Ein selbstgefälliges Grinsen breitet sich über sein erhitztes Antlitz aus und seine goldenen Augen funkeln mich belustigt an.
„Das möchte ich hoffen … dann geh jetzt und ruhe dich aus! Die anderen sollen sich ein Beispiel an dir nehmen!“, befiehlt er streng und der warnende Unterton in seiner Stimme ist mir nicht entgangen. Eilig und etwas wankend bahne ich mir meinen Weg zurück zur Tür und verlasse den Saal. Müde und ausgelaugt lehne ich mich kurz gegen die kühle Wand. Der Drang, meine Augen zu schließen, ist fast übermächtig. Ich muss mich beeilen und in mein Zimmer gelangen, bevor ich noch im Flur einschlafe. Mühevoll taste ich mich stützend mit der linken Hand an der tapezierten Wand entlang und während ich das tue, sehne ich mich mehr denn je nach sanften Streicheleinheiten, Milch und seiner beruhigenden Stimme. Ich versuche, die aufkeimenden Gedanken und Erinnerungen abzuschütteln, doch diese setzen sich mit jedem Versuch tiefer in mir fest wie ein Virus. Auch als ich den privaten Bereich unseres Herrn verlasse und durch die große Empfangshalle taumle, hinter mir Moritz mit seinen treuen Anhängseln, die hitzig auf mich einreden, kann ich nur an seine zärtlichen Hände denken und an das warme Gefühl, das sie mir vermittelt haben. Auch als ich endlich mein Zimmer betrete und mich auf mein großes Bett lege, kreisen meine Gedanken nur noch um Mick, Mick und nochmals Mick …
Kapitel 9
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Mein Atem überschlägt sich, während ich gehetzt zwischen den schmalen Gassen hin und her sprinte. Ich riskiere keinen Blick nach hinten, denn das könnte mich verlangsamen und außerdem ist es ohnehin nicht nötig, nämlich die Schritte dicht hinter mir peitschen durch die Gassen wie Donnerhallen und lassen keinen Zweifel darüber, dass sie mir dicht auf den Fersen sind. Mein Herz schlägt panisch und schmerzend gegen meinen Körper, auf der Suche nach einem Ausweg. Sie sind mir viel zu nah. So kann ich sie unmöglich abschütteln. Diese verdammten Anwärter des Lichts! Doch ich gebe nicht auf! Noch tragen mich meine vier Pfoten.
Im letzten Moment sichte ich das wässrige Schlagloch vor mir und springe flink darüber. Meine Verfolgerinnen scheinen nicht so viel Glück zu haben, wie das dumpfe Aufschlagen ihrer Körper auf dem harten Asphalt verkündet. Ich höre hinter mir lautes Fluchen, jedoch lässt die Zweite sich nicht davon beirren und verfolgt mich weiterhin. Ich spüre, wie sich Schweiß auf meinem Fell bildet und herabrinnt. Schnell biege ich die nächste Kurve ein, doch auch die Frau nimmt dieses Hindernis mit Bravour und bleibt dicht hinter mir. Lange halte ich das nicht mehr durch. Hektisch blicke ich mich um und erspähe die Anlage der Blechbarraken, die sich über die trostlose Landschaft erstreckt wie ein riesiger Abfallberg. Zielstrebig renne ich darauf zu.
Die Hütten sind so durcheinander und unübersichtlich gestreut, dass es mir vielleicht gelingt, sie abzuhängen oder zumindest einen größeren Abstand zu gewinnen. Der schlammige Boden ist durch den Regen aufgeweicht, dass ich fast das Gleichgewicht verliere. Meine Tatzen fühlen sich taub und schwer an, als hätte jemand Gewichte an ihnen befestigt, um mich in die Tiefen der verrotteten Erde zu ziehen.
Ich höre das schwere Schnaufen der Anwärterin, welches mich zusätzlich anspornt, meine letzten Kraftreserven aufzubrauchen. Meine gesamte Konzentration stecke ich in meinen Sprint und schalte meine anderen Sinne aus. Außer mir und dem schlammigen Weg mit den zahlreichen Hindernissen existiert in diesen Moment nichts. Erst als ich das Ende der schäbigen Unterkünfte hinter mir gelassen habe, komme ich zur Ruhe und drehe mich um. Von meiner hartnäckigen Verfolgerin keine Spur. Mein ganzer Körper ist angespannt und wird von der feurigen Hitze, der soeben veranstalteten Hetzjagd, durchflutet. Meine Augen kreisen suchend und lauernd umher, während mein bebender Leib gierig nach Atem ringt. Ich versuche zu lauschen, jedoch scheint mein überlauter Herzschlag alle Geräusche zu übertönen.
Bin ich wirklich in Sicherheit? Habe ich es tatsächlich geschafft? Ich verharre noch einen Augenblick, dann entscheide ich, dass es besser ist, hier nicht länger zu verweilen. So sehr meine Pfoten bei jeder erneuten Berührung des Bodens vor Schmerz pochen, zwinge ich mich dennoch weiter, um von hier schleunigst zu verschwinden. Micks Wohnung ist ganz in der Nähe. Wenn ich diese erreiche, kann ich mich ausruhen, denn sein Fenster wird bestimmt wieder sperrangelweit offenstehen.
Beflügelt von dem aufkeimenden Gedanken und der Verheißung auf etwas zu trinken und Ruhe, schlängle ich mich durch die dunklen Straßen zu der vertrauten Wohnung entlang. Wie ich es mir bereits dachte, ist das Fenster zum Balkon auf. Gekonnt bahne ich mir meinen Weg dorthin hinauf und springe in die Wohnung. Gerade in diesem Augenblick betritt er das Zimmer. Seine hellgrünen Augen weiten sich vor Freude und er schenkt mir wieder das schönste Lächeln, das nur er zustande bringen kann. Meine gesamte Anspannung fällt in diesem Moment von mir ab und ich atme erleichtert aus. Ich bin in Sicherheit.
Als könnte er meine Gedanken lesen, stellt er mir in der Küche Milch zum Trinken hin und wartet geduldig, bis ich die Schale leer habe. Dann verfrachtet er das Gefäß in die Spüle und führt mich zurück in den schlichten Wohnraum, wo wir uns beide auf der Couch niederlassen. Er nimmt mich vorsichtig auf seinen Schoß, und ich habe nichts dagegen, als seine sanften Hände anfangen, mein schwarzes Fell zu streicheln. Genüsslich strecke ich mich seinen zarten Händen entgegen und kann nicht verhindern, dass ich beginne zu schnurren. Ich erschrecke kurz vor meiner ungewollten Reaktion, doch ein sanfter Blick genügt, um meine Zweifel mit einem Wisch zu vertreiben. Solange ich nur in diese herrlich strahlenden Augen blicken kann, darf er alles tun. Von mir aus sogar ein Halsband anlegen. Solange es nur seine samtweichen Hände tun …
„Verdammt!“, wütend schleudere ich mein Kissen gegen die grau plattierte Steinmauer meines Zimmers. Dies war nun schon der dritte Traum von Mick an diesem endlos erscheinenden Tag. Die letzten drei Tage zuvor war es auch nicht besser gewesen. Mein Körper schreit geradezu nach erholsamen Schlaf, wieso mag das einfach nicht gelingen?!
Meine Hände zittern, als ich meinen Kopf in ihnen vergrabe. So wird das nie etwas. Wann hört das endlich auf? Wo kommen auf einmal diese verfluchten und immer wiederkehrenden Träume her? Ich fahre mir durch mein müdes Gesicht und reibe meine brennenden Augen. Wie ein unerbittlicher Fluch, hartnäckig und an den Kräften zerrend.
Genervt stehe ich auf, denn ich habe keine Lust, ein weiteres Mal einzuschlafen und einem solch erniedrigenden Traum zu erliegen. Wie ist so etwas möglich? Was hat er mit mir gemacht? Das ist doch sonst nicht meine Art! So beschissen ging es mir noch nie. Meine Gedanken fahren Achterbahn, ohne dass ich in der Lage bin, die Notbremse zu ziehen! Wie kann mich ein dummer Mensch nur so verwirren? Was bildet sich dieses niedere Wesen nur ein?!
Aufgewühlt laufe ich in meinem kleinen Zimmer auf und ab, fahre mir immer wieder durch meine zerzausten Haare. Ich versuche, mich zu beruhigen, meinen donnernden Puls zu bändigen, doch andauernd taucht sein lächelndes Gesicht vor mir auf, seine strahlend grünen Augen, in denen eine tiefe Traurigkeit versteckt liegt, und ich erinnere mich abermals an die Wärme seiner Haut und seiner sanften Hände.
Verzweifelt schlage ich gegen die kalte Zimmerwand. Ich weiß einfach nicht mehr weiter. Es kann nicht sein, dass meine Arbeit darunter leidet. Zugegebenermaßen hatte ich die letzten drei Tage Glück und konnte meinen Standard halten, aber wenn der Schlafmangel und die zermürbende Unkonzentriertheit so weitergehen …
Unentschlossen sehe ich mich im Raum um und zum ersten Mal fällt mir auf, wie leer und ungemütlich mein Zimmer ist. Ich drehe mich zu meinem Einzelbett um, die frisch bezogene Decke liegt zerknüllt und lieblos oben drauf und bietet einen trostlosen Anblick meines verlorenen Kampfes. Erneut spüre ich die Wut in mir aufsteigen. Ich hasse Dinge, die ich nicht kontrollieren kann, Situationen, die mir entgleiten. Angewidert von meiner Hilflosigkeit wende ich mich von meinem Bett ab und drehe mich nach rechts, wo mein schmaler Kleiderschrank aus Buche steht. Was soll ich jetzt nur tun? Das Ganze ist so verfahren, so verwirrend, so erschöpfend.
Wieder beginne ich, durch mein kleines Schlafzimmer zu laufen und mein Blick schweift zu meinem kahlen Schreibtisch, den ich noch kein einziges Mal benutzt habe. Wozu auch? Abermals drängen sich Gedanken von Mick in meinen Kopf, wie er bäuchlings auf seinem Balkon liegt, den Blick hingebungsvoll und tief in seinen Blättern vergraben.
Verdammt! Nicht schon wieder! Ist das eine Krankheit?