn er sich gedacht hat, dass er es versucht, auch wenn ich keine goldenen Augen und blonde Haare mehr habe, und erst später merkte, dass es ohne das nicht … funktioniert?« Ich wusste, dass ich mich immer weiter hineinsteigerte, doch ich schaffte es einfach nicht, aufzuhören, mich in meinem eigenen Unglück zu suhlen.
Rose seufzte. »Lucy, hörst du dich eigentlich selbst reden? Was du sagst, ist der größte Schrott, den ich gehört habe, seit Tyler das letzte Mal den Mund zugemacht hat. Wirklich, ich kenne Atlas schon sehr, sehr lange und so oberflächlich, wie er sein müsste, wenn deine Überlegungen stimmen würden, ist er auf keinen Fall. Was wäre er bitte für einer, wenn er nur aufgrund deines Aussehens mit dir zusammen gewesen wäre? Das ist doch der verrückteste Gedanke, den ich je gehört habe. Nicht einmal James würde so etwas tun. Und wie gesagt, Atlas ist vieles, aber nicht oberflächlich.«
Sie sah mich ernst an, und ich war ihr schrecklich dankbar dafür, dass sie sich so um mich bemühte, auch wenn ich es doch eigentlich nicht verdient hatte.
»Lucy?«
»Hm?« Ich tauchte aus meinen Gedanken auf.
»Darf ich … darf ich ehrlich meine Meinung darüber sagen, was ich von dem Ereignis, dessen Beweggründe wir eben erörtert haben, denke?«
»Klar.« Überrascht musterte ich sie. »Ich möchte immer deine ehrliche Meinung zu allem hören. Da gibt es keine Einschränkungen.«
»Na gut.« Rose überlegte kurz. »Kann … kann ich davor noch kurz ein paar Fragen stellen, damit klar ist, dass ich nichts falsch verstanden habe?«
Ich nickte.
»Auch wenn … also … ich meine, vielleicht könnte dir die Erinnerung wehtun.«
Ich nickte tapfer. Jetzt hatte ich mich besser im Griff, und mit Rose’ Vorwarnung konnte ich zusätzlich noch rasch eine schützende Mauer um mich bauen. »Frag mich, was du willst.«
»In Ordnung. Es ist nur zur Absicherung und geht ganz schnell.« Rose dachte einen Augenblick nach. »Er hat dich in London geküsst und danach gesagt, es hätte nichts zu bedeuten?«
»Ja.«
»Und erst, als James verschwunden war, hat er sich dir genähert und dich erneut geküsst?«
»Ja.«
»Dann wart ihr ein ganzes – mehr als ein ganzes – Jahr zusammen?«
»Ja.«
»Und du hast eigentlich die ganze Zeit gedacht, dass er dich wirklich liebt?«
Ich schauderte. »Ja.« War ich nur blind gewesen? Hatte ich so sehr darauf gehofft, dass ich nicht bemerkt hatte, dass es nicht echt gewesen war?
»Und aus heiterem Himmel hat er es dann in der Schleife der Nuvola beendet, direkt nach der besonderen Nacht?«
»Ja.«
Rose biss sich auf die Lippe und versuchte offensichtlich, irgendeine