Leben ist kälter als der Tod. Callum M. Conan. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Callum M. Conan
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783741835629
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war nur das Geplätscher der Dusche zu vernehmen, unter der Lavinia seit geraumer Zeit stand. Mareen versuchte, tiefer in die Geschichte ihres Romans einzutauchen, Oscar Wildes Worte näher an sich heran zu lassen, aber es gelang ihr nicht wirklich. Kaum hatte sie mal eine Seite gelesen, musste sie sofort wieder an ihre beste Freundin denken. Resignierend legte sie das Bildnis des Dorian Gray zur Seite.

      Es ging Lavinia mittlerweile wieder etwas besser, ein Umstand, der Mareen freute. Aber wirklich glücklich wirkte sie nicht, wie sollte sie auch? Zwar ließ sie sich im Gegensatz zu den ersten Tagen nach ihrer Ankunft nun von anderen Dingen ablenken, aber irgendwie kamen ihre Gedanken doch immer wieder zu den schrecklichen Ereignissen in Barcelona zurück. Meistens sagte sie gar nichts, aber Mareen konnte es in ihrem Blick sehen, wie sie unwillkürlich zuckte oder ihr Tränen in die Augen stiegen, die sie dann zu unterdrücken versuchte oder einfach wegwischte, als sei nichts gewesen. Sie hielt es für besser, ihrer besten Freundin die Freiheit zu gestatten, selbst zu wählen, wann sie reden wollte. Aber trotzdem wurde sie das Gefühl nicht los, dass sie etwas unternehmen musste. Reden hatte bei ihnen beiden immer geholfen. Es waren meist nicht einmal die Ratschläge oder Kommentare der Anderen gewesen, einfach, dass sie wussten, dass sie füreinander da waren, dass da jemand zuhörte. Ein Grund für ihre Freundschaft, die seit der Grundschule bestand und seitdem nie abgerissen war.

      Lavinia kam plötzlich in das kleine Wohnzimmer gelaufen. Mareen fuhr herum, als sie sie bemerkte.

      -„Mein Gott, hast du mich erschreckt! Ich dachte, du stehst noch unter der Dusche.“

      -„Damit bin ich doch schon seit Stunden fertig.“ Lavinia lachte, was Mareen sofort ein Lächeln ins Gesicht zauberte. „Aber kannst du mir mal verraten, seit wann du so was hier liest?“

      Mareen warf einen Blick auf das Magazin, das ihre beste Freundin in der Hand hielt: eine Ausgabe des Spiegel.

      -„Ach das.“ Sie verdrehte die Augen. „Das lese ich doch gar nicht.“

      -„Wie kommt das dann in deine Wohnung?“

      -„Sagen wir einfach, es hat jemand mitgebracht.“

      -„Soso, gibt es in Paris also deutsche Männer, die interessant genug sind, um sie mit nach Hause zu nehmen?“ Lavinia blickte ihre beste Freundin herausfordernd an.

      -„Nein, gibt es nicht. Oder zumindest habe ich die noch nicht kennen gelernt. Aber offenbar meinen französische Studenten, sie könnten eine deutsche Frau damit beeindrucken. Ich glaube, es gibt bessere Geschenke.“

      -„Aber sieh dir das an.“ Lavinia schlug eine Seite des Magazins auf. Es sah ihr gar nicht ähnlich, dass sie nicht weiter nachbohrte, was diesen Franzosen anging, den Mareen erwähnt hatte. Aber irgendwie war diese auch froh darum.

      Lavinia deutete auf die fette Überschrift eines langen Artikels.

      -„Das Abhören war erst der Anfang“, las Mareen. „Toll, und worum geht es da jetzt?“

      -„Treadstone und Co. nicht länger ein Hollywood-Hirngespinst: Geheimdienste rufen Programme für gezielte Tötungen ins Leben. Und es geht noch weiter, das war ja nur der Titel. Eigentlich hätte mich das gar nicht sonderlich interessiert, aber dieses Bild hier“, sie deutete auf ein Foto, das einen Mann in dunkler Tarnkleidung und mit einer Waffe auf einen am Boden liegenden Menschen zielend, zeigte. „Das hat mich an Barcelona erinnert.“ Mareen bemerkte sofort, dass Lavinia bei diesen Worten unwillkürlich schluckte. Es dauerte einen Moment, bis sie weitersprach. „Ich bin mit dem Artikel noch längst nicht durch, der ist ja auch elend lang, aber richtig toll geschrieben.“

      -„Willst du Colin jetzt etwa umbringen lassen?“ Mareen wusste nicht so recht, worauf ihre Freundin hinaus wollte.

      -„Nein, natürlich nicht. Verstehst du denn nicht? Das hier könnte die Erklärung für alles sein, die Erklärung für Barcelona. Warte“, sie suchte eine Stelle im Text, „ah, hier:

       Stellen Sie sich vor, Sie sitzen gemütlich mit Ihrem Freund beim Abendessen, und plötzlich hören Sie einen Luftzug und Ihr Freund bricht zusammen. Tot. Natürlich wollen Sie sich das nicht vorstellen und natürlich ist Ihr Freund kein international gesuchter Verbrecher und steht auch mit keinem in Kontakt. Aber wer weiß schon, nach welchen Kriterien ein Geheimdienst potenzielle Ziele aussucht? Wenn erst einmal die Möglichkeit besteht, eine Gefahr zu eliminieren, wird vermutlich nicht lange gefragt. Wer garantiert uns, dass Generäle, die Aufträge zum Abhören eines ganzen Staates in Auftrag geben, nicht auch auf Verdacht einen Mord in Auftrag geben, wenn sie die Möglichkeiten dazu haben?

      Und so weiter. Du solltest dir den ganzen Artikel mal durchlesen.“

      -„Und du findest jetzt, der ist so gut geschrieben? Ich fand das ein bisschen zu dramatisch.“

      -„Lies dir einfach alles durch, aber mir geht es ja auch gar nicht um den ganzen politischen Kram – nimm nur diesen ersten Satz mit dem zusammen Essen und dem tot Zusammenbrechen des Freundes. Barcelona war doch so ähnlich. Wenn Colin jetzt den Auftrag hatte…“

      Mareen überlegte einen Moment. Abgesehen davon, dass sie den Teil des Artikels, den sie jetzt kannte, für wenig glaubwürdig hielt, fiel ihr bei ihrer besten Freundin ein Enthusiasmus auf, der eindeutig übertrieben war. Sozialpädagogik war vielleicht das falsche Studienfach, um das aus psychologischer Sicht zu beurteilen, aber sie war sich ziemlich sicher, dass Lavinia in dem Artikel mehr sah, als es zu sehen gab und vor allem eine Verbindung herstellte, die es nicht gab. Bislang hatte Mareen vielmehr Zeit damit verbracht, zu überlegen, wie sie ihr helfen konnte und weniger, was in Barcelona wirklich passiert war und was die Ursache dafür war. Aber wenn sie überhaupt darüber nachdachte, so schien ihr eine Tat aus Eifersucht immer noch plausibler als die Geschichte, die sich Lavinia da gerade zusammenreimte.

      -„Ich will dich ja nicht enttäuschen, Lavi, aber meinst du wirklich, dass das passt? Denk doch mal nach: Was da geschrieben steht, klingt nicht gerade realistisch…“

      -„Aber es steht doch im Spiegel“, unterbrach Lavinia sie, „nicht in irgendeinem blöden Boulevardblatt.“

      -„Okay, da hast du vielleicht Recht. Ich weiß es auch nicht, ich kann dir nicht sagen, was da passiert ist. Ich war nicht dabei, und selbst wenn, hätte ich vermutlich keine Ahnung. Aber nach dem, was du in Barcelona durchgemacht hast, halte ich es für völlig normal, dass du eine Erklärung suchst und dabei auch einiges übersiehst.“

      Lavinia warf das Magazin zur Seite, Tränen kullerten erneut über ihre Wangen.

      -„Ich glaube, du hast Recht“, schluchzte sie. „Ich will einfach, dass es einen Grund dafür gibt. Nur irgendeinen…“

      -„Den gibt es sicher auch.“ Mareen umarmte ihre beste Freundin. Hatte sie gerade das Richtige getan?

      -„Aber was soll der Grund gewesen sein?“

      -„Keine Ahnung, ich weiß es nicht.“

      -„Meinst du, er war einfach eifersüchtig? Aber dann so kaltblütig?“ Sie schluchzte noch lauter.

      -„Ich weiß es einfach nicht, Lavi, tut mir leid.“

      -„Zumindest hätte diese Geheimdienst-Geschichte doch sehr gut zu ihm gepasst, mit seinem ganzen James-Bond-Kram früher und so…“

      -„Da hast du sicher Recht.“ Mareen musste schmunzeln.

      Lavinia beruhigte sich ein wenig.

      -„Danke. Danke, dass du immer für mich da bist“, flüsterte sie.

      -„Ach, das ist doch selbstverständlich.“

      -„Nein, das ist es sicher nicht.“

      Lavinia löste sich aus Mareens Umarmung, wischte sich die Tränen von den Wangen und lächelte. Einen Moment verharrten sie so und lächelten sich an, dann setzten sie sich auf das Sofa.

      -„Es tut mir leid, wenn ich mit solchen blöden Ideen ankomme, an denen wahrscheinlich nichts dran ist. Aber ich muss einfach irgendwas tun und ich will mich nicht nur ablenken. Bevor ich