Lowlife. Julian Wendel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Julian Wendel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750211179
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schwindsüchtiges Gefühl, immer deutlicher abgelöst von einem Unwohlsein… Fehl am Platz und ohnmächtig isoliert, wie ich so da saß, mit Sascha gegen alles verschworen, und beobachtete, aber keine Anstalten machen wollte mich auf die beschwingte Einigkeit, die wirren, rauschenden Gespräche kreuz und quer durch die Gartenhütte und das überfreudige, irre Gelächter einzulassen… Immer wieder drang Jemand für einen Moment in die Isolation ein und redete beschwipsten Stuss… Sie machten zweideutige Bemerkungen, die ich versuchte zu verstehen… Zu ergründen, ob etwas verstecktes hinter den Worten lag… Vielleicht verkleidete Rügen oder offensive Nachrede… Bald konnte man die Luft schneiden. Die Aschenbecher füllten sich in Sekundenbruchteilen. Alle lachten sie, funkelten sich aus glänzenden Augen gegenseitig durch den Nebel an… Und ich kam mir immer mehr und mehr beobachtet vor… Die Flasche billigen Whiskys wechselte meine und Saschas Hände… Man wehrte sich mit weiteren Drinks, doch die ethanolbefeuerte Ausgelassenheit wollte nicht übergreifen… Sie waren unsere Freunde, doch schienen sie wie lächerliche, trunkene Karikaturen ihrer selbst… Die Anderen, die Anderen, die Anderen… Die in der Hölle saßen, auf den Flammen eins Gemeinschaftsscheiterhaufens und lachten und klatschten… Ich ging dazu über, mich flatterhaft auf die Kosten der Anderen zu amüsieren… Sascha und ich kommentierten bald gemeinsam das Geschehen, mit zueinander geduckten Köpfen abschätzig, um uns selbst zu belustigen.

      »Kommt her Leute und besauft euch auch, kommt schon habt euch alle gegenseitig lieb und habt Spaß miteinander, zeigt euch gegenseitig, was für tolle Leute ihr doch alle seid. Kommt her Leute es ist unsere heilige Pflicht uns das Leben mal so richtig schön zu saufen«, kompromittierte ich die Anderen gegenüber Sascha, der zwischen mir und ihnen hin und her sah, meinen Worten folgend, die Lippen gekräuselt… Sie waren wie balzende Tiere. Wir hielten uns für immun… Ich lachte, zeigte auf einen Jeden und beschrieb, züngelnd und an meinen Bier saugend dessen derzeitigen Pegel.

      Etwas später stand Sascha auf und wankte zwischen den Fronten umher und ich klammerte mich derweil an mein Glas… Die Hölle ist ein Narrenhaus voller Betrunkener, dachte ich… Plötzlich fraß sich mein Gewissen durch den Schutzmantel aus Spott, den ich mir so mühsam errichtet und ganz verkniffen so lange aufrecht erhalten hatte… Vor dem Fenster suchte ich die Beobachter und sah nur noch Dunkelheit… Und ich sah in die Runde und kam mir ungeheuer gehässig vor… Sascha kam wieder an die stille Ecke des langen Tisches und nahm Platz… Und da fiel mir ein, dass ebenso gut ich ein Teil der Hölle für alle deren Bewohner hätte sein können… Wir schwiegen… Sahen zu… Sahen ab… Betretene Blicke auf die eigenen Gläser gerichtet, die sich leerten und füllten, doch nichts ausrichteten… Die Normalwelt mit der anderen mir bekannten vergleichend, fragte ich mich, wie viel besser ich zwischen all dem dastand… Und dachte an die vielen Bierkästen bei Atze… Und an die Lästereien über die ehemaligen Schulkameraden und über die Bewohner der Parallelwelt, die einen erheblichen Teil des Gesprächsstoffes innerhalb derselben ausmachten… Die Gedanken irrten schwindelnd hin und her, prallten rücksichtslos von einer Wand zur anderen… Und ich stellte mir diese dummen Fragen… Warum konnte ich mich nur so begrenzt wohlfühlen? War ich denn so kaputt? So verklemmt und hochmütig?

      Irgendwann wurde es mir zu anstrengend. Alles ging in einem verschwommenen Strudel unter… Fetzen von Gesprächen hier und da… Noch eine Mische… Gelächter… Der Wunsch nach Ruhe… Ich redete auf Sascha ein, versuchte ihn davon zu überzeugen, einen sauberen Abgang hinzulegen und so begaben wir uns hinaus auf den niedergetretenen Rasen vor der Hütte… Gelächter und Gekreisch auch in der Dunkelheit… Ein Teil der Gäste war auf das riesige, neben den Garagen gelegene Trampolin im Vorhof des Hauses gestiegen und hüpfte kichernd darauf herum… In dieser durchlärmten Nacht konstituierten Sascha und ich… Erkaltend und losgelöst von dem Schwindel im Inneren des Gartenhauses… Es gab zwei Möglichkeiten… Entweder wir zogen diesem überschwänglichen Zerstreuungsversuch davon und hingen noch ein wenig bei Atze ab, oder wir griffen doch noch zu und versuchten uns der Allgemeinheit anzupassen, uns mit ihr zu verbinden.

      Wir flohen die Flucht… Auf halbem Weg zurück in die Parallelwelt und zu deren einsamen, alleingelassenen Regenten wurden wir aufgehalten. Zwei Freunde von der Party, die uns von allen der dort anwesenden noch am nächsten standen, waren uns gefolgt… Foma und Marcel… Sie hatten Wind bekommen… Da standen wir nun zusammen, umringt vom Gebälk der Häuser, die mit leeren Augen glotzten, um uns herum das spärliche Licht der Laternen, neben uns der versiffte, mit kindisch obszönen Graffiti besprenkelte Unterstand der Bushaltestelle, unzählige ausgespuckte Kaugummis und Zigarettenstummel zu unseren Füßen, über uns der schwarze, sternlose Himmel. Foma fragte warum wir uns so klammheimlich verdrückt hätten… Die Luft war dick… Alkoholnebel… Und zusätzlich angefüllt von drohenden Streitigkeiten… Wir wären zur Party gekommen, hätten uns merkwürdig verhalten und wären ohne ein Wort wieder gegangen. Legten sie uns die Karten auf den Tisch.

      »Ihr meldet euch nicht mehr. Wenn man euch anruft, tut ihr so als würdet ihr nichts machen, haltet euch völlig bedeckt, weicht ständig aus… Ihr geht Gesprächen und Kontakten aus dem Weg. Ihr seid wahrscheinlich nur noch am Kiffen...« Ein Hauch von Schuldbewusstsein ging durch mich und vielleicht auch Sascha durch... »Was ist eigentlich los?«

      Er hatte leider völlig recht… Doch wie hasste ich solche Diskussionen… Sie verschafften mir Ohnmacht, Wortlosigkeit und Überdruss… Und doch, schienen sie irgendwie nötig zu sein, von Zeit zu Zeit… Stillschweigend sog ich an einer Zigarette, hoffend, mich so aus der Diskussion heraushalten zu können. Die selbst körperlich ineinander verschlungenen Fronten der Argumentation bildeten Foma und Sascha, dessen taube Zunge kaum eines geltenden Wiederwortes fähig war. Wie hätte er es auch leugnen sollen?… Foma stand vor ihm, dicht an dicht und zeigte seine Kehle, wissend um seine Stärke und dass man ihn nicht angreifen könne… Der gute Mann hatte uns Durchschaut. Aus war es mit der eingebildeten Überlegenheit.

      Schließlich gab Sascha klein bei. »Okay«, lenkte er zu allen Punkten der Anklage ein… »Geb ich dir recht…« Doch Foma war sich nicht sicher, ob das genügte und ob auch durchdrang, was er sagte… Also machte er weiter. Er hielt uns den Spiegel vor.

      »Was macht ihr überhaupt die ganze Zeit beim Atze?«, fragte Marcel, wissen wollend was noch, außer dem ersten Punkt der Anklage.

      »Glaubt ihr denn wir kriegen das nicht mit?…« Das Gespräch wurde einseitig… »Wollt ihr euch vor euren Freunden verstecken?«

      Gemäß seinen Erfahrungen schien ihm ein Urteil über unseren Freund und Kiffkumpanen in jedem Fall zuzustehen. Schließlich kannte er ihn länger als wir. Noch vor zwei oder drei Jahren, bevor Sascha und ich regelmäßig mit Atze verkehrten, waren Foma und Atze unzertrennlich gewesen. Bis Foma irgendwann gemerkt hatte, dass sein damaliger Freund ein wandelnder Magnet für Schwierigkeiten aller Art war. Auch wenn es nicht seine Absicht sei, erklärte er beschwörend, Atze würde einen mit sich hinunter ziehen… Und ich fragte mich, wie dieses Unten genau aussehen würde… Und hatte all das raus gemusst?… Und musste erst der Alkohol, die Hemschwellen durchbrechen und die Zungen lockern?… In wie weit hatte mein eigenes Verhalten dazu beigetragen?… Die Leute, die Gemeinschaften, dachte ich… Man konnte nicht in alle von ihnen hinein sehen… Konnte den Leuten nur vor den Kopf schauen. In der Masse verwuchsen sie miteinander zu einer unüberschaubaren Gewalt, zu einem Fremdkörper mit einer Vielzahl autonomer Köpfe und Gliedmaßen, greifender und abweisender Hände… Einem oberflächlich schizophrenen Wesen, dessen Charaktere von im Grunde gleichartigen Wünschen angetrieben wurden, dabei jedoch nicht über eine einheitliche Schulung verfügten, die sie dazu befähigte, auf gemeinsamen Pfade zur Erfüllung dieses geteilten Wunsches zu gelangen… Scham wallte in mir auf… Man müsste sich doch arrangieren können… Und ich kam mir gewaltsam moralisiert vor… Freunde und die sogenannte Gemeinschaft, das waren… Aspekte der sozialen Kontrolle.

      »Der Kerl kriegt nichts auf die Reihe. Yebanko! Auch wenn du aus Mitleid mit ihm abhängst, wird niemand es dir danken. Ich kenn ihn lange genug! Glaub mir ich weiß wie er ist! Es ist Zeitverschwendung. Ihr glaubt mir gar nicht, was ihr alles verpasst…« Und er ratterte ein oder zwei Anekdoten runter, um uns unsere Versäumnisse zu veranschaulichen.

      »Der Atze hat doch noch nie in seinem Leben auch nur an ner Möse gerochen«, sagte er dann…