Inzwischen hatte Jesse ihre Fressorgie beendet und erinnerte sich, dass sie ein paar wichtige Fragen an Bourdain hatte, die durch ihr Gespräch mit Sean aufgekommen waren. Puderzucker klebte an ihrer Wange, als sie ihre Aufmerksamkeit vom leeren Karton auf die beiden Männer richtete.
„Sag mal, Holden, seit wann knetest du denn Heten?“
Sean verschluckte sich an seinem Orangensaft. Unkontrolliert hustete er, sodass ihm Tränen in die Augen schossen und Bourdain ihm ein paar kräftige Klopfer auf den Rücken verpasste.
„Und seit wann ist Sex am Arbeitsplatz kein No-Go mehr?“, fragte Jesse ungeniert weiter, bevor sie eine Antwort bekommen hatte.
„Wir hatten keinen Sex am Arbeitsplatz“, gab Bourdain unberührt zurück, dann grinste er und legte Sean die Hand auf den Oberschenkel, sodass dieser zusammenzuckte. „Noch nicht.“
„Habt ihr es denn letzte Nacht getan?“, fragte Jesse und platzte fast vor Neugier. Sie spitzte die Ohren und schürzte amüsiert die Lippen, als sie dem Brünetten einen neugierigen Blick zuwarf.
„Ein paar Geheimnisse sollte man auch für sich behalten können“, erwiderte Bourdain.
„Du verdammter Fuchs.“ Jesse boxte ihn spielerisch mit der Faust in den Oberarm. „Gib mir wenigstens irgendetwas, damit ich mich ein wenig besser fühle.“
Das tat er. Und er zog eine unglaubliche Show ab. Auf Seans Kosten natürlich. Holden beugte sich vor und küsste ihn leidenschaftlich auf die Lippen. Ohne Gegenwehr gewährte Sean ihm diesen Moment. Vielleicht weil es ungebetene Zuschauer gab. Er wusste es nicht.
Hungrig strich Bourdains Zunge über seine Lippen. Ohne Schamgefühle, die er wegen der beiden weiblichen Zuschauer gehabt haben könnte. Fordernd bewegten sich Bourdains Lippen unter Seans, der dessen Hände zuerst an seinen Oberschenkel und dann zu weit oben verspürte. Sein natürlicher Fluchtreflex führte dazu, dass Sean den Teller vor sich mit dem Ellenbogen umstieß, als er sich immer weiter nach hinten lehnte. Scheppernd zerbarst das Keramik auf dem Fußboden.
Dann verlor Sean das Gleichgewicht. Verzweifelt griffen seine Hände nach dem Erstbesten, das sie erreichen konnten. Und das war Bourdains Hemd. Allerdings war die Schwerkraft größer und so riss er sie beide zu Boden. Dumpf kollidierten ihre Körper mit dem Fußboden.
„Können Sie nicht einmal wie ein normaler Mensch sitzen, Mr. Grandy? Ich hole den Handfeger“, grunzte Ivy.
„Eins muss man euch lassen. Immerhin habt ihr zwei Leidenschaft.“ Jesse krümmte sich vor Lachen. Sean grunzte. Vom Gewicht des anderen Mannes ächzte sein Rückgrat und sein Bein hatte sich schmerzhaft im Stuhl verkeilt.
„Vielleicht willst du mich auch noch gleich vor ihren Augen ausziehen?“, stöhnte Sean unter Bourdains Körper, der sich ein wenig hochgerappelt hatte.
„Vorsicht, ich könnte das als Aufforderung auffassen“, raunte er und Sean musste zugeben, dass er fasziniert in das tiefe Blau von Holdens Augen starrte. Sein Haar fiel seitlich herunter und streichelte Seans Wangen, während sich ihre Lippen gefährlich nahe waren. Im Bruchteil einer Sekunde war der Moment vorbei und Bourdain hatte sich in einer eleganten fließenden Bewegung von ihm abgerollt. Während Sean sich einem gebrechlichen, alten Mann gleich vom Boden aufraffte, richtete Bourdain sein zerknautschtes Äußeres.
„Wegen mir hättet ihr nicht aufhören müssen. Ich habe kein Privatleben und deswegen ist eures umso pikanter.“ Wieder knabberte Jesse an einem Schokotörtchen. Sean wunderte sich, dass ihr noch nicht schlecht von dem vielen Zucker war. „Du bist offensichtlich unglücklich verheiratet. Und betrügst deine Liebste mit deinem Boss. Einem Mann.“ Sie wies zuerst auf Sean, dann auf Bourdain. „Und du nötigst deinen Mitarbeiter zu sexuellen Handlungen. Durch eine Drohung? Ist eigentlich nur mein Leben so eintönig und langweilig?“ Bedrückt ließ sie das ganze Törtchen mitsamt Schokoladenguss in ihrem Mund verschwinden.
„Du siehst zu viele Telenovelas, Jesse. Wird Zeit, dass du auch jemanden bedrohst, damit dieser seine Frau für dich betrügt“, witzelte Bourdain.
Ihre ungezwungene Art miteinander umzugehen, war erfrischend. „Wer sind Sie?“, fragte Sean und sprach laut einen Gedanken aus, den er schon die ganze Zeit hegte. Bourdains Schwester womöglich? Aber die Ähnlichkeit war nicht gerade überragend, außer die beiden hatten nicht dieselbe Mutter. Und auch nicht denselben Vater.
„Ich bin sein Personal Trainer. Der kleine Quälgeist, der ihn jeden Morgen mit einem Arschtritt aus dem Bett holt“, johlte Jesse fröhlich. Sie grinste. „Heute habe ich es aber nicht über mich gebracht, als ich euch beide so eng umschlungen liegen gesehen hab. Nackt.“ Sie betonte das letzte Wort mit verschwörerischer Stimme. Sean vergrub das Gesicht in seinen Händen. Das durfte alles nicht wahr sein, oder?
„Hast du noch Kopfschmerzen?“, fragte Bourdain mit sanfter Fürsorge in der Stimme.
„Sie sind anwesend und beehren mich, solange ich mich nicht an gestern Nacht erinnern kann.“
„Ich habe die Befürchtung, sie könnten sich verstärken, wenn du es erfährst“, prophezeite Bourdain und lehnte sich unnötig nah zu ihm heran um ihm ins Ohr zu flüstern. „Du bist so sensibel. Dein Körper ist Butter unter meinen Händen.“
Geschirr klirrte neben ihm, doch Sean wollte nicht nachsehen, was er dieses Mal umgeschmissen hatte. Ivys brennender Blick in seinem Nacken reichte dafür vollkommen aus. Sie war gerade mit Handfeger und Schaufel in den Wohnraum zurückgekehrt. Aus dem Augenwinkel sah er sie die Hände in die Hüfte stemmen.
„Verschwinden Sie aus meiner Küche, bevor ich Sie mit dem Löffel verdresche.“ Bourdain lachte leise über ihre Worte. „Das gilt für euch beide“, knurrte Ivy ihn an.
Sie scheuchte sie beide weg. Zumindest von allem Zerbrechlichem in ihrer Nähe.
„Du solltest etwas Sonne tanken. Du siehst blass aus“, sagte Holden und strich aus einem Reflex heraus über Seans Schläfe.
Der Blonde hatte die Hände vor der Brust verschränkt und versuchte sich nicht zu bewegen, solange Ivy ihn fixierte.
„Und, was schlägst du vor?“
Kapitel 8
Das in klarem Azur schimmernde Poolwasser weckte in Holden den Wunsch, sich auf einem Boot mitten im Ozean zu befinden. Dabei dachte er an seine Yacht am Monroe Harbor. Wie gerne wäre er jetzt auf seiner Princess 98 MY. Gedankenverloren sah er in den wolkenlosen Himmel. Vielleicht später. Chicagos Wetter war trügerisch. Der stetige Wind hatte die Stadt fest im Griff und schnell konnte eine dichte Wolkenwand auftauchen.
Hinter ihm hörte er Schritte, dann nahm er eine Bewegung wahr. Die Hände lässig in den Hosentaschen versunken, stellte Sean sich neben ihn. Ein entspanntes Lächeln zierte seine Lippen, während er die Augenlider schloss und die Wärme der frühen Morgensonne auf seinem Gesicht genoss. Dabei sah er aus, wie ein kleiner Junge, fand Bourdain. Dem Ladegerät einer Batterie gleich tankte sein Körper Sonnenstrahlen.
Zum wiederholten Mal ertappte Holden sich dabei, den anderen intensiv zu betrachten. Langsam wurde es zu einer lästigen Gewohnheit, die ihn zu ärgern begann. Das schien Sean nicht aufzufallen oder er überspielte diese Tatsache gekonnt. Widerwillig wandte Bourdain den Blick ab und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Du meinst das also wörtlich“, stellte Sean fest.
„Wieso dieses spitzbübische Lächeln?“, fragte Bourdain. Als wollte ihn sein Körper zu etwas auffordern, begannen seine Fingerkuppen zu kribbeln.
Sean zuckte mit den Schultern. Nach kurzem Zögern antwortete er: „Ich werde einfach nicht schlau aus dir.“
„Und das ist ein Grund zum Grinsen?“
„Ja.“ Intensiv ruhte Seans Blick auf Holdens Gesicht, den dieser nicht so recht deuten konnte. „Mit dir wird es nie langweilig, was?“
„Das