„Jeanette Köhler. Sie kennen Sie. Meine Mutter hat meinen Vater in der Leichenhalle in Trier identifiziert. Sie hätten ihr das ersparen können.“
Overbeck überging den Vorwurf. „Ihr Vater war Jörg Dellmann!“ Das war eine Überraschung. Alles, was den jungen Mann betraf, ergab nun einen Sinn. Er wollte sich im Tod mit seinem Vater versöhnen. Blut ist eben dicker als Wasser. Overbeck tat es plötzlich leid, Köhler so angegangen zu haben.
„Sie sagten, Sie haben Ihren Vater aus Ihrem Gedächtnis gestrichen? Aber Sie wollten an den Ort, an dem …“
„Ich weiß, was er getan hat, was er und seine Kumpane vor 18 Jahren getan haben. Ich habe mich für ihn geschämt. Für ihn, meine Mutter und für mich. Wissen Sie, was es bedeutet, einen Mörder zum Vater zu haben?“
„Dennoch haben Sie die Stelle aufgesucht … den Ort, wo ihr Vater … starb.“
Köhler schwieg. Alle schwiegen für einen Moment.
„Wann haben Sie von seiner Tat erfahren?“ brach Leni schließlich das betretene Schweigen.
„Mein Vater verließ meine Mutter bereits, als sie mit mir schwanger war. Drei Jahre später passierte das dort oben.“ Köhler machte eine Kopfbewegung in die Richtung, von der er glaubte, dass dort das Haus der damaligen Familie Thompson war. Erst als ich 18 wurde, hat mir meine Mutter von meinem Vater erzählt. Es war ein Jahr vor seiner Entlassung aus dem Knast.“
„Haben Sie ihn danach getroffen?“
„Nein, ich konnte nicht. Ich hätte nicht in seine Augen sehen können.“
„Aber er war ihr Vater.“
„Ja, nachdem man ihn … ermordet hatte, machte ich mir Vorwürfe, nicht einmal mit ihm gesprochen zu haben.“ Köhler sah unter sich und sein Körper zuckte leicht.
„Dann wollten Sie zumindest die Stelle sehen, an der er sein Leben lassen musste?“
„Ja, und als dann die Polizisten auf das Haus zu stürmten, habe ich keinen anderen Ausweg gewusst, als mich im Inneren zu verstecken.“
Overbeck, der sich inzwischen wieder auf seinem Stuhl niedergelassen hatte, stand erneut auf. „Sie können gehen. Aber halten Sie sich zu unserer Verfügung.“
Köhler nickte. „Ich bin in meiner Wohnung in Trier zu erreichen“, sagte er.
„Kennen Sie die … Kumpane Ihres Vaters, die damals an der Tat beteiligt waren?“, wollte Leni wissen. Sie wusste, dass ihre Frage unnötig war.
„Ich kenne ihre Namen. In der Zeitung wurde nach ihrer Haftentlassung berichtet. Aber sie interessieren mich nicht. Mich interessiert nur der Mörder meines Vaters.“
Kapitel 25
Rainer Balthoffs Blick war starr auf die Aufmacherseite des Koblenzer Anzeigers gerichtet, den er zwischen seinen Fingern hielt. Die Buchstaben begannen urplötzlich vor seinen Augen zu tanzen. Was er dort las, trieb ihm das Klopfen seines Herzens bis ins Gehirn.
DER BASEBALL-MÖRDER SCHLÄGT ERNEUT ZU,
diese Schlagzeile fesselt seinen Blick.
Die Gedanken und Erinnerungen, die er lange vergraben glaubte, wühlten sich durch die Windungen seines Gehirns in den Vordergrund und formten sich zu nahezu greifbaren Bildern. Das Haus am Rande der Stadt, der amerikanische Soldat, die Frau. All das sah er vor sich, als sei es gestern gewesen. Und doch waren nahezu zwei Jahrzehnte vergangen.
Dieser Mord, über den in der Zeitung berichtet wurde wie auch über jenen vor wenigen Tagen, war genau an dem beschriebenen Haus geschehen. Das Haus, an dem er vor über fünfzehn Jahren … Er konnte den Gedanken nicht weiterführen. Die Morde … der Zusammenhang war offensichtlich. Das war kein Zufall.
Balthoff suchte den Text Buchstaben für Buchstaben nach dem Namen des Opfers durch, vergebens. Es werden keine Namen genannt, dachte er bei sich. Auch nach dem ersten Mord war es so. Den Zeitungen ist es nicht erlaubt, Namen zu nennen, aus welchen Gründen auch immer. Aber er wusste auch so, bei wem es sich um das zweite Opfer handelt, ebenso wie er von der Identität des ersten Ermordeten überzeugt war. Der erste war aus Hermeskeil und der zweite hat in Thalfang gewohnt, so stand es in der Zeitung.
Wir waren zu viert, dachte er. Ich wohne in Koblenz, der andere, verdammt, wie war noch sein Name … er lebt irgendwo in Luxemburg, erinnerte er sich. Was also ist die logische Folgerung? Balthoff war sich sicher. Dellmann und Kerner, sie müssen es sein, denen man so übel mitgespielt hat. Er überlegte weiter und ertappte sich dabei, dass er sich umsah. Das Bistro, in welchem er fast jeden Tag seinen Espresso zu sich nahm, lag in der Innenstadt, in der Nähe des Löhr-Zentrums. Er schüttelte unmerklich den Kopf. Hier wird man es nicht auf mich absehen. Hier bin ich sicher. Und überhaupt. Hat man es denn auch auf mich abgesehen?
Sofort verwarf er die Frage. Natürlich hat man es auch auf mich abgesehen. Man wird versuchen, auch mich umzubringen. Wie wird es geschehen? Mit einem Baseballschläger. In meiner Wohnung? Auf offener Straße?
Sein Körper straffte sich. Nein, mit ihm wird man so etwas nicht machen. Er würde wachsam sein. Er fragte sich, ob seine Lebensgefährtin den Artikel ebenfalls gelesen hatte und wenn, ob ihr überhaupt aufgefallen ist, dass er gemeint sein könnte. Irma wusste über seine Vergangenheit Bescheid. Er hatte sie nach seiner Haftentlassung kennengelernt und sie hatte nur das Gute in ihm gesehen, vielleicht auch sehen wollen. Er glaubte an sie. Sie war sein Halt. Und jetzt das.
Er fasste einen Entschluss. Du wirst mir nichts tun, dafür werde ich sorgen. Ich werde vorbereitet sein, dachte er. Ich werde zum Gegenangriff übergehen. Wer immer du bist, dein Vorhaben wird nach hinten losgehen, denn ich werde dich finden und ich bin sicher, dass du es mir leichtmachen willst. Meine Suche nach dir wird aus Warten bestehen. Aus Warten auf dich.
Ich werde den Spieß umdrehen.
Ich werde dir zuvorkommen.
Ich werde dich töten!
Kapitel 26
Der silbergraue Benz der gehobenen Mittelklasse hatte die Stadt Hermeskeil verlassen und rauschte über die Bundesstraße der Autobahnauffahrt entgegen.
„Wir fahren nach Koblenz. Meg. Einer der beiden noch lebenden Männer wohnt in Koblenz. Ob die Anschrift, die ich in Erfahrung gebracht habe, noch immer aktuell ist, weiß ich nicht. Allerdings ist es die Meldeanschrift, aber unter den gegebenen Umständen würde ich es an seiner Stelle vorziehen, einen Ort zu wählen, an dem man mich nicht so schnell finden wird.“
Satorius sah zu Maggie, die es sich auf dem Beifahrersitz gemütlich gemacht hatte und gelangweilt aus dem Fenster sah. Er hatte ihr nicht viel erklären müssen, vor der Fahrt. Es reichte ihr, dass er sagte, er habe neue Erkenntnisse.
Er wird seine Quellen haben, dachte sie. Vielleicht schmiert er jemanden bei der Einwohnerbehörde, vielleicht hat er einen besseren Draht zur Polizei als den zu dieser Polizistin, die nicht gerade redselig war.
Tatsächlich hatte Satorius einen entfernten Verwandten beim Einwohnermeldeamt, der sich scheu umsah, als ihn die Frage nach dem Wohnort von Balthoff traf. Satorius hatte ihn am Nachmittag aufgesucht, der Publikumsverkehr war auf den Vormittag beschränkt und so konnte er seine Überredungskünste, ungehört von lästigen Zeugen, auf den verängstigt dreinschauenden entfernen Verwandten einwirken lassen. Mit Erfolg.
Als er das Amt verließ, hatte er die Adresse. Koblenz, Breitsteinstraße 49. Sein entfernter Verwandter hatte ihm als Zusatzinformation mit auf den Weg gegeben, dass Balthoff unverheiratet sei, was nicht bedeute, dass er alleine lebe. Eine Ehefrau war im System nicht registriert, ebenso keine Kinder. Ein typischer Junggeselle also.
Es ist schon komisch, dachte Satorius. Keiner der beiden