„Ich hoffe nicht“, lache Overbeck gequält. „Ich habe die Werbetrommel gerührt, Inserate gesetzt und Flugblätter verteilt. Die Leute müssen einfach kommen. Wovon soll ich sonst meine Miete hier bezahlen?“
„Aber es ist noch niemand hier … außer mir.“
„Du bist ja auch eine halbe Stunde vor der Zeit. Aber ich denke, dass deine Anwesenheit mir Glück bringt. Wir können ja die Zeit bis dahin überbrücken, indem ich dir einige grundsätzliche Dinge erklären werde. Einverstanden?“
„Dann sag mir doch, worauf du so wild drauflos gehämmert hast, als ich hereinkam.“
„Einen Sandsack kennst du doch sicher.“
„Nein, ich meine das Gerät dort hinten oder wie nennt man das Teil?“
„Das Teil nennt man Makiwara, ist so eine Art Sandsack, nur etwas härter.“
„Wozu soll das gut sein? Und wo ist eigentlich die Trainingspuppe?“
„Also eines nach dem anderen. Die Puppe habe ich noch nicht ausgepackt. Kann mich ja auf der Dienststelle an einer auslassen. Und was den Makiwara angeht, damit härtet man Körperstellen ab, mit denen man zuschlägt, die Handkanten, die Faustknöchel, Ellbogen, Fußballen, Fußspann …“
„Hoffentlich nicht den Kopf“, lachte Leni und sah sich in der kleinen Halle nach weiteren Trainingsmöglichkeiten um.
„Es gibt auch Kampfsportler, die härten ihre Stirn daran ab. Achte mal auf den Kopf von Jean-Claude van Damme. Suchst du etwas?“
„Eigentlich ist das doch ein ziemlich leerer Saal. Wo sind die anderen Geräte?“
„Es gibt keine, Leni. Im Training brauchen wir auch nicht den Sandsack oder den Makiwara. Beide habe ich für mich dort platziert. Kampfsport ist eine Art der Selbstverteidigung. Die wollen wir hier erlernen und praktizieren. Was gibt es Neues in unseren Mordfällen?“
„Wir haben seit drei Stunden Feierabend. Ich hoffe, dass es in dieser Zeit nichts Neues gegeben hat, es sei denn bezüglich der Aufklärung. In diesem Falle aber hätten sich die Kollegen bereits über Handy gemeldet.“
Overbeck sah zur Tür. Offensichtlich kam Bewegung in den Abend. „Da kommen die Ersten.“
Tatsächlich standen in der Tür Männer mit Sporttaschen in den Händen und schauten sich erwartungsvoll um.
„Ihr könnt euch dort umziehen“, rief Overbeck und zeigte auf die Tür, hinter der sich die Umkleiden befanden. Dann traute Leni ihren Augen kaum. Nacheinander betraten junge Männer und Frauen das Dojo und schließlich schätzte Leni die Anzahl auf über 20 Sportinteressierte.
„Ich werde dann mal die Anmeldungen entgegennehmen“, meinte Overbeck mit freudigem Gesichtsausdruck und machte Anstalten, den Raum zu verlassen.
„Lass mich das mal machen“, sagte Leni bestimmt. „Du kannst dich dann um dein Training kümmern. Aber mach` dir keine falschen Hoffnungen, es ist das einzige Mal. Für das nächste Training musst du dir etwas einfallen lassen.“
Kapitel 21
Der Streifenwagen schlängelte sich durch die Waldwege oberhalb der Stadt durch die Dämmerung, vorbei an der Sportanlage und in der Dämmerung konnte man erkennen, dass heute kein Training dort stattfand. Alles war ruhig und frei von Bewegungen.
Die Uhr neben dem Tachometer zeigte Viertel vor acht Uhr abends. Heribert Gehweiler schaltete die Beleuchtung ein und sah seinen Kollegen Eddy Müller von der Seite her an.
„Ruhig heute Abend“, sagte er, nur um etwas zu sagen. Die letzte Stunde hatten beide kaum gesprochen und hingen ihren Gedanken nach.
In Sichtweite tauchte vor ihnen das Haus auf, das sie seit einigen Tagen auf Trab hielt. Zwei Tote innerhalb kürzester Zeit, beide auf die gleiche grausame Art und Weise ermordet. Die Sorge, dass weitere Taten folgen, war berechtigt und die Anordnung Overbecks war deutlich: Das Objekt muss in Zukunft in die Streifenpläne integriert werden. Insbesondere am Abend und in der Nacht sollten die Observationen erfolgen, so wie heute. Und der Abend war erst angebrochen. Gleich nach dem Schichtwechsel waren sie aufgebrochen, Gehweiler und Müller. Sie würden zu dem Haus fahren, würden ihre Streife fortsetzen und nach einer Stunde wieder hier auftauchen. So würde es die ganze Nacht gehen, im Wechsel mit einer weiteren Streifenbesatzung.
Gehweiler hielt das Fahrzeug an und schaltete die Beleuchtung aus. Bis zu dem Haus waren es von hier aus nur etwa 50 Meter. Von dort aus konnte man den Streifenwagen nicht ausmachen, der Beginn des Niederwaldes verdeckte die Sicht darauf. Das Haus allerdings ließ sich aus dem Fahrzeug durch die dünnen Baumstämme hindurch einigermaßen gut beobachten.
„Verlorene Zeit.“ Müller streckte sich und gähnte. Dann sah er auf seine Armbanduhr und gähnte ein zweites Mal. „Was soll um diese Zeit schon passieren?“
„Wir warten, bis es dunkel ist“, sagte Gehweiler bestimmt. „Und später kommen wir noch einmal hierher. Du kennst die Anweisung.“
„Was ist das eigentlich für eine ... Kollegin? Die von der Kripo?“, fragte Müller scheinbar gelangweilt und gähnte erneut.
„Ach, du meinst Leni?“
„Aha, Leni heißt sie also.“ Müller warf einen vielsagenden Blick auf Gehweiler.
„Ja, Leni. Marlene Schiffmann, um es genau zu sagen. Eine sehr nette und kompetente Kollegin.“
„Hast du was mit ihr?“
„Wie kommst du denn darauf?“ Gehweiler sah an Müller vorbei in Richtung des zu observierenden Hauses. „Sie ist eine liebe Kollegin, mit der ich mich gut verstehe, weiter nichts.“
„Und der andere? Overmann oder wie der heißt. Ein komischer Kerl. Hab` ihn noch nie in unserem Zuständigkeitsbereich gesehen.“
„Overbeck. Er ist der Nachfolger von Heiner. Heiner Spürmann. Wenn du jetzt fragst, wer das ist, dann …“
„Nein, nein, Spürmann kenne ich. Habe gehört, er ist jetzt Dozent auf` m Hahn oder so?“
„Ja, leider. Aber das Leben geht weiter. Und mit Overbeck werden wir auch zurechtkommen.“
„Wie heißt der eigentlich mit Vornamen?“
„Overbeck?“
„Ja, dieser Overbeck. Wie heißt er?“
Gehweiler überlegte. „Ich weiß es nicht“, sagte er schließlich. „Alle sagen nur Overbeck. Ich habe den Eindruck, nicht einmal Leni weiß, wie sein Vorname ist.“
Gehweiler setzte sich ruckartig auf und starrte nach vorne.
„Ich glaube, da ist etwas“, sagte er leise, als habe er Sorge, dass ihn jemand von dort hinten aus hören könnte.
„Was ist dort? Was hast du gesehen?“ Müller beugte sich gemächlich vor und sah zwischen den Bäumen hindurch in Richtung des Anwesens. „Ich kann nichts erkennen.“
Gehweiler starrte weiter gespannt in die Richtung, in der er glaubte, eine Bewegung gesehen zu haben. Dann war sie wieder da. Erst war es ihm, es als husche ein Schatten hinter den Bäumen über das Gelände des Anwesens. Dann war er wieder verschwunden.
„Komm!“ Gehweiler war sich sicher: Da war jemand. „Deine Waffe! Halte sie griffbereit. Du beobachtest die Vorderfront, ich sehe hinter dem Haus nach.“
Gebeugt, bedacht, kein Geräusch zu verursachen, schlichen Gehweiler und Müller an dem kleinen Wald vorbei, die Pistolen griffbereit in den Händen.
Gehweiler gab seinem Kollegen ein Zeichen, worauf der sich umsah und in gebeugter Haltung nach links zur Vorderfront des Hauses lief.
Gehweiler verharrte noch eine Weile und beobachtete das Haus. Er lauschte angestrengt in die