Er las: Soi Saphnakoo. Man sprach sie Soi Sapankuu aus.
Eine leicht missglückte englische Umschrift, die mit dem h nach dem p eine Art verborgenen ch-Laut im p und mit dem n vor dem a eine Eigenart der Aussprache wiederzugeben versuchte, die bereits im a, also quasi vor ihm, da es beim Einsetzen des a-Lautes schon wirksam wird, den kommenden n-Laut vorwegnimmt.
Das a ist dann anders. N-artig.
Man könnte denken, sie hätten es einfach falsch gemacht. Aber es ist an allen Straßenschildern so, dass diese verschobenen und zusätzlichen Buchstaben auftauchen. Wie wenn unter Beratung von altmodischen, englischen Gelehrten mit den hochrangigen Organen der zuständigen Behörde eine möglichst korrekte Umschrift der speziellen Laute dieser indochinesischen Sprache, welche in ihrer Tradition und Herkunft viele Elemente des Pali und Sanskrit enthält, für eine ebenbürtige Bedeutung in der Kultur geschaffen worden war. Schließlich würde diese Umschrift über lange Zeit auf allen Straßenschildern sein und damit die Nation mitrepräsentieren. Man legte sicher keinen Wert darauf, die Namen seiner Straßen, die Sprache durch eine mangelhafte, weil unausgereifte Umschrift zu verschandeln. Die Ausländer sprachen sie trotzdem falsch aus.
Sie lasen falsch ab und wenn sie es sich von einem Einheimischen vorsprechen ließen, sagten sie es eben Sapankuu nach, ohne die Feinheiten herauszuhören, obwohl er sie dreimal zu verbessern versucht, bevor er es aufgibt, weil er bemerkt sie wiederholen stereotyp und flach das immer Selbe, ohne den Unterschied seiner Wiederholungen aufzunehmen. Meistens fehlen schon die Tonhöhen der Sprachmelodie. Auf die Wahrnehmung und Nachahmung von Zwischenlauten darf man da nicht hoffen.
In dieser Gegend hatte er oft gewohnt. Nur gerade rechts und dann links ums Eck. In Lee 4 Guesthouse. Das vierte der Familie Lee. Logischerweise. Jedes neue war immer komfortabler geworden. Später gab es auch ein Fünftes. Allemal waren es doch Gasthäuser und in der Ausstattung einfach. Die Zimmer im Erdgeschoss waren bald mehr Notunterkünfte, wenn man auf ein anderes Zimmer wartete, das am kommenden Tag freiwerden sollte oder weil es einfach keine anderen günstigen Zimmer gab.
Die Erdgeschosszimmer waren unbeliebt, weil sie laut und der Umwelt zu sehr ausgeliefert waren. Dies auch in Bezug auf unter Touristen damals verbreiteten Gewohnheiten des Konsum illegaler Rauschmittel. So wurden sie bald zur Safety-Box-Kammer und Abstellräumen umfunktioniert. Deshalb räumte man aber kein Bett ´raus. Es waren Chinesen. Der Nachtportier konnte sein Nickerchen auf der Pritsche hinter der Theke halten, die tagsüber der Mama, der Herrin des Hauses als Aufenthalt diente.
Das Lee 4 hatte eine Dachterrasse und Zimmer, sowohl mit eigener als auch shared shower. Gemeinschaftsduschen.
Komischerweise waren die Zimmer ohne eigenes Bad geräumiger zum selben Preis. Tja, es musste eben kein Bad darin Platz finden.
Der Wasserverbrauch blieb wohl der gleiche.
Im Moment als Thomas sich klar wurde, dass sie auf die Ecke Ngam Dhupli zugingen, konnte man die Schrift auf dem Schild deutlich lesen: BLUE FOX.
Der Umstand, dass sie niemals soweit gelaufen sein konnten, verblasste hinter seiner spontanen Erleichterung darüber, sich in vertrautem Areal zu bewegen. Denn sie hatten hier nichts zu suchen, wenn sie zum Amataya wollten. Auf das gesamte Stadtgebiet bezogen, befanden sie sich in einer guten Nähe zum angepeilten Viertel. Dem Sathorn Viertel. Aber auch nur von hier bis zum Hotel wollte er sicher nicht laufen müssen. Zu keinem Zeitpunkt.
„Ich kenne den BLUE FOX“, entwich es Thomas' Lippen unwillkürlich. „Alles OK.“
Chi fragte nicht, wieso er sich dann hier nicht ausgekannt habe.
Sie zeigte auch kein Anzeichen der Erleichterung, sondern fragte nur völlig sachlich: „Sagt man nicht das BLUE FOX? Es ist doch ein Lokal.“
„Im Englischen ist es doch dasselbe. Man sagt the. Ich sage der, weil das Tier männlich ist. Der Fuchs“, antwortete Thomas.
„Wir sprechen doch kein Deutsch. Woher weißt du, dass ich der sage?“, fragte er.
Es war eine Sequenz, die er in seinem Traum total wirklichkeitsnah erlebte. Es kam ihm so vor, als passiere es.
So seltsam sie sich darstellte.
„Ich wollte es nur wissen. Alles OK“, sagte Chi.
Sie sprachen im Traum wirklich Englisch, aber Thomas konnte natürlich auch als Träumer Deutsch und so kam es zu diesem Gedankenstrang in seiner Illusion.
Dabei handelte es sich tatsächlich um einen blauen Fuchs.
Dieser war im Logo, also der Leuchtreklame an der Bar als stilisierter blauer Fuchskopf abgebildet. Obwohl man sicher den einen oder anderen betrunkenen Gigolo oder trübsinnigen Zahn dort immer wieder antreffen konnte, was in allen Kombinationen ebenso als Übersetzung des Namens hätte taugen mögen, rührte der Name wohl typischerweise von einem Etablissement in einem anderen Teil der Erde. Solche Hot Spots hielten häufig für die Bezeichnung von Touristenlokalen her. Ungeachtet einer kaum vorhandenen Vergleichbarkeit mit den Originalen. Der Betreiber des thailändischen Ablegers nie dort gewesen und die Kopie alles andere als identisch. Darum ging es nicht. Es ging um die Legende. Man konnte darüber reden. Und dabei behaupten, man finde das Original so toll oder liebe sogar das Land und möchte dahin auswandern und da leben. Oder vielleicht nur das, weil man ja noch gar nicht dort war und nur davon träumte oder das überhaupt nur dem ausländischen Gast auf die Nase band. Wer wollte das schon wissen?
Den Rest besorgte der Alkohol.
War ihm der BLUE FOX auch nicht als ausgesprochen feines Lokal in Erinnerung, so konnte man dort sicher irgendwie an ein Taxi gelangen. Etwas trinken und sich erst mal setzen bis das Tuk-Tuk kam. Bei großzügiger Entlohnung sollte das absehbar nach Wunsch verlaufen.
Bevor sie sich fragen konnten, wieso das Lokal seinen solitären Betrieb aufrechterhielt, obwohl es weit und breit an potentiellen Gästen mangelte, antwortete ihnen der Hinweis an der Tür deren Klinke Thomas herunterdrückte.
Open 24 Hours.
War nach außen auch kein Laut gedrungen, fand sich der Gastraum des Lokals seltsam belebt.
Auf dem Fernsehbildschirm lief Terminator 2. Ein VDO.
Es lief auch bei Thomas' letztem und eigentlich einzigem Besuch im BLUE FOX. Thomas dachte im Traum, dieses VDO liefe immer. Kein anderes. Er hatte sich den Film damals aus Langeweile angesehen. Er hatte nicht schlafen können und außer ein paar Straßenrestaurants mit ausschließlich Thai-Kundschaft oder einem vereinzelten, abgerissenen und offenbar betrunkenen Ausländer, war der BLUE FOX das einzige, was in der Umgebung geöffnet hatte. Sein Bedarf an väterlichen Freundschaften einsamer, abgerissener oder nur, jedoch eher außerdem noch betrunkener Ausländer bewegte sich beharrlich in höchst engen Grenzen. Er war hinein und fühlte sich nicht wohl. Für das schon damals ziemlich abgewetzte Interieur waren die Preise gesalzen. Das lag an dem 24 Stunden Service. Die Karte war klein, schlecht und eben zu teuer.
Wenn man sich eine Zeit in Thailand aufgehalten hat, konnte es schon passieren, dass man vom Essen verwöhnt war. Qualität, Geschmack also, Abwechslungsreichtum und Preis.
So heikel wie Thomas ohnehin sein konnte, umso schlechter wäre er hier bedient. Aber er hatte Hunger gehabt und der Film hatte angefangen, ihm zu gefallen. Trotzdem hatte er ihn nicht bis zum Schluss verfolgt, sondern ihn später in angenehmerer Umgebung in Samui noch mal ganz geschaut. Er war wieder so müde geworden und wollte auch nichts mehr bestellen. Da war er gegangen. Der Film war zu dieser Zeit in Deutschland noch nicht einmal in den Kinos erschienen.
Das Lokal war nicht groß und in der Mitte war ein Tisch frei. Derselbe wie damals. Chi steuerte darauf zu. Und setzte sich.
Thomas folgte ihr langsam und nahm neben ihr mit Blick zu einem Kellner an der Bar Platz. Irgendwas stimmte nicht. Die anderen Gäste reagierten in keiner Weise auf ihr Eintreten. Niemand schien sie wahrzunehmen. Nur das Personal hatte sie von Beginn an angesehen. Alle drei.
Jetzt erst merkte er woran es lag. Es gab