Steintränen. Manja Gautschi. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Manja Gautschi
Издательство: Bookwire
Серия: Steintränen
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742797964
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und zog dabei beide Augenbrauen hoch. Seine Augen standen kurz davor Funken zu sprühen, fand Bob. Vorsichtig überreichte er wortlos die Fernbedienung, und Dek gab sie an Takwo weiter. „Du wirst hier abwaschen und aufräumen, alleine. Morgen früh bist du für sämtliche Pferde verantwortlich: Füttern, Striegeln, Putzen. Ich werde dir keine Gelegenheit mehr geben um solchen Mist zu bauen! Und du wirst als Letzter, ich will dich vorerst nicht in meiner Nähe haben.“ Ganz zerknirscht nahm Bob die Anweisung entgegen und nickte. Schockiert hatte Bob zur Kenntnis genommen, dass ihn Dek plötzlich Dutste. Er hatte wohl eine Grenze überschritten, definitiv.

      Obwohl die Stimmung angespannt war, mussten sich alle, natürlich alle ausser Bob, das Lachen verkneifen. Bob hatte sich wie ein kleines, tobendes Kind benommen und blickte drein, als hätte er immer noch nicht wirklich verstanden, wie daneben er sich benommen hatte, die Situation war von aussen eigentlich amüsant zu beobachten.

      Dek setzte sich wieder hin, abermals drüber fluchend, dass er diesen Bob hatte mitnehmen müssen, nahm sich seine Schale voll Eintopf und wies Isara mit einer Kopfbewegung an, Zylin nach draussen zu folgen, was Isara auch kommentarlos tat. Dieser Bob war unglaublich dämlich und unreif, dachte er sich.

      Allerdings beliess es Isara vorerst, sich zu vergewissern, dass Zylin das Lager nicht verliess. Sie sah ihn am Waldrand sitzen, also konnte sie beruhigt im Wald für „kleine Mädchen“ gehen.

      Als sie zurück zum Lager kam, sah sie, dass man bereits das erste Sonnenlicht am Horizont erkennen konnte. ‚Wie wunderschön!’ fand sie.

      Zylin sass immer noch an einen Baum gelehnt am Waldrand, er hatte die Kapuze nach hinten geschlagen, sodass Isara seinen Kopf und die zusammengebundenen, langen Haare erkennen konnte. Sie ging auf ihn zu „Ich bin’s. Isara“ sagte sie vorsichtshalber, ein paar Meter bevor sie Zylin erreichte. „Ich weiss.“ seine Stimme klang ungewohnt freundlich und warm.

      Er war gerade dabei sich seinen Gefängnisbart zu rasieren. Dafür verwendete er einen seiner Dolche, die Isara noch nie zuvor so nahe gesehen hatte: Eine doppelseitige, sehr dünne und feine weisse Klinge mit einem kunstvoll verzierten Griff, der sich um Zylins Hand zu schlingen schien. Aber das Licht war noch nicht sehr hell, also war es wohl eine optische Täuschung. Sie schüttelte den Gedanken ab und konzentrierte sich mehr auf Zylin und fand, dass er ohne Bart sehr viel besser aussah. Sie hatte ihn noch nie ohne Bart gesehen. Sein Gesicht wirkte viel jünger und vornehmer, nicht mehr so wild und angsteinflössend.

      „Danke und, ja, gerne.“ Zylin beendete seine Rasur, strich die Klinge an seinem Hosenbein sauber, versorgte den Dolch unter seinem Mantel und reichte Isara seine leere Schale. „Das ist und bleibt einfach unheimlich.“ fing Isara an „Ich nehme an, ‚Danke’ bezog sich auf meine Meinung zur Rasur, also: Gern geschehen. Und ‚Ja, gerne’ ist dann wohl die Antwort auf meine Frage ‚ob ich noch mehr Eintopf holen soll’, die ich gerade im Begriff war zu stellen. Ich kann mir vorstellen, dass das viele nicht verstehen, Angst bekommen und nicht gerade unauffällig ist.“ Zylin blickte erst nach vorne, atmete ganz ruhig und bewusst ein und aus, drehte dann seinen Kopf zu Isara und sagte „Verzeih, ich war in Gedanken und hatte mich nicht geachtet, dass es noch nicht ausgesprochen war.“ Isara nahm die Schale, die er ihr entgegenhielt. „Oh nein. Dafür brauchen Sie sich nicht zu entschuldigen, nicht bei mir. Es tut gut sie hier zu sehen. Mal nicht eingesperrt in einer Zelle. Schön dass Sie mitgekommen sind.“ Damit drehte sie sich um und eilte zurück zum Zelt.

      Unaufhaltsam stieg die Sonne hinter dem Horizont empor. Ihr warmer Sonnenstrahl fing an sich über die Steinberge zu verbreiten und versprach einen wunderschöner Spätsommertag. Zylins Augen schmerzten, sie waren das Sonnenlicht nicht mehr gewohnt. Er zog sich die Kapuze wieder über den Kopf, soweit nach vorne wie es ging um die Augen zu beschatten, damit es nicht so anstrengend und schmerzend war. Für einen Moment schloss er die Augen sogar ganz und lauschte nur. Nur langsam öffnete er sie einen Moment später wieder und genoss den Anblick der wunderschönen Landschaft, die sich vor ihm im sanften Morgenlicht der Sonne erstreckte. Wie hatte er das vermisst.

      „Hier“ Dek hielt Zylin die Schale mit dem Eintopf hin, den Isara vorhin zu holen aufgebrochen war. Dek hatte Isara die Schale im Zelt abgenommen um selbst mit Zylin reden zu können. Ganz zu Zylins Leidwesen, denn Isaras Gesellschaft wäre um Welten angenehmer als die von Dek. Im Gegensatz zu ihm, war Isaras Wesen immer Freundlich und ihre Gedanken ruhig und entsprachen dem was sie jeweils auch aussprach, plus diese gewisse frische Aufgewecktheit. Nebst dem, war es damals auch ihre unverdrossene Zuversicht und Hartnäckigkeit gewesen, die es ihr schlussendlich ermöglicht hatten Zylins Vertrauen zu gewinnen.

      Zylin stand auf, nahm die Schale wortlos an sich und fing an zu essen. Dek stellte sich neben ihn und betrachtete ebenfalls den wunderschönen Sonnenaufgang und genoss die erste Wärme der Sonnenstrahlen im Gesicht. Manchmal dachte er, fand er sich zu alt für solche Unternehmungen, irgendwo einen ruhigen, langweiligen Bürotisch zu besetzen, wäre doch auch nicht schlecht, dabei kam ihm Paul, der Gefängnisleiter von Sarg in den Sinn. Aber jetzt eben noch nicht, schnitt er seinen Gedanken selbst ab.

      „Was meinst du.“ fing Dek das Gespräch an „Wir nehmen diesen Feldweg“ Dek zeigte mit dem Finger auf die vor ihnen liegenden grünen Grasfelder, die von einem einzigen Schotterweg durchteilt wurden „und reiten über diesen Pass dort nach Rupes.“ er schwenkte die Hand zu der niedrigsten Stelle der Berge vor ihnen. Diese Frage ignorierend entgegnete Zylin „John. Was tu ich hier? Hatte ich nicht ‚NEIN’ gesagt?“ Dek tat überrascht „Wie bitte? Was meinst du?“ „Du hast mich verstanden.“ sprach Zylin weiter „Und wozu dieses Theater mit dem Siezen?“ Dek gab keine Antwort. „Was für ein Spiel spielst du hier, John?“ Dek konterte arrogant „Liess doch meine Gedanken.“

      Erst jetzt drehte Zylin den Kopf und blickte Dek ins Gesicht „Ich muss schon sagen, im Verbergen deiner Gedanken bist du ein Meister geworden, das können nur Menschen, die von Natur aus gute Lügner sind. Aber ich spüre eine ausgesprochene Zufriedenheit. Ich vermute einer deiner nach Plan laufenden ‚Code 9’ Missionen mit fragwürdiger Geheimdienstbeteiligung, denn die Leute hier wissen nichts. Das bedeutet ein zweites, voll informiertes Team wird später zu euch stossen. Wozu also bin ich hier? Was soll ich nicht wissen?“ „Ich sehe, ganz mein Commander und deine Hausaufgaben hast du auch schon gemacht. Aber woran du wieder denkst. Darf man einem Freund nicht einfach einen Gefallen tun? Ich habe doch noch etwas gut zu machen.“ Zylin blickte Dek weiter an ohne eine Miene zu verziehen. Dek wusste, dass ihm sein alter Freund diese Ausrede wohl kaum abnahm. „Das kannst du nicht wieder ‚gut’ machen, John.“ entgegnete Zylin trocken.

      Dek blieb bei seinem Thema und erklärte weiter „Es war reiner Zufall, dass ich dich überhaupt auf Sarg gefunden habe. Hätte ich Isara nicht zufällig getroffen, hätte ich es wohl nie erfahren, denn dein Aufenthaltsort war im System verloren gegangen. Wie Paul sagte: ‚Jemand hat den Schlüssel weg geworfen.’ Verdammtes Bürokratenpack.“ Dek wartete vergeblich auf eine Reaktion von Zylin, der drehte bloss den Kopf in Richtung Berge zurück und ass weiter. Es war zwecklos. Dek hatte etwas vor und Zylin sollte es nicht wissen. Dek selbst hatte von Zylin gelernt seine Gedanken zu schützen und Deks Leute waren nicht informiert. Zylin blieb vorerst also nur übrig, abzuwarten und mitzuspielen.

      „Und was hältst du nun von der geplanten Reiseroute?“ nahm Dek sein ursprüngliches Thema auf. „Zylin, bitte.“ bohrte Dek nach. Zylin hob seinen Blick in Richtung Passhöhe und antwortete „Du kannst unmöglich glauben, es sei alles wieder beim Alten und wir machen dort weiter, wo wir aufgehört hatten.“ „Doch, eigentlich schon. Ich habe dir deinen Verrat verziehen, es überwunden. Damals hatte ich überreagiert, dein Team getötet, es dir angelastet und dich dafür im Gefängnis büssen lassen, wofür ich mich wirklich entschuldige. Und jetzt leiste ich Wiedergutmachung. Zumindest fange ich damit an. Also ‚doch’, unsere jahrelange Freundschaft kann nicht einfach verschwunden sein.