Skyline Deluxe. Marianne Le Soleil Levant. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marianne Le Soleil Levant
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738047240
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wie überzeugend mit Chi auf dem Heimweg von ihrem Abendessen. Der Schiffsmahlzeit, wie er es ihr gegenüber genannt hatte. Das stimmte schon mal nicht. Doch auch wenn er diesen Zeitraum nicht mit geträumt hatte, war es so, als erinnere er sich sicher daran, diesen Scherz der Bezeichnung des wunderbaren Mahles in dem Panorama als Notverpflegung einer Matrosenbesatzung vorher am Abend manifestiert zu haben. In Wahrheit hatte sein Gehirn diese Idee erst für den Traum. Wenn überhaupt lag sie davor nur in seinem Unterbewusstsein vorhanden. Vielleicht gab es einfach gestern Abend keine passende Gelegenheit dafür oder er wollte genauso unbewusst Chi noch nicht mit seinem seltsamen Sinn für Humor verschrecken. Asiaten tun sich oft nicht leicht einen negativen Begriff als in selbstkritisch zum Sarkasmus verdrehter Demutsironie spontan nachvollziehen zu können. Sich damit an den Umstand zu erinnern, welch unsagbaren Luxus man im Vergleich zum Schicksal anderer Erdbewohner genießen durfte, indem man vorgab das gute Essen im privilegierten Ambiente sei wie notdürftige Nahrungsaufnahme, nur weil sie auch auf einem Schiff eingenommen wurde. Es musste klar sein, dass dies nicht ernst gemeint sein konnte. Es wäre sonst zu herablassend und unwahr. Aber so etwas traute ein Asiat einem Westler schon zu. Genau, mit Japanern kannte er sich eigentlich nicht aus. Er musste normalerweise jeden dummen Witz loswerden, der ihm in den Sinn kam. Wenn ihm diesmal sein Unterbewusstsein geholfen hatte, lieber den Mund zu halten, war das ein gutes Zeichen, diese Person sei ihm wichtig. Seine Dränge und Schwächen, das eigene Ich im Zaum halten, weil es sich jetzt wirklich um das Gegenüber drehte. Sogar in so einem eitlen Gemüt, wie diesem Thomas seines. Er fütterte schon sein Ego, da er einen Eroberungstrieb nicht leugnen würde. Darin zum Ziel zu gelangen, war ein gesunder Ansporn, der ihn sogar seine Selbstherrlichkeit aufgeben ließ. Er fing an sich mit ihr zu identifizieren. Richtete seine Aufmerksamkeit auf ihre inneren Vorgänge. Da stünden eigene nur im Weg. Das ist einfühlsam und Thomas meinte es auch ehrlich damit. Er wollte wirklich wissen, was in ihr vorging. Vielleicht mehr als ihr und den Damen im Allgemeinen angenehm ist. Ohne Eigennutz blieb es nicht. Er musste sie schon lieben. Sonst wäre das schnell vorbei.

      Seine Psyche glich das bei sich behalten müssen seines derben Scherzes durch das Auftauchen im Traum aus. Hier durfte er es ausgesprochen haben und es war gut angekommen.

      Das wiederum Unpassende war ihr Aufenthaltsort. Sie waren spaziert und hatten sich verirrt. Selbst wenn sie spaziert wären, kam man von den Bootsanlegestellen um die Zeit noch nicht so leicht in unbevölkerte Seitengassen, wenn man es nicht darauf anlegte. Und auch da wären vereinzelte Anwohner vor der Tür oder beim Nach­barn. Dafür kannte sich Thomas in Bangkok zu gut aus. Weit hätten sie kaum laufen können. Setzt man vier Kilometer für eine Stunde an, ist das im Gewühl von Bangkok ein zügiger Laufschnitt und kein Maß, das man mit vollem Magen und insgesamt überschreiten möchte, wenn man kein professioneller Stadtwanderer ist. Von Schlendern oder ungehindertem Durchmarschieren kann man sich verabschieden. Es galt immer auszuweichen, sich zu fügen, vorbei zu schleichen, anzuziehen und sich um Menschen, Masten, Stände, Tonnen, Apparate, Rohre, Kabel und Menschen und Menschen zu schlängeln. Da sind vier Kilometer pro Stunde eine frische Leistung für den schwülen Abend.

      Tatsächlich befanden sie sich aber ganz woanders und konnten die Strecke niemals gelaufen sein. Nicht, ohne den Spaß daran zu ver­lieren. Trotzdem schien es so und in der Illusion des Traumes kam es Thomas trotzdem auch vollkommen plausibel vor. Erschöpft waren sie schon. Das verstärkte sich seit den letzten zehn Minuten. Etwa solange ihnen immer deutlicher wurde, wie sehr sie sich verlaufen hatten. Es war weit und breit niemand, außer ihnen.

      Thomas wunderte sich wirklich darüber. War es denn so spät?

      In den frühen Morgenstunden, drei bis vier Uhr konnte es schon ruhig werden. Nur ein, zwei Stunden bevor es wieder richtig los­ging. Aber doch schon seit mehreren Straßen keine Menschenseele, nicht einmal ein Auto oder Motorrad, das vorbei dröhnt.

      Jetzt merkte er es. Keine fernen Geräusche. Nicht einmal ein Hund bellte. Alles sah ganz normal aus. Wie es Thomas in den Straßen von Bangkok gewohnt war. Die Häuser dunkel, die Straßenbeleuch­tung an. Nur kein Leben. Diese Stille.

      Chi und er waren ganz allein. Wie waren sie dort hingekommen?

      Sie waren doch nicht vier Stunden gelaufen. Warum hatten sie nicht längst ein Taxi genommen? Als es noch welche gab. Oder waren sie mit dem Taxi gefahren und dann erst spaziert? Wäre doch Unsinn. Irgendwo auszusteigen. Chi machte sich ein bisschen Sorgen.

      In Wahrheit hatte er null Ahnung, wie sie in so einer Situation reagieren würde. Müsste ziemlich ungewohnt für sie sein, mitten in der Nacht auf einsamen Straßen herumzuirren. Thomas stufte sie im Traum als tapfer ein, aber sie sagte, sie fühle sich nicht wohl.

      Es gefiel ihm, im Traum durch eigene Gelassenheit bei ihr zur Beruhigung beizutragen.

      Er berief sich darauf, man könne im Zweifel immer einfach gerade aus laufen. Irgendwann müsste man auf einen ihm bekannten Ort treffen. Zumindest auf ein Straßenschild oder andere Information, die zur Orientierung taugte.

      Ein großer Shopping- oder Büro-Komplex. Die hatten oft blumige Namen gewisser Berühmtheit. Ein auffälliges Bauwerk, Tempel, Megahotel oder Skytrain Station. Aber zu dieser Zeit gab es keinen Skytrain. Dieser Gedanke im Traum verwirrte Thomas im Traum.

      Er verdrängte ihn sofort.

      Wo niemand wäre, können einen auch niemand überfallen, schloss er logisch auf ihre Befürchtungsäußerungen, ganz ungefährlich stelle sie sich diese einsame Gegend nicht vor.

      Das hatte er sich als Junge schon selbst vorgesagt, wenn er alleine im Dunkeln nach Hause gehen musste und es ihm gerade deshalb unheimlich zumute war, weil er sich ganz alleine fand, weil eben sonst niemand mehr unterwegs war. Klar man hatte Angst von etwas Unerwartetem, etwas Gefährlichem erschreckt zu werden. Woher die Gefahr kommen sollte und warum eigentlich aus­gerechnet Böses bevorstehen sollte, konnte nicht begründet sein, außer man argumentierte, vor dem Ungefährlichen, Angenehmen, dem Erfreulichen müsse schließlich keine Furcht entstehen, so dass nur blieb, vor etwas Üblem zu bangen, egal wie unwahrscheinlich es sei. Jedenfalls hatte er als Kind die Logik angewandt, wo nie­mand wäre, würde, solange das so blieb, auch keine Gefahr drohen. Es hatte funktioniert. Gegen das indifferente und emotional nicht steuerbare Gefühl, bedroht zu sein.

      Eigentlich schauderte ihm vor der Möglichkeit auftauchender Geister. Vor etwas Überirdischem oder Unterirdischem. Wesen der Nacht. Der Dunkelheit. Sein Realitätssinn bezüglich nächtlichen Gefährdungspotentiales hatte sich bis ins Erwachsenendasein stark versachlicht. An Übernatürliches glaubte er immer noch.

      Böse Geister fürchtete er nicht. Die wären, wenn es sie gibt, die Schwächsten und einfach durch Formeln und Gesten der himmli­schen Allmacht mitfühlender Liebe siegreich zu erlösen. Natürlich war er nie welchen begegnet. Bösen Geistern. Auch das bestärkte ihn darin, zu denken, wenn niemand da ist, besteht auch keine Gefahr. Wachsam bleiben sollte man immer und das gelang am besten ohne nutzlose Sorgen vor eingebildeten Katastrophen.

      Ehrlich überzeugt gab er ihr zu verstehen, die Thai seien wirklich keine Leute mit üblem Gemüt und im Allgemeinen sei die Wahr­scheinlichkeit eines Überfalls doch gering. Woher sollte man wis­sen, ausgerechnet hier laufen die Ausländer herum? Er sagte, eher würde jeder, der hier verlorenen Touristen begegnete, versuchen zu helfen. Selbstlos, oder um selbst aus der unerwarteten Situation wieder gelöst werden zu können und den Unwägbarkeitsfaktor verirrter Ausländer schnell loszuwerden. Wer kannte die schon? Wenn sie sich um die Zeit hier herumtrieben, wusste man nicht, was dahinterstecken kann. Ängstlichere Seelen könnten so reagieren und höchstens ein dreister Charakter würde Trinkgeld oder eine Zuwen­dung für sein vielleicht nutzloses Bemühen von den wohlhabenden Herrschaften erhoffen.

      Thomas war überzeugend, weil er wirklich keine Gefahr witterte.

      Als es ihm langsam selbst peinlich und nun doch mulmig wurde, so gar nicht orientiert zu sein, tauchte durch den Dunst der nächtlichen, weniger tropischen, als kanalisationsbedingten Feuchtigkeit, die des heißen Klimas wegen stets aufgestiegen war und sich in der kühlen Luft der Nacht kondensierte, in Sichtweite ein Ecklokal auf.

      Beleuchtet und mit einem Schild. Da könnte offen sein.

      Mit kräftigen Schritten