Aloronice. Judith Weber. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Judith Weber
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844232790
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Digitalanzeige ihres Weckers blickte, „das sind dann wohl nur noch drei Stunden Schlaf". Mit letzter Kraft stellte sie den Wecker scharf und dann war sie auch schon eingeschlafen.

      In dem Moment, als Marie die Vorhänge schloss, war draußen auf der Terrasse ein leichter Schnaufer der Enttäuschung zu hören. Zwei Schatten lösten sich aus der Dunkelheit und verließen ihren Beobachtungsposten in Richtung Campus.

      „Ich glaube, das ist die falsche Fährte", ein großer, dürrer Mann, schätzungsweise dreißig Jahre alt, sprach zu seinem Begleiter, der um einiges dicker und etwas kleiner war als er„ aber die Observation hat sich trotzdem gelohnt." Er grinste und entblößte dabei schiefe Zähne in einem ansonsten ziemlich gewöhnlichen Gesicht. Das einzig wirklich bemerkenswerte an ihm war sein dunkler, ausgeprägter Vollbart. Der andere Mann hatte eine große Narbe, die von seiner rechten Wange aus bis zum dicken Halsansatz reichte. Auch sein Gesicht war behaart, aber weit weniger als bei seinem Kameraden. Dadurch konnte man sein fleischiges Gesicht gut erkennen und durch die Fettmassen verschwanden seine Augen fast vollständig in seinem Kopf.

      „Ja", sagte der Dicke und leckte sich die fleischigen Lippen, „war schon ein leckerer Anblick. Schade, dass die Vorstellung so schnell zu Ende war." „Na gut! Pech gehabt, fangen wir also morgen noch mal von vorne an." Der lange Mann verließ das Collegegelände und steuerte, seinen dicken Partner im Schlepptau, zielstrebig die Gasse an, in der das Haus von Laurent stand. Dort angekommen, bezogen die Beiden Posten am Ende der Straße und achteten sehr darauf, im Schatten der Häuser zu bleiben. „Ich mach dann mal die Augen zu", gähnte der Dicke, „weck mich, wenn irgendwas zu sehen ist, oder zu hören", seine Stimme wurde immer leiser und schon war er eingeschlafen. Der lange Mann setzte sich aufrecht an die kalte Steinwand eines Hauses und richtete seinen Blick unverrückbar auf die Eingangstür des schräg gegenüber liegenden Hauses.

      Im Haus brannte noch Licht und nach einer Weile beschloss der Dürre seine Beine etwas zu vertreten und schlich langsam und vorsichtig zu dem Fenster, aus dem der schwache Lichtschein auf die Straße drang. Je näher er kam, desto deutlicher konnte er Stimmen hören. Zwei verschiedene Stimmen, stellte er fest, als er unmittelbar unter dem Fenster hockte und er versuchte zu erkennen, worüber sie sprachen. Gut, dass er so gute Ohren hatte. Durch den Aufenthalt in ständig dunkler Umgebung waren sein Geruchs- und Gehörsinn extrem ausgebildet, zudem hatte sich seine Wahrnehmung von Stimmungen, durch die Schwingungen die diese in die Atmosphäre abgaben, stark verschärft.

      Hier war jemand stark verunsichert und wütend. Gleichzeitig spürte er eine große Sehnsucht und eine große körperliche Präsenz.

      „Irgendetwas ist im Busch", er spürte die widersprüchlichsten Gefühle im ständigen Wechsel „das fühlt sich an, wie eine unglückliche Liebe. Das lässt hoffen. Wir sind auf der richtigen Spur, wenn wir ihr nur folgen können."

      Im Haus hielten sich die beiden Freunde im Wohnzimmer auf. Richard gemütlich seine Beine untergeschlagen auf der Couch, und Claude wie ein Panther im Käfig, ständig im Zimmer hin und her gehend, Richard versuchte Claude zu beruhigen.

      „Wenn es denn wirklich Marie ist", er reichte Claude ein Glas Wein, als dieser mal wieder unmittelbar an ihm vorbei schritt, „ dann ist das eben so. Du hast die Wahl, ob du es vorantreiben willst, oder ob du ihr aus dem Weg gehst."

      „Das habe ich bis heute Abend auch gedacht", Claude hielt in seiner Rennerei kurz inne und nahm einen tiefen Schluck, „Ich habe wirklich geglaubt, ich kann jede Begegnung vermeiden. Aber wie soll das gehen, wenn wir hier in derselben Stadt leben? Es wird immer mal wieder eine Feier, oder einen Strandaufenthalt geben, wo wir uns über den Weg laufen können." „Na und? Dann haust du eben einfach ab. Du musst ja nicht dableiben und deine Willenskraft aufs Äußerste strapazieren", Richard zuckte mit den Schultern. Auf dem Tisch stand eine Schale mit Erdnüssen, von denen er sich jetzt eine Handvoll in den Mund schüttete.

      „Wer nichts sieht und hört, kann auch nicht reagieren und dann kann auch nichts passieren. Logisch, oder?", er kaute herzhaft während er sprach.

      „Ja, ja, ganz logisch", Claude schüttelte den Kopf und nahm seine unstete Wanderung durchs Zimmer wieder auf, „wenn es funktionieren würde. Ich hab es heute doch versucht", seine freie Hand fuhr durch sein Haar und schon stand es wirr vom Kopf ab, „ ich wollte doch sofort weg, nachdem ich ihre Anwesenheit gespürt habe."

      „Ja", sagte Richard, „ und du bist doch auch sofort weg und hast mich völlig ahnungslos ob deiner Beweggründe allein im kalten Regen stehen lassen."

      „Im Regen?", Claude zog eine Augenbraue skeptisch in die Höhe, „ Allein? Im kalten Regen? Also ehrlich, manchmal spinnst du doch, scheinbar hat dein erhöhter Testosteronspiegel deine Wahrnehmung getrübt. Erstens war es trockener als trocken, zweitens ging es bei dir heißer zu, als du vertragen kannst und drittens hast du das gleich in dreifacher Ausführung genossen. Von allein kann also gar nicht die Rede sein, nicht mal im Entferntesten allein."

      „Also gut", Richard schaute etwas schuldbewusst, „aber ich habe mir wirklich Gedanken gemacht, warum du so plötzlich verschwunden bist. Auf jeden Fall in den ersten Minuten", er grinste und schien ein schlechtes Gewissen zu haben.

      Na, er war schon ein toller Leibwächter, dachte er, warum hatte er sich auch damit einverstanden erklärt Claude allein gehen zu lassen?

      „Ja aber, wo ist denn nun das Problem?", versuchte Richard den Faden wieder aufzunehmen, „Du bist doch gleich nach Haus gegangen." „Bin ich eben nicht", Claude schien unsicher und war ärgerlich darüber „ich bin doch nur bis zum Strand gekommen. Dann musste ich einfach stehen bleiben und sie beobachten."

      „Was? Du hast Marie wiedergesehen? Und das sagst du mir erst jetzt?" Richard schrie ihn fast an.

      Claude blieb stehen und stützte sich an der Fensterbank ab, sein Blick ging ins Leere der Nacht dort draußen, er nickte.

      „Du hast sie gesehen, Marie leibhaftig gesehen? Und du hast mir nichts davon gesagt?" Jetzt war Richard richtig sauer, „Wie soll ich dir denn vernünftig beistehen, wenn du mich nicht einweihst? Wie soll ich...", Claude drehte sich mit einer entschuldigenden Geste zu Richard herum, dieser unterbrach seine Schimpftirade, als er in Claudes unglückliches, zerknirschtes Gesicht blickte.

      „Hey", sagte er jetzt wesentlich freundlicher, „ es hat dich echt getroffen, hm? Das war wohl ganz schön hart, was?"

      „Er hat sie geküsst, Richard, er hat sie einfach geküsst und sie hat es sich gefallen lassen, es schien ihr sogar Spaß gemacht zu haben!", das Weinglas in seiner Hand zerbrach, die Glasscherben flogen durch den Raum, er zitterte am ganzen Körper, so dass Richard durch die Intensität dieses Ausbruchs richtiggehend erschrak.

      „Ist ja gut", er versuchte seiner Stimme einen beruhigenden Klang zu verleihen, „ ist ja gut. Hast du dich verletzt?", ein vorsichtiger Blick auf die Hand von Claude, kein Blut, Gott sei Dank.

      „Nein!", Claude starrte den Rest des Glases in seiner Hand an, um ihn dann mit einem kurzen Zucken der Hand zu den anderen Scherben in die Ecke des Zimmers zu befördern.

      „Aber es ist doch sogar gut, wenn sie einen anderen vorzieht, damit reduziert sich doch die Gefahr für euch beide, besonders für sie." Richards Stimme klang immer noch ruhig und versöhnlich.

      „Ich weiß es ja", Claude beruhigte sich tatsächlich, er ließ sich an der Wand herabgleiten und setzte sich auf den Holzfußboden „natürlich ist es besser, vor allem für Marie, aber ich konnte das nicht mit ansehen, ohne plötzlich das Gefühl zu bekommen ihn von ihr wegreißen zu müssen. Richard, ich hätte ihn in diesem Moment umbringen können." Claude schien ernsthaft erschüttert über seine Reaktion von vorhin.

      „Ich habe ihn angeknurrt, ich war kurz davor, mich sofort zu wandeln. Verstehst du, ich habe fast meinen Verstand verloren. Gott sei Dank ist sie aufgestanden und hat ihn wieder auf Abstand gehalten, ich weiß nicht, was ich getan hätte, hätte dieser Kuss auch nur eine Sekunde länger gedauert."

      „Hat er aber nicht", Richard war wieder ganz pragmatisch, „ und in Zukunft passen wir eben noch besser auf dich auf. Okay, alter Freund? Das kriegen wir schon hin. Morgen ziehen wir los und suchen