„Momentan weiß ich nicht mehr als Sie, Meg. Nur, dass er, dieser Rainer Balthoff, einer der Täter in der Mordsache Thompson war, dass er 15 Jahre deswegen im Knast verbracht hat und heute in Koblenz wohnt. Wir können nur hoffen, dass er gesprächig ist.“
„Was glauben Sie, wird er uns erzählen, Hans? Ich kann mir nicht vorstellen, dass er überhaupt ein Interesse daran hat, einer Zeitung in dieser Situation ein Interview zu geben. Er wird alle Hände voll damit zu tun haben, auf sich und sein Leben aufzupassen.“
„Da mögen Sie Recht haben, aber wir müssen Balthoff davon überzeugen, dass wir ihn durch seinen Schritt in die Öffentlichkeit vielleicht schützen können. Wenn er uns seine Geschichte erzählt, seine Ängste äußert und vielleicht ein spätes Bedauern zeigt …“
„Glauben Sie wirklich daran?“ Maggies Stimme klang auf einmal irgendwie hart in Satorius Ohren. „Glauben Sie, dass ein Mörder, dessen Tat fast zwei Jahrzehnte zurückliegt und der sich öffentlich nie reuig gezeigt hat, dies jetzt auf einmal tun wird? Soll ich Ihnen etwas sagen? Ihm wird es ergehen wie den anderen beiden und auch den Vierten wird seine gerechte Strafe treffen. Sie haben es nicht anders verdient.“
Die harten Worte aus Maggies Mund hallten in Satorius` Ohren nach und mündeten in einem Konzentrationsmangel, der beinahe ursächlich für einen Unfall gewesen wäre. Unwillkürlich hatte er auf die Bremse getreten und Maggie ungläubig angeschaut, als hinter ihm Bremsen quietschten und ein schwarzer Golf links an ihnen vorbeischoss. Der Wagen beschleunigte und war kurze Zeit später zwischen den vorausfahrenden Fahrzeugen verschwunden. Vergebens wartete Satorius auf eine Beschwerde verheischende Geste des Fahrers, den er wegen der dunkel getönten Scheiben nur schemenhaft erkennen und ausmachen konnte.
„Verdammter Mist!“ Satorius verringerte seine Geschwindigkeit und schielte in einer Art Unbegreiflichkeit zu Maggie hinüber, die ein unschuldiges Lächeln aufsetzte.
„Ist doch wahr“, sagte sie und es klang, als habe ein kleines Kind eine verbotene Tat gerechtfertigt. „Wer solche Taten begeht, darf nicht ungeschoren davonkommen. Wer den Tod sät, wird den Tod ernten.“
Kapitel 27
Noch immer klangen Maggies Worte in Satorius Ohren: Wer den Tod sät, wird den Tod ernten. Und das aus dem Munde der Frau, die Journalistin sein wollte. Überparteiisch und neutral. Das hier war alles andere als Neutralität. Satorius Gedanken fuhren Zickzack. War es etwas Persönliches, das sie in die Waagschale warf? Nein, winkte er im Geiste ab. Das sind unsinnige Gedanken. Es sind ganz einfach die Aussagen einer Frau, die sich solidarisch mit ihren Geschlechtsgenossinnen erklärt.
Satorius verwarf alle weiteren Überlegungen. Er sah auf die Tankanzeige.
„Wir müssen tanken, Meg. An der nächsten Raststätte fahren wir ab. Vielleicht wollen Sie etwas essen?“, fragte er Maggie, die neben ihm dahindöste.
„Eine gute Idee. Ein Kaffee wäre gut. Nach meinem Mittagsschlaf hatte ich noch keine Gelegenheit dazu.“
Es dauerte weitere drei Kilometer, bevor sich auf einem Hinweisschild Messer und Gabel kreuzten. Als Satorius den Wagen auf das Raststättengelände fuhr, sah er den dunklen Golf, der vorhin beinahe auf sein Fahrzeug aufgefahren wäre, in einer der Parkmarkierungen stehen.
Wir haben beide Glück gehabt, dachte Satorius bei sich. Und das alles, weil ich mich über eine Bemerkung Meg`s erschrocken habe.
„Gehen Sie schon mal ins Restaurant vor“, bat er Maggie. „Ich tanke das Fahrzeug in der Zwischenzeit auf und komme dann nach.“
Als er schließlich den Tankdeckel wieder aufschraubte, glitt sein Blick über das Fahrzeugdach hin zu jener Stelle, wo der schwarze Golf abgestellt war.
Der Platz war leer.
Als Satorius und Maggie in Koblenz eintrafen, brach die Dämmerung über die Stadt herein. Rush Hour war lange vorbei und es bereitete keine Schwierigkeit, innerhalb kürzester Zeit die Stadt zu durchqueren. Der Moselring, in der Verlängerung der Friedrich Ebert Ring, die Neustadt. Satorius suchte nach einem Parkplatz und fand ihn schließlich am Moselufer.
„Strafzettel hin oder her“, sagte er mit einem lächelnden Blick auf Maggie. „Das ist mir die Sache wert.“ Er sah auf die Uhr. „Um diese Zeit wird keine Polizei mehr nach falsch geparkten Autos sehen.“
Sie liefen am Moselufer entlang und Satorius nahm seine Gedanken zusammen. Zu Hause hatte er sich genau angesehen, wo die Breitsteinstraße lag. Es musste hier in der Nähe sein. Die Hilfe kam in Form einer älteren kleinen Frau, die gestützt auf einen Rollator offensichtlich die frische Abendluft genießen wollte.
„Breitsteinstraße?“, fragte sie mit einer Stimme, die nach Reibeisen und Zigaretten klang. Sie sah mit einem Blick von unten her die beiden an und schüttelte den Kopf. „Da gibt es aber kein Hotel. Das suchen Sie doch sicher?“
„Nein, nein“, versuchte Satorius das Thema in eine andere Richtung zu lenken. „Wir suchen einen Bekannten. Wir wollen ihn besuchen“, fügte er schnell hinzu.
„Jetzt am Abend?“ Die Stimme klang immer noch wie ein Reibeisen und nach Zigaretten, mündete jedoch in einem um eine Oktave höheren Kreischton.
„Ja, wir wollen bei ihm übernachten. Ist das in Ihren Augen verwerflich?“ Satorius wollte das Thema schnell beenden und er hatte auch gar keine Lust, mit der alten Dame, die er nicht kannte und nicht kennenlernen wollte, über Gott und die Welt und vor allem über sein Vorhaben zu diskutieren.
„Da hinten“, krächzte die Frau, immer noch im oberen Bereich ihrer Stimmlage verweilend. „Zwei Straßen weiter. Links ab.“
Sie drehte sich um und hinkte davon. Satorius schüttelte den Kopf und sah Maggie an. „Sie hat das Gespräch von sich aus abgebrochen“, stotterte er irritiert. „Damit konnte doch wirklich keiner rechnen.“
Maggie und Satorius gingen die Straße entlang in die von der alten Dame beschriebene Richtung. Rechts von ihnen, auf der Anhöhe auf der anderen Moselseite begannen gelbe Lichter die Festung Ehrenbreitstein zu erleuchten. Noch eine Stunde und der Anblick würde ein Augenschmaus sein, dachte Satorius. Es war die Zeit der Bundesgartenschau, die in diesem Jahr in Koblenz ihre Pforten geöffnet hatte. Langsam klang der Publikumsverkehr aus und nur an speziellen Orten gab es noch vereinzelt künstlerische Aufführungen. Auch die Straßenleuchten der Stadt schalteten sich nun ein.
Breitsteinstraße. Das Straßenschild war nicht zu übersehen. Wenige hundert Meter voraus glänzte die Mosel in der untergehenden Sonne und spiegelte ein letztes Mal ihre Strahlen im silbrigen Wasser.
„Wir sind da“, stellte Satorius nüchtern fest. „Lassen Sie uns nachsehen, wo sich die Wohnung von Balthoff befindet.“
„Die Hausnummer?“
„47. Muss gleich da hinten sein.“
„Falls wir ihn überhaupt antreffen.“ Maggie rückte die Riemen ihrer Handtasche auf der Schulter zurecht. „Gehen wir es an. Bin gespannt, was er uns zu sagen hat.“
„Wenn er von den beiden Morden Wind bekommen hat, stehen die Chancen schlecht, dass er überhaupt mit uns redet. Wir müssen ihm einreden, dass es zu seinem Schutz ist, falls er sich auf uns einlässt.“
Während sie die Straße entlanggingen und auf die Hausnummern achteten, öffnete Maggie ihre Handtasche und fühlte den Inhalt mit der Hand ab. Das glatte Metall ließ sie auf den Moment vergessen, dass sie neben einem Reporter herging, der nur eine Story über vergangene Verbrechen im Sinn hatte.
Sie wollte mehr. Sie wollte Balthoff. Sie wollte seine Seele, seinen Tod, seinen Körper, sie wollte alles von ihm. Alles, um es zu vernichten. So, wie er ihr Leben vernichtet hatte.
„Ich glaube, hier ist es.“ Satorius blieb stehen und schaute sich die Klingelbezeichnungen an der Haustür des