Chicago Affair. Niko Arendt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Niko Arendt
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742754493
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nahm die Sonnenbrille ab. Sachte ergriff er Seans Hand, nachdem er die zwei Bierflaschen auf einer kleinen Kommode abgestellt hatte, und führte ihn zurück ins Innere. Überrascht von dieser zärtlichen, fast mädchenhaften Geste, ließ Sean sich ohne Proteste mitführen.

      „Ich bin ein furchtbarer Gastgeber. Nicht einmal das Haus habe ich dir gezeigt“, erkannte Bourdain und zeigte ihm stolz sein Eigentum.

      Keiner der beiden bemerkte, dass Holden die ganze Zeit über Seans Hand hielt und ihn daran, wie ein kleines Kind durch die Räume führte. Ein Zimmer war eindrucksvoller, als das andere. Mit offenem Mund und großen Augen sah Sean sich um. Beeindruckt von der stilvollen Einrichtung, die zwar modern, aber weder langweilig, noch aufdringlich avantgardistisch war.

      Die letzte Station seiner Führung war der Keller. Offensichtlich hatte Holden sich das Beste zum Schluss aufgespart. Es war ein richtiges Männerzimmer. Mitten im Raum stand ein edler Billardtisch. Rot gepolsterte Sitzmöbel zogen sich von einer Ecke bis zur anderen die Wand entlang und boten genug Platz für eine ganze Fußballmannschaft. Eine Jukebox gegenüber von der Tür setzte sich in schwachem, roten Licht gekonnt in Szene, genauso wie die Bar. Das Vintagefeeling vervollständigten gerahmte Bilder, die Schwarz-Weiß Fotos berühmter Persönlichkeiten der 50er Jahre zeigten James Dean, Elvis Presley, Johnny Cash. Die Wand bestand aus echtem Ziegelstein und stand optisch der Einrichtung in nichts nach. Mit offenem Mund starrte Sean in das Zimmer. Es gefiel ihm. Sofort.

      „Wow“, staunte er. „Wenn du mich beeindrucken wolltest, dann hast du es jetzt geschafft.“

      So würde das perfekte Spielzimmer in seiner Vorstellung aussehen. Wenn die Minibar neben der Tür mehr als alkoholfreies Bier enthielt, dann wäre das Bild vollkommen. Sean liebte Billard. Über beide Ohren strahlend drehte er sich zu Holden um, der die Jukebox anwarf. Holden streckte ihm einen Billardqueue entgegen, anschließend nahm er selbst einen.

      „Lust auf ein Spiel?“, fragte sein Chef mit Unschuldslächeln auf den Lippen, was bei Sean einen Fluchtreflex auslöste. Der hatte doch was vor. Trotzdem nahm Sean den Spielstock an. Im Hintergrund setzte Elvis Presleys ,Little less conversation‘ an. Der Song war Hinweis genug.

      „Ich wusste gar nicht, dass du auf den King stehst.“

      „Jeder mit gutem Geschmack steht auf ihn.“ Mit einem Zwinkern warf Holden ihm die Kreide zu.

      „Lange her, seit ich so was zuletzt in der Hand gehalten habe.“ Ein nostalgischer Schimmer bedeckte Seans Augen und belegte seine Stimme. Vorsichtig strich er mit den Fingern über die Pomeranze, die noch mit kleinen Kreideresten überzogen war. Er strich tiefer über die Ferrule aus Elfenbein und über den wunderschönen gemusterten Zierring. Der Joint trug schwarz-weiße Musterungen und bestand aus poliertem Stahl. Perfekt ausbalanciert lag der Queue in seiner offenen Handfläche.

      „Ein schönes Stück“, nickte er anerkennend, nachdem er sich sattgesehen hatte.

      „Krieg bloß keinen Steifen.“

      Sean verdrehte die Augen. Diese Anspielungen waren unter seiner Würde. „Wollen wir spielen? Oder nur quatschen?“

      Beide beobachteten sich gegenseitig, während sie die Kreidewürfel mit kurzen Strichen über die Pomeranze führten. Dabei sahen sie aus, wie zwei sich duellierende Cowboys. Ihnen fehlte nur die rauchende Zigarre zwischen den Zähnen. Das Spiel konnte beginnen.

      Bourdain hatte die Zeit und vor allem die Mittel, um zu üben. Selbstverständlich gewann er. Sean hatte trotz seiner Hingabe zum Spiel keine Chance, nur seiner Zeit auf dem College war es zu verdanken, dass er nicht absolut vernichtend geschlagen wurde. Er machte es Holden nicht leicht. Obwohl er kein schlechter Verlierer war, dämpfte die zweite Niederlage seine Laune sichtlich.

      Wahrscheinlich war es nicht einmal, weil Bourdain gewann, sondern weil Sean wehmütig daran zurückerinnert wurde, was er verloren hatte. An diesem einen Tag. Er war ein begeisterter Billardspieler gewesen, hatte sogar Turniere bestritten, wenige, aber er war erst am Anfang. Aber das hatte keine Bedeutung mehr gehabt und Sean bedauerte das jetzt. Jetzt, wo das Kribbeln zurückkehrte, die freudige Erregung, wenn er den Queue in der Hand hielt oder die Kugel anstieß.

      In der ersten Runde hatte Bourdain den Rack aufgebaut. Den Break hatte Sean gemacht. Für die zweite Runde tauschten sie. Es blieben nur wenige Kugeln übrig und Sean tat sich schwer damit. Er legte den Queue an. Senkte seinen Oberkörper, schob das Gesäß nach hinten und stieß zu. Bevor der Queue die Kugel traf, erkannte er bereits seinen Fehler.

      Seufzend ließ er die Schultern wie verkochte Spaghetti herunterhängen. Holden nahm den Ball, der gerade noch an dem Bandenspiegel abgeprallt war, in die Hand und legte ihn dorthin zurück, wo er gelegen hatte, bevor Sean zugestoßen hatte.

      „Versuch es noch mal“, forderte Holden seinen geschlagenen Spielgefährten auf. Unentschlossen sah Sean ihn an, trat aber wieder an den Tisch heran. Sobald er sich vorbeugte, spürte er den Körper des anderen Mannes dicht an dem seinen. Erschrocken zuckte er zusammen und wollte sich aufrichten, als Holden ihn davon abhielt.

      „Nicht so schüchtern“, flüsterte er ihm ins Ohr und legte seine Hände über Seans. Hüfte und Brust pressten sich sehr nah an dessen Körper. Auf der Schulter von Seans ausgestrecktem Arm bettete Holden sein Kinn. Ganz so, als ob dieser enge Körperkontakt zu seinem Mitarbeiter das Natürlichste der Welt wäre. Holdens Duft umgab ihn und vernebelte seine Sinne. Sean dachte an den Geruch, der ihn am Morgen geweckt hatte. Sein Adamsapfel hüpfte nervös auf und ab, als er schluckte.

      Sean bereute es seinen Kopf gedreht zu haben, um über die Schulter zu blicken, denn Bourdain war ihm so nah, dass sich ihre Nasenspitzen berührten. Sofort bildete sich eine Gänsehaut auf seinen Unterarmen und ein Kribbeln breitete sich in seinem Magen aus. Ob er das angenehm fand oder nicht, konnte er in dem Moment nicht festlegen. Er war nicht dumm und wusste, worauf Bourdain anspielte. Wohin es führen könnte. Aber er redete sich ein, dass es so weit nicht kommen musste.

      „Konzentrier dich nicht auf meinen Körper, sondern auf das Spiel“, flüsterte Holden und holte den Blonden aus seinen Fantasien. Sean nickte schwach und fixierte wieder den Ball.

      „So schlecht gespielt, hast du noch nie“, sagte er heißer an seinem Ohr, sodass Seans Herz wie wild zu schlagen begann. Seine Gedanken verloren sich. Er fand die Aussage merkwürdig. Als ob Bourdain ihn bereist spielen gesehen hatte. Andererseits war es schwierig zu filtern, was er tatsächlich damit meinte. Sean fiel es schwer Holden einzuschätzen.

      Unerwartete kam der Schlag, der Sean wiederholt zusammenzucken ließ. Er kam sich dämlich vor. Gleichzeitig durchflutete ihn das Hochgefühl, als die Kugel ins Loch ging. Auf seinem Gesicht zeichnete sich ein kindliches Lächeln ab. Das waren Momente, die er am Billard so liebte. Wenn die Kugel durch einen präzisen Schlag berechnet eingelocht wurde.

      Lange währte die Freude nicht. Nervös versuchte er sich der Umarmung, in der er sich unfreiwillig mit seinem Chef befand, zu entziehen. Holden hatte nicht die Absicht ihn so schnell freizugeben.

      „Entspann dich.“ Sean spürte die Vibration der Lippen an seiner Ohrmuschel und ein Nerv in seinem Rücken löste einen unnatürlichen Reflex in seinem Bein aus. „Dir gebührt noch eine Strafe für die Frechheit vorhin.“

      In jenem Moment wünschte Sean sich inbrünstig, mehr als nur alkoholfreies Bier im Organismus zu haben. Etwas, dass seine Sinne betäubte. So wie gestern vielleicht.

      Vielleicht hatte er genau das auch schon gestern getan. Sean wurde blass, wenn er an die Nacht dachte. Die Lücke in seinem Gedächtnis war Fluch und Segen zugleich.

      Bourdain ließ seine Zunge über Seans Kieferknochen und dann über sein Ohr gleiten. Mehrere Schauer jagten Seans Wirbelsäule hinunter, elektrisierend und feurig. Unangenehm waberte die Hitze in seinem Kopf. Die Situation wendete sich nicht zu seinen Gunsten, als Sean sich in einer ruckartigen Bewegung umdrehte.

      Holden zuckte nicht einmal mit der Wimper, während er sein ganzes Gewicht in Seans Körper presste, sodass dieser mit durchgebogenem Rücken und schwitzenden Handflächen am Billardtisch festhing. Wenige unbedeutende Millimeter