19 Tage. Andy Klein. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andy Klein
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783741811227
Скачать книгу
war zwar teilweise etwas stressig, aber das war ja schließlich der normale Alltag auf der Station. Der Arbeitstag war aber genauso schnell vorbei, wie er auch angefangen hatte. Lucas zog sich schließlich um. Er vermisste Shawn, der mal wieder nicht pünktlich zur Abendschicht erschienen war. Na, ja, spätestens morgen Abend um 22.00 Uhr würden sie sich sehen. Er verließ den Aufenthaltsraum und als er zur Tür herauskam hielt er seinen Atem an und erstarrte. Da ging die alte Frau aus dem Bus den Flur entlang, geradewegs an ihm vorbei. Was er allerdings nicht erwartet hatte war, dass diese Frau einen Putzwagen vor sich her schob und die Arbeitskleidung der Reinigungskräfte trug. Er schaute ihr irritiert hinterher und beobachtete, wie sie in den Fahrstuhl stieg. Sie drehte sich um, schaute Lucas an und lächelte, bevor sich die Fahrstuhltüre schloss. Lucas lief schnell zu Lucy, die an dem kleinen Empfang der Station arbeitete.

       »Hey Lucy, wer war denn die neue Putzfrau da eben?«

       »Wer?«

       »Na diese ältere Putzfrau, die da gerade in den Aufzug gestiegen ist.«

       »Tut mir leid, ich hab keine Putzfrau gesehen. Aber Mike

      ist eben an mir vorbeigekommen, allerdings ist der nicht

      wirklich eine Frau.«

      Mike war schon seit einer halben Ewigkeit als Reinigungskraft auf dieser Station beschäftigt. Lucas drehte sich um und ging den Flur entlang. Am anderen Ende stand Mikes Putzwagen und er kam auch just in dem Moment aus dem Lagerraum.

       »Hallo Lucas, na, geht’s dir gut?«

       »Sicher Mike, aber sag mal, wer ist denn deine neue Unterstützung?«

       »Was denn für eine Unterstützung?«

       »Na die ältere Frau, die mit dem Putzwagen eben in den Aufzug gestiegen ist.«

       »Ich habe keine ältere Frau gesehen, tut mir Leid. Ich weiß ja nicht, wen du eben gesehen hast, aber in unserer Crew gibt es keine älteren Damen.«

      Mike schüttelte den Kopf, nahm seinen Wischmopp und begann damit den Boden zu wischen. Lucas war verwirrt.

      Er hatte sich die alte Frau doch nicht eingebildet. Heute genauso wenig, wie gestern. Er ging zum Fahrstuhl und wartete auf den Selbigen. Er steckte die Hände in die Jackentaschen und bemerkte, dass sich dort noch das Taschentuch, das ihm die Frau gestern im Bus reichte, befand. Er nahm es heraus und schaute es sich an. Ein stink normales Papiertaschentuch. Es war real, genauso wie die Frau, dachte er und stieg in den Fahrstuhl. Morgen würde er mal bei ein paar Patienten nach ihr fragen. Irgendeiner musste sie ja schließlich gesehen haben.

      Lucas verließ das Krankenhaus und genoss die Fahrt nach Hause. Eigentlich war er schon recht hungrig, als er zu Hause ankam. Bis er Sarah zum Essen abholen konnte, dauerte es jedoch noch zwei Stunden. Irgendwie musste er sich die Zeit vertreiben und so widmete er sich seiner großen Tasche, die bis zu diesem Zeitpunkt noch immer in der Diele stand. Er nahm die Tasche und ging in sein Zimmer hinauf, wo er seine Sachen in der Kommode und im Wandschrank verstaute. Ihm fiel auf, dass er bisher noch nicht das Schlafzimmer seiner Großmutter betreten hatte. Nachdem er seine Sachen verstaut und sich umgezogen hatte, blieb er einen kurzen Moment vor der Tür stehen, dann ging er aber doch wieder nach unten. Morgen hatte er den ganzen Tag Zeit bis zur Nachtschicht. Vielleicht würde er sich das Zimmer dann mal anschauen. Es würde sicher wehtun, denn das ganze Schlafzimmer war gefüllt mit vielen schönen Erinnerungen.

      Lucas ging ins Wohnzimmer und nahm das Tagebuch aus dem Schrank. Es gab aber keinen neuen Eintrag.

      Vielleicht funktionierte das Tagebuch ja nicht mehr.

      Er legte es vor sich auf den Tisch. Ob er Sarah doch mal davon erzählen sollte? Allerdings verneinte er aber sogleich seine eigene Frage. So vertrödelte er mehr oder weniger die restliche Zeit bis zur Verabredung. Schließlich fiel ihm ein, dass er sich ja noch für die Lasagne von gestern bei Tante Betty bedanken musste. Bei ihr war es eigentlich nicht so selbstverständlich, dass sie ihm etwas Gutes tat. Lucas hatte seit seiner Kindheit das Gefühl, dass sie ihn nicht besonders mochte. Also stieg er noch schnell in seinen Wagen und besorgte an der nächsten größeren Tankstelle einen kleinen Strauß mit bunten Blumen. Es war bereits kurz nach 19.00 Uhr, als er dann bei Sarah eintraf. Tante Betty öffnete ihm die Tür.

       »Hallo Lucas, mein lieber Junge.«

       »Hi Tante Betty, hier, die sind für dich.«

       »Ach, das brauchst du doch nicht…«, sagte sie mit einem breiten Lächeln der Freude, als er ihr die Blumen überreichte.

       »Komm doch rein - Sarah, Lucas ist da!«, rief sie die Treppe hinauf.

      Sie führte ihn in die große Wohnküche und sie setzten sich an den großen mit Chrom verzierten Tisch, der noch aus den fünfziger Jahren stammen musste. Sie nahm seine Hand.

       »Geht es dir auch wirklich gut? Ich muss noch immer jeden Tag an die Beerdigung denken.«

      Lucas atmete tief durch, war aber über die außerordentlich fürsorgliche Tante Betty erstaunt und auch darüber, dass er sich überhaupt nicht daran erinnern konnte sie auf der Beerdigung gesehen zu haben.

       »Das ging aber auch alles so schnell. Einen Tag davor haben wir noch Witze über Hank gemacht und am nächsten Tag ist sie einfach tot.«

      Lucas wusste darauf nichts zu sagen und zu seinem Glück betrat Sarah auch genau in diesem Moment die Küche.

      Sie ging auf Lucas zu und umarmte ihn.

       »Hier, schnüffel mal, heute rieche ich aber verdammt lecker, was?«

      Sie sah umwerfend aus. Blue Jeans und ein weißes tief ausgeschnittenes Hemd trug sie. Ihre langen schwarzen Haare trug sie offen.

       »Na ja, bisschen viel Parfüm aufgelegt.«, konterte Lucas, was ihm mal wieder einen Boxhieb auf den Oberarm einbrachte.

       »Komm Sis, ich hab Hunger.«

       »Viel Spaß, ihr Zwei.«, sagte Tante Betty und die Beiden verließen das Haus.

      Sie fuhren in Richtung Stadtzentrum. Auf dem halben Weg dorthin lag Sallys Diner. Sally war eine Frau so um die Mitte sechzig, die in diesem Laden, den sie von ihren Eltern geerbt hatte, groß geworden war. Und das schmeckte man auch, denn dort gab es die besten Hamburger im Südwesten der Vereinigten Staaten. Viele Trucker machten dort halt und der Laden war so gut wie immer voll. An diesem Abend war er jedoch verhältnismäßig leer, lediglich sechs Leute saßen an der langen verchromten Theke. Die Zwei setzten sich an einen Tisch am Fenster.

       »Hey Sarah, schön dass du wieder da bist…«, wurde sie von Sally begrüßt. »…Schön euch Beide zu sehen. Ich nehme an ihr wollt das Übliche?«

      Die Beiden schauten sich an, nickten grinsend und Sally verschwand daraufhin in der Küche.

       »Der Laden sieht bestimmt auch noch in hundert Jahren so aus wie jetzt.«, sagte Sarah und Lucas grinste.

       »Ich schätze Sally hat den Laden auch schon seit hundert Jahren. Wie alt mag sie wohl sein, 118?«

      Sarah lachte laut.

       »Weißt du noch, als wir früher mit den Fahrrädern hier rüber gefahren sind?...«

      Die Zwei hatten sich wirklich eine Menge alter Geschichten zu erzählen. Meist redete Sarah und Lucas hörte wie üblich einfach nur zu. Sie tat ihm so unglaublich gut und dennoch war er manchmal zwischendurch für einen kurzen Moment mit seinen Gedanken weit entfernt. Er rechnete ja schließlich damit, dass Victor Gab jeden Moment zur Tür herein kam. Deshalb schaute er auch immer wieder aus dem Fenster, solange, bis das Essen kam.

       »Hier, zwei Monster-Hamburger für meine liebsten Gäste.« Sally stellte jedem einen riesigen Teller auf den Tisch.

       »Puh, na dann hau mal rein.«

      Sarah begann ein paar Pommes Frites mit den Händen zu essen. Lucas schüttelte gerade die Ketchup-Flasche, als die Türglocke läutete. Wie sollte es auch anders gewesen sein, Victor Gab kam herein und steuerte geradewegs auf ihren Tisch zu.